„Der Halbgott in Weiß hat hoffentlich bald ausgedient“

Im Interview mit esanum erklärt Internetarzt Dr. Johannes Wimmer, wie Patienten sich bei einem Arztbesuch verhalten und warum Behandlungen per Internet erlaubt sein sollten. Krankheiten zu googlen

Im Interview mit esanum erklärt Internetarzt Dr. Johannes Wimmer, wie Patienten sich bei einem Arztbesuch verhalten und warum Behandlungen per Internet erlaubt sein sollten. Krankheiten zu googlen hält er für sinnlos.

„Dr. Johannes“ heißt eigentlich Dr. med. Johannes Wimmer. Auf der Webseite www.doktor-johannes.de präsentiert der studierte Mediziner in Kurzvideos, wie Patienten sich bei einem Arztbesuch verhalten sollen. Er erklärt dabei vor allem Grundsätzliches: Wie erkläre ich als Patient meine Beschwerden? Was bedeuten Laborwerte? Was sind die Risiken einer Operation? Sein Ziel: Der mündige Patient, der dem Arzt sagen kann, was ihm fehlt. Für seine Videos hat er bereits mehrere Preise für Patientenkommunikation erhalten.

esanum: „Medizin ist Kommunikation!“ lautet Ihr Leitsatz. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Arzt aus? Wie findet man diesen?

Dr. Johannes: Für mich kommuniziert ein guter Arzt mit seinen Patienten, bevor er sie behandelt. Das ist heutzutage in Deutschland nicht mehr selbstverständlich. Das bedeutet nicht, dass man als Arzt ewig lange Gespräche führen soll. Es bedeutet vielmehr, dass man mit seinen Patienten konkret über das Anliegen und vor allem das persönliche Ziel des Arztbesuches spricht. Ganz entscheidend ist, dass man als Arzt die wichtigen Dinge tatsächlich anspricht. Patienten sollten die kommunikativen Fähigkeiten eines Arztes am besten bei einem elektiven Termin überprüfen und nicht erst nach einem Arzt des Vertrauens suchen, wenn die Not in einer akuten Situation bereits sehr groß ist. Dann nimmt der Patient im Zweifelsfall jede Hilfe an.

esanum: In welchen Bereichen haben Ärzte in Deutschland Defizite? Woraus resultieren diese?

Dr. Johannes: In den USA habe ich standardisierte, patientenorientierte Gesprächsführung gelernt. Dabei bedeutet Standard nicht oberflächlich oder gefühlsarm, wie es den Amerikanern gerne vorgeworfen wird, sondern dass man auch mit einem weißen Blatt in der Hand eine empathische und ausführliche Anamnese erheben kann. Wir deutschen Ärzte halten uns zu oft an den vorgedruckten Anamnesebögen fest und neigen immer wieder zu vorzeitigen Schlussfolgerungen, da wir meinen, nach 30 Sekunden das Problem erkannt zu haben. Für den Ursprung dieser Defizite muss man sich nur einmal anschauen, wie die Wahrnehmung der Ärzte in der Bevölkerung vor 20 Jahren aussah – der alte Spruch „Halbgott in Weiß“ hat hoffentlich bald ausgedient.

esanum: Wie sollten sich Patienten bei einem Arztbesuch verhalten, um eine treffende Diagnose und gute Beratung zu bekommen? Was sollte man besser vermeiden?

Dr. Johannes: Das wichtigste bei jedem Arztbesuch ist, sich als Patient ein konkretes Ziel zu setzen und die Praxis erst zu verlassen, wenn man dieses Ziel erreicht hat. Ein Ziel kann beispielsweise eine Krankschreibung oder eine zweite Meinung sein. Patienten wissen, dass sie von ihren Ärzten keine Wunder erwarten sollten. Zudem sollten sich die Patienten vor dem Arztbesuch einige Minuten lang in aller Ruhe überlegen, wie sie ihr Problem schildern und beim Arztbesuch das schwerwiegendste Problem zuerst erläutern können. Wenn danach noch Zeit ist, kann man über die sekundären Beschwerden sprechen. Patienten sollten vermeiden, sich via Internet mal eben nebenbei eine Selbstdiagnose zu stellen und dann vom Arzt die Behandlung zu verlangen, zu der Doktor Google geraten hat. Hier ist der Konflikt mit dem Arzt vorprogrammiert und im schlimmsten Fall die eigene Gesundheit in Gefahr.

esanum: Gesunde und Kranke googlen heute ihre „Krankheiten“, sobald es irgendwo ziept oder zwickt. Inwieweit macht das Internet uns alle zu Hypochondern?

Dr. Johannes: Das Internet kennt vor allem die schlimmen und seltenen Erkrankungen. Diese sind im Netz vollkommen überrepräsentiert. Dummerweise weiß man das nicht als User, wenn man nachts um drei Uhr von Sorgen getrieben am Computer sitzt und denkt, dass man morgen tot sein wird. Von Cyberchondern wird gesprochen, wenn Menschen, die einen Hang zum Hypochonder haben, sich dort die entsprechenden Informationen besorgen.

esanum: Ihre Videos verkürzen medizinische Fragestellungen sehr stark. Welche Botschaften soll ein Zuschauer aus Ihren Videos mitnehmen?

Dr. Johannes: Ich möchte die wichtigsten 10% der medizinischen Inhalte für 100% der User verständlich darstellen – nicht akademisch alles bis ins letzte Detail erklären. Die Botschaft für meine Zuschauer ist: Überlegt Euch mithilfe Eurer Ärzte, welche Untersuchung, Behandlung oder Medikamente für Euch persönlich die beste Medizin sind. In der Medizin gibt es fast immer noch alternative Möglichkeiten der Versorgung. Wir Ärzte können diese mit ihren Vor- und Nachteilen vorstellen. Die Entscheidung muss aber gemeinsam mit dem Patienten getroffen werden. Ansonsten hat man das klassische Problem, dass die Patienten die vorgeschlagene Behandlung vor dem Arzt zwar abnicken, zuhause aber nicht umsetzen.

esanum: Gibt es Themen/Krankheiten, die Sie nicht online besprechen würden? Wo ziehen Sie Ihre Grenzen?

Dr. Johannes: Grundsätzlich fühle ich mich mit allen Themen wohl, die in der Bevölkerung bekannt sind und bei denen es viel zu erklären gibt. Ich habe ja keine Facharztbezeichnung für alle Gebiete der Medizin und traue es mir deswegen auch nicht zu, das tiefgehende Detailwissen wie die entsprechenden Spezialisten zu vermitteln. Von fachspezifischen Expertenantworten halte ich mich fern, die Kollegen sind aber herzlich eingeladen ihre Expertise bei mir darzustellen.

esanum: Wenn Sie drei Dinge im deutschen Gesundheitssystem ändern könnten. Welche wären das?

Dr. Johannes: Zuerst würde ich Krankenschwestern und Pfleger aktiver in medizinische Abläufe und Entscheidungen einbeziehen und das System der „Physician Assistants“ aus den USA einführen. Das heißt, Assistenten mit medizinischem Wissen und der Möglichkeit, ärztliche Handlungen in Absprache mit den Ärzten auszuführen, in den klinischen und Praxis-Alltag zu integrieren.

Außerdem würde ich die Behandlung von denjenigen Krankheiten oder medizinischen Problemen per Internet erlauben, bei denen ein Patient auch beim Besuch in der Arztpraxis „nicht angefasst“ wird. Dazu zählt zum Beispiel die Ausstellung von Folgerezepten. Darüber hinaus würde ich Ärzte am liebsten dazu zwingen, ihr Wissen online in Form von Videos für ihre Patienten darzustellen. Dazu zählen vor allem Filme, die Patienten auf den Arztbesuch vorbereiten und den Patienten nach dem Arztbesuch die wichtigsten Inhalten noch einmal wiedergeben.

www.doktor-johannes.de

Interview: Volker Thoms

Foto: Miguel Ferraz