Corona-Pandemie zeichnet sich auch in Suchthilfe ab

Großer Andrang bei Beratern und längere Wartezeiten für eine Therapie: Die Corona-Pandemie hinterlässt auch in der Suchthilfe deutliche Spuren und stellt Beteiligte vor neue Herausforderungen.

Größerer Andrang, längere Wartezeiten

Großer Andrang bei Beratern und längere Wartezeiten für eine Therapie: Die Corona-Pandemie hinterlässt auch in der Suchthilfe deutliche Spuren und stellt Beteiligte vor neue Herausforderungen.

Personalmangel, Abstandsregeln und unsichere Zeiten: Die Corona-Pandemie stellt Berliner Einrichtungen der Suchthilfe und Abhängige vor neue Herausforderungen. "Zu Anfang des Jahres war die Situation noch nicht besorgniserregend, doch jetzt erleben wir einen deutlich stärkeren Zulauf. Die Stimmung ist gedrückter", sagt etwa Denise Aßhoff, Suchtberaterin in einer Einrichtung der Caritas in Berlin-Steglitz.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte bereits zu Beginn der Pandemie vor einem steigenden Drogen- und Alkoholkonsum gewarnt. Forschende des Universitätsklinikums Nürnberg und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim zeigten in einer Studie, dass diese Warnung berechtigt ist. "Während des Lockdowns entsteht eine Situation, in der für manche Menschen subjektiv mehr Gründe für einen vermehrten Alkohol- oder Tabakkonsum sprechen als dagegen", schreiben sie. Hilfen für Gefährdete sollten daher frühzeitig implementiert werden, so eine Empfehlung.

Angebote nicht abreißen lassen

Beratungseinrichtungen wie die der Caritas versuchen derzeit alles, um bestehende Angebote aufrechtzuerhalten und der Nachfrage gerecht zu werden: "Normalerweise führe ich fünf Beratungsgespräche pro Tag. Jetzt sind es etwa acht", so die Sozialarbeiterin Aßmann. "Viele Menschen, die wir bereits verabschiedet hatten, tauchen wieder auf." Die Gefahr für Rückfälle sei in der jetzigen Pandemie größer, da viele Strukturen weggebrochen seien. "Viele Abhängige sind auch psychisch erkrankt und wenn sie Familien und Freunde nicht mehr treffen können und andere Hilfsangebote wegfallen, ist das für sie besonders schwer", so Aßhoff.

"Für Menschen, die wackelig sind, ist es schwierig", sagt auch Werner Brose, Bereichsleiter für Beratung, Therapie und Familienhilfen bei der Vista gGmbH, einem Unternehmen, das an 15 Standorten in Berlin Menschen in psychosozialen Notlagen hilft. "Nachdem der erste Shutdown beendet war, gab es einen Beratungsstau", so Brose. Erst vor wenigen Wochen habe sich die Situation wieder normalisiert. "Jetzt müssen wir sehen, dass wir die Angebote nicht abreißen lassen", so Brose. Vielfach werde deshalb auch auf telefonische oder Online-Beratungen gesetzt.

Lückenlose Betreuung ist wichtig

In Berlin gibt es - wie bundesweit - ein mehrstufiges Hilfesystem für Suchtkranke. Dazu zählen neben den Beratungsstellen auch Entzugsstationen der Krankenhäuser, Entwöhnungskliniken, ambulante Einrichtungen und Selbsthilfegruppen.

Darius Chahmoradi Tabatabai ist Chefarzt der Hartmut-Spittler-Fachklinik im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum, einer Entwöhnungseinrichtung mit 87 Plätzen. Von denen sind derzeit nur etwa 60 Prozent belegt, weil die Rehabilitanden momentan nur in Einzelzimmern untergebracht werden können. Das führe auch dazu, dass sich die Wartezeit erhöhe, sagt Chahmoradi Tabatabai. "Wenn jetzt jemand anruft, müssen wir ihm sagen, dass wir ihn wahrscheinlich erst im kommenden Jahr sehen. Dabei ist eine lückenlose Betreuung sehr wichtig", so der Chefarzt.

Pandemie legt die Wunden im System bloß

"In der Pandemie werden die Wunden bloß gelegt", meint er mit Blick auf das System. Die Suchthilfe sei zwar auf einem relativ hohen Niveau ausgebaut, doch die Pandemie verschärfe Finanzierungslücken gerade im Bereich der Entwöhnungskliniken. Perspektivisch werde es für viele Träger damit auch immer schwerer, Personal zu gewinnen. "Mit den Tarifen in Krankenhäusern können viele Fachkliniken nicht mithalten", so der Psychiater.

Und die vorhandenen MitarbeiterInnen müssten möglichst so eingesetzt werden, dass sie sich und die BewohnerInnen vor einer Corona-Infektion schützen. "In unseren Gruppen haben wir immer zwei Ansprechpartner. Diese Kollegen arbeiten nun abwechselnd wochenweise, damit wir das Ansteckungsrisiko minimieren", berichtet der Chefarzt. "Vorgespräche führen wir nur noch telefonisch und unsere großen Gruppentreffen mit über 50 Personen können wir auch nicht mehr durchführen", berichtet Chahmoradi Tabatabai.

Teil des Alkoholkonsums verlagert sich von Gaststätten nach Hause

Selbst bei kleineren Gruppentreffen herrscht demnach nun eine andere Atmosphäre als sonst: Die TeilnehmerInnen sitzen mit Masken und häufig auch mit Jacke im Raum, da regelmäßig gelüftet wird. "Auch viel Kontakt untereinander fällt nun weg", berichtet der Arzt. Beim Essen seien normalerweise Vierertische üblich, an denen sich die Rehabilitanden austauschen können. Nun müsse jeder allein an einem Tisch sitzen und soll dabei möglichst wenig sprechen, um den Anteil der Aerosole in der Luft zu verringern.

Chahmoradi Tabatabai sagt, er sei sich noch unsicher, ob es durch die Pandemie zu einer Zunahme von Konsumstörungen kommt. In den Gaststätten werde nun kein Alkohol mehr konsumiert, dafür verlagere sich ein Teil des Konsums nach Hause. Er gehe eher davon aus, dass einige Verläufe schwerer werden können. "Diejenigen, die ohnehin Schwierigkeiten haben, in Hilfen zu kommen, haben nun noch höhere Hürden zu überbrücken. Hier könnten sich die Störungen verschärfen", so der Arzt.