Neuropilin-1 weist Coronavirus offenbar den Weg in die Zelle

Ein internationales Forschungsteam hat einen Faktor identifiziert, der den Eintritt von SARS-CoV-2 über den bekannten Rezeptor ACE 2 in das Innere der Zellen offenbar erleichtert. Neuropilin-1 ist in den Schleimhäuten der Atemwege und der Nase zu finden.

Studie entdeckt weiteren Türöffner

Neuropilin-1 in den Schleimhäuten der Atemwege und der Nase erleichtert offenbar den Eintritt von SARS-CoV-2 über den bekannten Rezeptor ACE 2 in das Innere der Zellen. Das könnte Einfluss auf die Ausbreitung des Virus haben. Ein Forschungsteam mit Fachleuten vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Technischen Universität München, der Universitätsmedizin Göttingen, der Universität Helsinki und weiterer Forschungseinrichtungen berichten darüber im Fachjournal "Science".

Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann verschiedene Organe wie Lunge und Nieren befallen und auch neurologische Symptome auslösen, etwa den vorübergehenden Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn. Die Symptome der Erkrankung COVID-19 sind daher sehr vielfältig. Im Gegensatz zu SARS-CoV infiziert SARS-CoV-2 zusätzlich die oberen Atemwege einschließlich der Nasenschleimhaut und breitet durch Virenausstoß – etwa beim Niesen – schnell aus.

Der Gewebetropismus spiegelt die Fähigkeit eines Virus wider, bestimmte Zelltypen in verschiedenen Organen zu infizieren. Rezeptoren auf der Oberfläche der Zellen ermöglichen das Andocken und Eindringen. "Ausgangspunkt unserer Studie war die Frage, warum SARS-CoV und SARS-CoV-2, die beide ACE2 als Rezeptor nutzen, unterschiedliche Krankheiten verursachen", erklärt Mikael Simons, Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort München und Professor für molekulare Neurobiologie an der Technischen Universität München, dessen Team an den aktuellen Untersuchungen beteiligt war, zusammen mit Prof. Giuseppe Balistreris Forschungsgruppe an der Universität von Helsinki.

Furin-Spaltstelle macht den Unterschied aus

Untersucht wurden die viralen "Spike-Proteine", die das Virus für das Eindringen in die Zelle benötigt. Das SARS-CoV-2-Spike-Protein enthalte eine Furin-Spaltstelle, sagt Simons. Ähnliche Spaltstellen seien auch bei vielen anderen hochpathogenen menschlichen Viren vorhanden. Wenn Proteine durch Furin gespalten werden, wird eine spezifische Aminosäuresequenz am gespaltenen Ende freigelegt. Solche furingespaltenen Substrate weisen ein charakteristisches Muster auf, von dem bekannt ist, dass es an der Zelloberfläche an Neuropiline bindet.

Experimente mit im Labor kultivierten Zellen in Verbindung sowohl mit künstlichen Viren, die SARS-CoV-2 imitieren, als auch mit natürlich vorkommenden Viren deuten darauf hin, dass Neuropilin-1 zusammen mit ACE2 die Infektion fördert. Durch die Blockierung von Neuropilin-1 mit Antikörpern konnte die Infektion unterdrückt werden. "Wenn man sich ACE2 als Eintrittstür in die Zelle vorstellt, dann könnte Neuropilin-1 ein Faktor sein, der das Virus zur Tür lenkt. ACE2 wird in den meisten Zellen in sehr geringen Mengen exprimiert. Daher ist es für das Virus nicht leicht, Türen zum Eindringen zu finden. Andere Faktoren wie Neuropilin-1 scheinen notwendig zu sein, um dem Virus zu helfen", erklärt Simons.

Möglicher Weg in die Nervenbahn

Da Geruchsverlust zu den Symptomen von COVID-19 gehört und Neuropilin-1 vor allem in der Zellschicht der Nasenhöhle zu finden ist, untersuchten die WissenschaftlerInnen Gewebeproben von verstorbenen PatientInnen und fanden heraus, dass mit Neuropilin-1 ausgestattete Zellen tatsächlich mit SARS-CoV-2 infiziert sind. An Mäusen wurde gezeigt, dass Neuropilin-1 den Transport winziger, virusgroßer Partikel von der Nasenschleimhaut zum zentralen Nervensystem ermöglicht. Diese Nanopartikel wurden chemisch so hergestellt, dass sie an Neuropilin-1 binden. Durch die Nase der Tiere erreichten sie innerhalb weniger Stunden Nervenzellen und Kapillargefässe des Gehirns ─ im Gegensatz zu Kontrollpartikeln ohne Affinität zu Neuropilin-1. "Wir konnten feststellen, dass Neuropilin-1, zumindest unter den Bedingungen unserer Experimente, den Transport ins Gehirn fördert. Wir können jedoch keine Schlussfolgerung ziehen, ob dies auch auf SARS-CoV-2 zutrifft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Transportweg bei den meisten Patienten durch das Immunsystem unterdrückt wird", sagt Simons.

Ansatzpunkt für zukünftige Therapien?

SARS-CoV-2 benötigt den ACE2-Rezeptor, um in Zellen einzudringen, aber andere Faktoren wie Neuropilin-1 seien möglicherweise erforderlich, um dessen Funktion zu unterstützen. Simons vermutet, dass Neuropilin-1 das Virus auffängt und es zu ACE2 lenkt. Weitere Studien müssten nun klären, ob die Blockierung von Neuropilin ein möglicher therapeutischer Ansatz sein könnte.

Quelle:
Neuropilin-1 facilitates SARS-CoV-2 cell entry and infectivity, Ludovico Cantuti-Castelvetri et al., Science (2020), DOI: 10.1126/science.abd2985