Der freie Arztberuf ist angegriffen

Der Deutsche Hausärzteverband hat einen offenen Brief an den GKV-Spitzenverband geschrieben. Darin wird die Empörung der Hausärzte gegenüber bestimmten Bestrebungen des GKV-Spitzenverbandes zum Ausdruck gebracht. Vincent Jörres, Pressesprecher des Deutschen Hausärzteverbandes, erklärt Hintergründe des Konfliktes, sowie die Forderungen der Hausärzte.

Der Deutsche Hausärzteverband hat einen offenen Brief an den GKV-Spitzenverband geschrieben.

Darin wird die Empörung der Hausärzte gegenüber bestimmten Bestrebungen des GKV-Spitzenverbandes zum Ausdruck gebracht. Im Kern geht es um Einmischungen in den freien Arztberuf, insbesondere um die Ausgestaltung der Sprechstundenzeiten. Vincent Jörres, Pressesprecher des Deutschen Hausärzteverbandes, erklärt Hintergründe des Konfliktes, sowie die Forderungen der Hausärzte.

esanum: Herr Jörres, der Deutsche Hausärzteverband hat kürzlich in einem offenen Brief an den GKV-Spitzenverband seinem Unmut über bestimmte GKV-Bestrebungen Luft gemacht. Was hat Sie so auf die Palme gebracht?

Jörres: Wir erleben verstärkt Tendenzen einiger Krankenkassen, insbesondere aber des GKV-Spitzenverbandes, die darauf abzielen, eine Normierung des freien Arztberufes durchzusetzen und den Ärzten immer mehr Arbeit aufzuhalsen. Unter anderem wird immer wieder gefordert, dass Ärzte ihre Sprechstundenzeiten noch mehr ausweiten sollen. Obwohl Hausärztinnen und Hausärzte bereits 53 Stunden pro Woche arbeiten. Auch Sprechstunden samstags und spätabends  werden gefordert.

esanum: Warum diese Forderung?

Jörres: Es geht darum, dass den Patienten auch außerhalb der üblichen Zeiten Termine angeboten werden sollen. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Doch es ist natürlich illusorisch, jenseits der ohnehin schon hohen Arbeitsbelastung zusätzliche Sprechstunden zu fordern, zumal, wenn es mit sehr geringen Zuwächsen in der Vergütung – wenn überhaupt! – einhergeht.

esanum: Also mehr arbeiten für das gleiche Geld?

Jörres: Das wäre den Kassen sicher immer am liebsten. Der Punkt ist: Auch die Arbeitszeit der Hausärzte ist natürlich begrenzt. Das ist nicht beliebig ausdehnbar. Und es ist äußerst befremdlich, mit welcher Anspruchshaltung der GKV-Spitzenverband auftritt.

esanum:Die Spannungen sind ja nicht neu, was hat zuletzt das Fass zum Überlaufen gebracht?

Jörres: Der Konflikt zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern, also zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft, liegt ja gewissermaßen in der Natur der Sache. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Nur hat sich der Ton von Seiten des GKV-Spitzenverbandes in letzter Zeit deutlich verschärft. Und daher waren wir der Meinung, deutlich reagieren zu müssen. Die Rückmeldungen unserer Mitglieder und anderer Verbände zeigen, dass wir nicht die einzigen sind, die dieses Vorgehen nicht mehr schweigend hinnehmen wollen.

Etwa zwei Wochen vor der Versendung des offenen Briefes kamen vonseiten des GKV-Spitzenverbandes sehr fordernde Töne  zur Arbeitszeit der Ärzte und zur Ausweitung der Sprechstundenzeiten, die mit einem Duktus einhergingen, der uns sehr irritiert hat. Wenn beispielsweise gesagt wird, dass die Krankenkassen ja wohl erwarten könnten, dass Ärzte dieses oder jenes tun, dann ist das eine Verdrehung der Rolle der Krankenkassen. Die Ärzte sind nicht die Angestellten der Krankenkassen! Im Übrigen: Als Spitzenverband der Krankenkassen zu versuchen, Ärzte und ihre Patienten gegeneinander auszuspielen, ist eine geradezu absurde Strategie. Es ist schon sehr verwunderlich, dass sich ausgerechnet der GKV-Spitzenverband als Vertreter der Patienteninteressen profilieren möchte.

Die Kassen sind vor allem dazu da, die Gelder zu verwalten. Sie sind weder die Interessenvertreter der Patienten noch sind sie diejenigen, die den Ärzten vorschreiben können, wie sie ihren Berufsalltag zu gestalten haben.

esanum: Im offenen Brief ist die Rede von einem Angriff auf die Freiheit des Arztberufes. Pathos oder Realität?

Jörres: Der Arztberuf ist ein freier Beruf. Die Niedergelassenen tragen auch ein unternehmerisches Risiko. Und entsprechend sollte es ihnen überlassen bleiben, ob sie Freitagnachmittag oder Mittwochnachmittag Sprechstunden anbieten. Das sind Entscheidungen, mit denen die Kassenvertreter nichts zu tun haben. Doch der GKV-Spitzenverband drängt zunehmend darauf, vorzuschreiben, wie Ärzte ihren Arbeitsalltag ausgestalten. Und das passt mit dem Berufsbild des freien Arztes in keiner Weise zusammen.

esanum: Was wollen Sie konkret erreichen, was erwarten Sie vom Vorstand der GKV?

Jörres: Wir erwarten, dass der GKV-Spitzenverband von der weiteren Einmischung in die Arbeitsgestaltung der niedergelassenen Ärzte absieht. Es kann nicht sein, dass Kassen meinen, vorschreiben zu können, ob und wann Ärzte offene Sprechstunden  oder Termin-Sprechstundenzeiten anbieten sollen. Das geht die Kassen nichts an. Wir erwarten, dass der GKV-Spitzenverband sich wieder auf seine ursprüngliche Rolle besinnt, das ist insbesondere die Verwaltung der Gelder.

Trotzdem ist der GKV-Spitzenverband natürlich ein wichtiger Akteur der Selbstverwaltung. In diesem Zusammenhang haben wir eine Reihe von Forderungen im offenen Brief erhoben: Unter anderem auch  die Entbudgetierung von typisch hausärztlichen Leistungen wie Hausbesuche, Palliativversorgung, Geriatrie. Da haben wir Nachholbedarf. Gerade in Zeiten, in denen der Bedarf nach diesen hausärztlichen Leistungen immer weiter steigt, ist dies der Bereich, in welchen mehr deutlich Geld fließen muss. Außerdem erwarten wir, dass Hausbesuche deutlich besser vergütet werden. Es ist kein Geheimnis, dass ein Hausbesuch mit 22 Euro deutlich unterfinanziert ist. Hier gibt es zumindest eine Andeutung von Gesprächsbereitschaft des GKV-Spitzenverbandes. Der GKV-Spitzenverband sollte sich selbst hinterfragen, was die Kassen dazu beitragen können, damit Ärzte mehr Zeit für die Patienten haben. Da wäre insbesondere eine Beendigung des Bürokratiewahnsinns in den Praxen ein Thema. Hier ist der Arbeitsaufwand immer weiter gestiegen, ein Aufwand, der nicht den Patienten zugute kommt.

esanum: Müssten nicht im Idealfall Krankenkassen und Ärzte an einem Strang ziehen - und Patientinnen und Patienten gemeinsam die beste Medizin anbieten?

Jörres: Absolut. Es gibt ja auch Krankenkassen, die den Handlungsbedarf erkannt haben und innovativ mit neuen Ideen mutig vorweg gehen. Der GKV-Spitzenverband hingegen verlegt sich darauf, den Status quo zu erhalten.

esanum: Welche Kassen sind gute Vorreiter?

Jörres: Beispielsweise hat die AOK Baden-Württemberg im Rahmen des Hausarztprogramms wichtige Impulse gesetzt. Auch die Bosch BKK bringt sich sehr aktiv ein. Es gibt immer mehr Krankenkassen, mit denen wir sehr partnerschaftlich zusammenarbeiten. Da findet zunehmend ein Umdenken statt. Aber beim Spitzenverband auf Bundesebene hat man den Eindruck, dass die Damen und Herren den Praxisalltag schon lange nicht mehr kennen.

esanum: Glauben Sie, der offene Brief kann die angesprochenen Probleme lösen?

Jörres: Natürlich ist ein einziger offener Brief kein Mittel, das gravierende Änderungen in der Gesundheitspolitik schaffen wird. Das ist eine Maßnahme von vielen. Es gibt natürlich Gespräche mit der Politik, mit den Krankenkassen.

Wir glauben, dass die Zeit reif ist für wesentliche Verbesserungen zur Finanzierung der hausärztlichen Versorgung. Es gab ja bereits Verbesserungen, insgesamt ist die Vergütung der Hausärzte gestiegen – im Übrigen meist gegen den Widerstand des GKV-Spitzenverbandes.

Wir sehen, dass der Bedarf nach hausärztlicher Versorgung aufgrund des demografischen Wandels immer weiter steigt. Wir sehen auch, dass viele Kollegen Schwierigkeiten haben, Nachfolger zu finden. Die Patienten sind besorgt, wie es weitergeht, wenn ihr Hausarzt in Rente geht. Das muss ein Anlass sein, dass die Politik, die ärztliche Selbstverwaltung und die Krankenkassen, die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, um die Versorgung langfristig sicher zu stellen.

esanum: Wollen Sie auf diese Weise den Hausarztberuf auch wieder attraktiver machen für jüngere Kollegen?

Jörres: Unbedingt. Man muss in der Universität und der ärztlichen Weiterbildung anfangen. Ungefähr zehn Prozent der Studierenden lassen sich zum Allgemeinmediziner weiterbilden. Es müssten eigentlich mindestens 30 Prozent sein, um den Bedarf zu decken. Dafür muss das Berufsbild so attraktiv sein, dass junge Leute das machen wollen. Der Hausarztberuf ist sehr erfüllend, aber die Rahmenbedingungen müssen auch stimmen. Es kann nicht sein, dass es nach wie vor ein großes Gehaltsgefälle zwischen manchen fachärztlichen Gruppen und Hausärzten gibt. Wenn man in der Radiologie doppelt oder dreifach so viel verdient wie als Hausarzt, ist ja klar, dass das Auswirkungen hat. Das muss sich ändern. Auch die konkrete Niederlassung muss attraktiver sein. Und da ist eben das größte Ärgernis der Bürokratiewahnsinn. Wenn wir diese Probleme in den Griff kriegen, dann werden sich auch wieder mehr junge Leute für den Hausarztberuf interessieren. Es gibt schon deutliche Verbesserungen. Doch da muss mehr Tempo rein. Alle Akteure müssen dazu an einem Strang ziehen. Querschüsse vom GKV-Spitzenverband verzögern diese Entwicklung nur.

esanum: Welche Druckmittel haben Sie notfalls, um Forderungen durchzusetzen? Sie können ja wohl kaum streiken?

Jörres: Wir werden weiter intervenieren und den Druck aufrechterhalten. Wir bauen darauf, dass die Verantwortlichen in der Politik die Handlungsnotwendigkeit erkennen. Wir erleben auch in vielen Gesprächen, dass das bereits geschieht. Und der größte Druck auf den GKV-Spitzenverband ist natürlich die Situation vor Ort. Denn wenn sich immer weniger Hausärzte niederlassen und immer weniger Hausärzte immer mehr Patienten versorgen müssen, kann das niemanden kalt lassen.