Demenz in Deutschland: Studie zeigt deutliche regionale Unterschiede

Einer Studie des DZNE und der Universitätsmedizin Greifswald zufolge, gibt es bei der Verteilung von Menschen mit Demenz große regionale Unterschiede in Deutschland. Darum muss die Versorgung angepasst und optimiert werden.

Große Herausforderung für die Gesellschaft

Einer Studie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) und der Universitätsmedizin Greifswald zufolge, gibt es bei der Verteilung von Menschen mit Demenz große regionale Unterschiede in Deutschland. Der Anteil ist in vielen östlichen Landkreisen, in einigen Gebieten im Norden, im mittleren Südwesten und im Süden überdurchschnittlich hoch. Darum muss die Versorgung regional angepasst und optimiert werden.

Im Sicherheitsreport 2020, einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Centrums für Strategie und Höhere Führung, gaben 42 Prozent der Befragten an, Angst vor Demenz und Pflegebedürftigkeit im Alter zu haben. Tatsächlich könnte sich in den kommenden 30 Jahren die Zahl der Demenzfälle von derzeit rund 1,6 Millionen auf etwa 2,8 Millionen erhöhen. "Angesichts steigender Lebenserwartung und der Verschiebung der Alterspyramide in Deutschland stehen wir vor einer gewaltigen Aufgabe", so Dr. René Thyrian, Experte für die Versorgung von Menschen mit Demenz am DZNE-Standort Rostock/Greifswald. "Wir benötigen eine adäquate Versorgung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. Die Angebote müssen auf die örtliche Situation in Landkreisen und Kommunen zugeschnitten sein. Dazu muss man den Bedarf kennen. Diesen haben wir aufgeschlüsselt."

Analyse auf kommunaler Ebene

Das Forschungsteam um Thyrian hat anhand aktueller Daten untersucht, wie sich Demenzbetroffene über Deutschland verteilen. Für die Studie im Fachjournal "Der Nervenarzt" schätzten die WissenschaftlerInnen die Anzahl auf Kreisebene ein: Kreisfreie Städte und Kreise bilden jeweils eine geografische Einheit. Für jede einzelne der insgesamt 401 geografischen Einheiten berechneten die Forschenden die Anzahl der an Demenz erkrankten Personen im Alter ab 65 Jahren. Zudem errechneten sie den prozentualen Anteil von Menschen mit Demenz an der Gesamtbevölkerung sowie die regionale Bevölkerungsdichte für Betroffene. Dafür nutzten die Forschenden Daten des Statistischen Bundesamtes und der "European Collaboration on Dementia". "Alle diese Informationen sind öffentlich zugänglich. Für unsere Studie haben wir sie in geeigneter Weise kombiniert. Aufgrund der hohen Datenmenge war das eine absolute Fleißarbeit", erklärt Thyrian.

Osten Deutschlands besonders betroffen

Der Studie zufolge liegt der Anteil von Menschen mit Demenz an der Gesamtbevölkerung – kommunal, also auf Kreisebene – derzeit zwischen ungefähr 1,4 und drei Prozent. "Wir haben herausgefunden, dass Demenz in Deutschland sehr ungleichmäßig vorkommt – und dass es Gebiete gibt, in denen prozentual gesehen doppelt so viele Betroffene leben wie in anderen Teilen der Republik", so Thyrian. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil in vielen Regionen im Osten des Landes und in einigen nördlichen Landkreisen im Norden, im mittleren Südwesten und im Süden der Bundesrepublik. "Während beispielsweise im Kreis Freising der Anteil an Menschen mit Demenz an der Bevölkerung bei 1,4 Prozent liegt, so ist dieser Anteil in Görlitz oder Dessau-Roßlau mit mehr als 2,9 Prozent etwa doppelt so hoch", sagt der Experte. Die Ursache für den hohen Anteil von Demenzbetroffenen in einigen ländlichen Kreisen sieht er in der Altersstruktur der jeweiligen Region. Denn dort würden überdurchschnittlich viele ältere Menschen leben. "In Ballungsgebieten wie etwa dem Ruhrgebiet gibt es ebenfalls einen hohen Anteil von Menschen mit Demenz aufgrund der Altersstruktur und weil diese Regionen zudem sehr dicht besiedelt sind", erläutert Thyrian.

Oft weite Wege zum nächsten Arzt

In manchen ländlich geprägten Kreisen leben nur wenige Menschen mit Demenz auf einem Quadratkilometer - obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung eigentlich relativ hoch ist. "In dünn besiedelten Gebieten ist der Weg zur nächsten ärztlichen Praxis oder Tagespflege in der Regel weit. Das macht die spezialisierte, wohnortnahe Versorgung schwierig. Denn betagte Menschen und besonders Menschen mit Demenz sind meist nur eingeschränkt mobil", so Thyrian. "In Kreisen wie beispielsweise Salzwedel in Sachsen-Anhalt und dem brandenburgischen Ostprignitz-Ruppin gibt es zwar einen hohen Anteil von Menschen mit Demenz, diese verteilen sich aber über ein großes Gebiet. Dort steht man sicherlich vor anderen Herausforderungen als in dichter besiedelten Regionen."

Passgenaue Lösungen gefragt

"Unsere Analysen zeigen, dass eine Darstellung auf Bundesebene die Situation für die einzelnen Kreise und kreisfreien Städte nur unvollständig abbildet." Bei der Versorgung von Demenzbetroffenen und deren Angehörigen in Deutschland müssten regionale Gegebenheiten beachtet werden: "Jeder Kreis steht vor einer individuellen Herausforderung. Es sollte geprüft werden, inwieweit die bisherigen Strukturen in der Region angemessen sind. Wenn es mehr Demenzbetroffene als bislang angenommen gibt, bräuchte man mehr Versorgungsangebote. Auch in der Stadtplanung kann man darauf achten, zum Beispiel durch mehr barrierefreie öffentliche Plätze und Gebäude. Ob der Anteil an Demenz erkrankter Menschen an der Gesamtbevölkerung eines Kreises ein Prozent oder drei Prozent beträgt, macht nun mal einen bedeutenden Unterschied. Es sollte also passgenaue regionale Lösungen geben, da die Kreise unterschiedlich betroffen sind."

Quelle:
Die Prävalenz an Demenz erkrankter Menschen in Deutschland – eine bundesweite Analyse auf Kreisebene,Thyrian, J.R., Boekholt, M., Hoffmann, W. et al., Nervenarzt (2020), DOI: 10.1007/s00115-020-00923-y, URL: https://link.springer.com/article/10.1007/s00115-020-00923-y