An der Berliner Charité beobachtet Psychiatrie-Chefin Isabella Heuser die seelischen Corona-Auswirkungen. Neben Achtung für die Bewältigung in Deutschland treibt sie aber auch mehr Sorge um als vor einem Monat.
Rund vier Wochen nach dem Start umfassender Maßnahmen in der Corona-Epidemie sorgt sich die Charité-Psychologin Isabella Heuser um den deutschen Generationenvertrag. "Ich bin weniger optimistisch als vor einem Monat. Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden jetzt so massiv wahrgenommen, dass sich Bruchstellen zeigen", sagte Heuser. "Wir wissen ja gar nicht, ob es so schlimm kommt." Wichtig sei es, den Begriff Solidarität nun mit neuem Leben zu füllen. "Da geht es nicht nur um Geldzuwendungen."
Heuser ist langjährige Chefin der Charité-Klinik für Psychiatrie am Benjamin-Franklin-Klinikum. Sie höre jetzt Äußerungen von all jenen, die noch nicht wieder zurück zur Normalität könnten, berichtete sie. Zum Beispiel: "Die Alten sollen doch zu Hause oder in ihrem Heim bleiben. Ich sehe doch nicht ein, dass ich wegen der Alten meine Existenz vernichte, ich zahle die Steuern". Von Älteren spüre sie neben der Angst, an dem Virus zu sterben, jetzt auch eine Art Schuldbewusstsein. "So als ob sie der Grund dafür seien, wenn Geschäfte pleitegehen." Solche Strömungen seien kein gutes Zeichen.
Es gebe generell große Unterschiede in den Gesellschaften. In vielen asiatischen Ländern würden die Alten wertgeschätzt, erläuterte Heuser. In den USA gälten sie mitunter als Belastung, weil sie nicht mehr produktiv seien. Das könne zur Folgerung führen, sie sterben zu lassen, weil sie keine Rezession wert seien.
Deutschland müsse seine Position in Sachen Solidarität nun hinterfragen. Mit Geld allein sei es nicht getan. "Ich fände zum Beispiel ein verpflichtendes soziales Jahr nach der Schule gut", sagte Heuser. "Nicht, um billige Arbeitskräfte in soziale Einrichtungen zu bekommen, sondern als ein Signal: Ein Dienst an der Gesellschaft ist erstrebenswert."
Der Mensch habe die große Gabe des Vergessens, besonders bei negativen Ereignissen, ergänzte Heuser. "Wir können aber aus einer Erschütterung Lehren ziehen. Wir können uns fragen: Wenn diese Krise herum ist, bezahlen wir Pflegekräfte dann generell besser oder belassen wir es bei wenigen Ausnahme-Zulagen? Schmeißen wir die Obdachlosen wieder aus dem Hostel? Oder können und wollen wir das Gute halten, das hier entstanden ist?"
Insgesamt sieht Heuser Deutschland heute vor einer anderen Situation als vor vier Wochen. "Wir haben jetzt mehr Kontrollierbarkeit und Vorhersagbarkeit. Bisher waren wir im Runterfahr-Modus. Nun sehen wir so etwas wie einen Silberstreif am Horizont." Dieses langsame Öffnen sei ein richtiger Schritt. "Damit auch die Psyche wieder entlastet wird. Sonst macht da keiner mehr mit."
Bisher sieht Heuser einen guten Umgang mit der Krise in Deutschland. "Auch psychisch kompetenter als mancher am Anfang gedacht hätte." Am meisten belastet sieht sie weiterhin die Generation zwischen Mitte 20 und Mitte 40.
"Es gab schon vor der Pandemie repräsentative Studien, dass Menschen in der Rushhour des Lebens, zwischen Kind und Karriere, von allen Altersgruppen den meisten Stress verspüren. Und nun kommen Homeoffice und Homeschooling noch obendrauf." Diese Generation sei auch von wirtschaftlichen Existenzängsten bedroht, die ganz real seien. "Die kann man nicht wegpsychotherapieren." Diese Altersgruppe sei in der Regel psychisch aber auch durchaus widerstandsfähig. "Wir müssen also nicht mit einer nachfolgenden Epidemie von seelisch katastrophalen Auswirkungen dieser Pandemie rechnen."
Keine Sorgen macht Heuser sich um die Psyche der Teenager, die mitten in der Corona-Krise vor Abschlussprüfungen in der Schule stehen: "Jugendliche sind so widerstandsfähig, dass sie das wegstecken." Diese Resilienz werde jetzt zwar auf die Probe gestellt. "Doch es gibt auch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl in diesen Gruppen mit dem Tenor: "Das schaffen wir schon irgendwie"."
Kein Verständnis hat die erfahrene Psychologin für Jammerei wegen der Urlaubsplanung. "Da gibt es keine Unwägbarkeit. Man plant den Sommerurlaub nicht im Ausland. Fertig. Ein Jahr mal nicht in ferne Länder zu fahren, das hält der Mensch wirklich aus."
Die anstehenden Lockerungen sollten nur möglichst nicht zum Übertreiben einladen. "Katastrophal wäre, wenn es in den nächsten vier Wochen wieder eine deutliche Zunahme der Infektionen und Patienten auf Intensivstationen gäbe." Hier sei Solidarität gefragt. "Wenn wir alle füreinander einstehen wollen, dann geht das nur mit Abstandhalten."