COVID-19-Forschung: Die Endokrinologie ist ganz vorn mit dabei

Die Fachgesellschaften DGE und DDG beklagen in einer Stellungnahme, dass Endokrinologie-Lehrstühle geschlossen werden und nicht mehr an jeder Universitätsklinik ein selbständiger Lehrstuhl für Endokrinologie vorhanden ist. Über den Stand der Endokrinologie in der COVID-19-Krise sprach esanum mit Prof. Dr. Matthias Weber.

Die Fachgesellschaften DGE und DDG beklagen in einer Stellungnahme, dass Endokrinologie-Lehrstühle geschlossen werden und nicht mehr an jeder Universitätsklinik ein selbständiger Lehrstuhl für Endokrinologie vorhanden ist. Das seien Folgen des Sparzwangs und der auf Erlösgenerierung ausgerichteten Medizin. Angesichts der auch volkswirtschaftlichen Bedeutung, die Diabetes, Übergewichtigkeit, Osteoporose, Schilddrüsenerkrankungen, sowie auch seltene schwerwiegende Erkrankungen - wie das Cushing-Syndrom - haben, ist das unverantwortbar. Über den Stand der Endokrinologie in der COVID-19-Krise sprach esanum mit Prof. Dr.  Matthias Weber, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE) und Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen an der Universitätsmedizin Mainz.

esanum: Herr Prof. Weber, inzwischen ist bekannt, dass einige Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Adipositas den Krankheitsverlauf von COVID-19 negativ beeinflussen. Was hat man über andere Hormon- und Stoffwechselerkrankungen bei einer COVID-19-Erkrankung herausgefunden?

Weber: Man weiß, dass verschiedene, zum Teil auch seltene, hormonelle Erkrankungen negativ beeinflusst werden können durch eine COVID-19-Erkrankung. Das betrifft vor allem Personen, die mit dem Stresshormon Cortisol Probleme haben, die zu viel oder zu wenig davon haben. Und natürlich macht soziale Isolation für Patienten, die eine regelmäßige ärztliche Betreuung und Einstellung ihrer hormonellen Lage benötigen, zusätzliche Probleme. Hier geht es darum, die richtige Balance zu finden, die Patienten engmaschig zu betreuen und sie dennoch nicht häufig zum Arzt bitten zu müssen.

esanum: An welche Patienten denken Sie da besonders?

Weber: Besonders gefährdet sind die Patienten, die eine Überfunktion von Stresshormonen haben, also die Cushing-Patienten. Denn das Cortisol spielt eine wesentliche Rolle bei der Immunabwehr. Und wir wissen, dass diese Patienten eine erhöhte Infektneigung haben. Sie sind auch überdurchschnittlich gefährdet, einen komplizierten Verlauf zu bekommen.

Patienten mit einem Mangel an diesem Hormon, das sie lebenslang ersetzen müssen, haben auch eine geschwächte Immunabwehr. Und wenn sie einen Infekt haben und Fieber bekommen wie bei der COVID-19-Erkrankung, müssen sie eine erhöhte Konzentration des Stresshormons ersetzen. Dazu müssen sie geschult werden. Sie müssen vermeiden, dass sie in eine lebensbedrohliche Unterversorgungskrise kommen. Das ist oft eine sehr anspruchsvolle Situation. Diese Mangelsituation kann entstehen, wenn die Nebennieren fehlen, etwa aufgrund von Operationen oder Autoimmunerkrankungen. Wenn man wegen Erkrankungen aus dem rheumatischen oder Autoimmunbereich Cortisonpräparate einnehmen muss – schläft die köpereigene Produktion ebenfalls ein. Auch diese Menschen können in einen gefährlichen Mangel geraten. Und das wiederum ist gar nicht selten.

esanum: Muss man diese Patienten also jetzt besonders engmaschig begleiten?

Weber: Richtig. Vor allem muss man sie sehr gut schulen, weil sie das selbst erkennen müssen. Wenn sie Fieber bekommen oder sich krank fühlen, können sie das nicht zu Hause aussitzen, sondern man muss die Dosis ihrer Medikamente erhöhen. Wenn sie erbrechen oder Durchfall haben, müssen die Hormone über die Vene gegeben werden. Dazu muss natürlich der Arzt informiert werden.

esanum: Sind diese Beobachtungen nicht erwartbar, dass bestimmte Krankheitsfaktoren Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben?

Weber: Das war schon in Bezug auf andere Erkrankungen klar, wird aber jetzt durch die soziale Isolation gefährlicher. Wenn beispielsweise die notwendigen Kontrollen nicht mehr durchgeführt werden. Das betrifft dann auch andere hormonelle Erkrankungen, die zum Beispiel mit dem Wasserhaushalt zu tun haben.

esanum: Leben diese Patienten jetzt alle gefährlich, weil sie nicht regelmäßig zum Arzt gehen können oder wollen?

Weber: Also für meine Patienten kann ich sagen, dass der telefonische Kontakt so intensiv und ausreichend war, ebenso die Schulung der Patienten, dass sie wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Man muss gut mit ihnen in Kontakt bleiben, denn sie sind natürlich auch beunruhigt. Viele melden sich von selbst, da muss man die Erreichbarkeit organisieren. Und bei Schwerkranken muss man sich auch aktiv melden.

esanum: Sollten Ihre Patienten wegen ihrer besonderen Gefährdung routinemäßig auf Sars-CoV-2 getestet werden?

Weber: Das ist als Routinemaßnahmen nicht notwendig. Wir untersuchen ohnehin jeden, der stationär zu uns kommt. Wenn ein Kontakt zu einem Infizierten vorliegt, muss man natürlich entsprechend aktiv werden. Der Endokrinologe denkt immer daran, dass Abgeschlagenheit und Schwäche auch Symptome hormoneller Erkrankungen sein können, die sich auch als Infektion tarnen können. Und das ist auch Aufgabe des Klinikers, daran mit zu denken.

esanum: Welche endokrinologischen Fragen sind derzeit dringlich? Welche weißen Flecke müssen als nächstes erforscht werden?

Weber: Die Rolle der Hormone im Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung ist eine ganz spannende Thematik. Das Angiotensin-Converting Enzym 2, das eine wichtige Rolle bei der hormonellen Blutdruckregulation spielt, stellt ja auch die Eingangspforte für die Corona-Viren dar und ist damit besonders im Visier. Die Endokrinologie ist ein ganz wichtiger Grundlagenforschungsbereich, um dem Auftreten, der Verbreitung, der Behandlung dieser Infektion auf die Spur zu kommen. Wir Endokrinologen sind da ganz vorn mit dabei. Auch die Diskussion um die Blutdruckmedikamente hat gezeigt, wie wichtig dieses Thema ist. Und schließlich braucht auch die Frage von Dexamethason, ein schweres Cortison-Präparat, als Mittel bei schwerwiegenden Verläufen, vertiefte Forschung. Hormone spielen bei all dem eine ganz zentrale Rolle.

esanum: Wie schätzen Sie die Versorgungssituation in Kliniken und Praxen für Ihre Patienten ein?

Weber: Insgesamt ist die stationäre Versorgung mit Endokrinologen nicht so, dass wir zufrieden sein können. Wir sind weiter unterrepräsentiert. Das liegt zum Teil am Abrechnungssystem. Es ist lukrativer, eine Herzklappe einzubauen als eine hormonelle Einstellung vorzunehmen. Das betrifft dann leider nicht nur seltene hormonelle Erkranken, sondern auch endokrinologische Volkskrankheiten wie den Diabetes, Osteoporose, Schilddrüsenerkrankungen, sodass es sehr wünschenswert ist, dass politisch gesteuert wird – und die Endokrinologie wieder eine angemessene, also wichtigere Rolle in der stationären Versorgung bekommt.

esanum: Kommt da vielleicht durch die Lehren aus der Corona-Pandemie etwas in Bewegung?

Weber: Da bin ich nicht sehr optimistisch. In der Erforschung von COVID-19 ist die Endokrinologie unabdingbar, aber solange die Abrechnungsstruktur so bleibt, wird sie wohl bei der stationären Versorgung und in der Ausbildung weiter eine untergeordnete Rolle spielen. Dennoch versuchen wir als Fachgesellschaft, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es nicht nur auf teure und aufwendige Untersuchungen ankommt, die entsprechend vergütet werden, sondern auch darauf, dass man sich mit dem ganzen Patienten beschäftigt.  Das tut die Endokrinologie. Bei ihr steht der Patient immer im Mittelpunkt, weil Hormone eben den ganzen Menschen und alle Organe betreffen.