Diabetologie in der ökonomisierten Medizin: "Was bringt uns das?"

Fällt die gute Versorgung von Menschen mit Diabetes dem Rotstift zum Opfer? Dieser Frage widmeten sich kürzlich Experten der Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bei der Jahrespressekonferenz der Fachgesellschaft.

Fällt die gute Versorgung von Menschen mit Diabetes dem Rotstift zum Opfer? Dieser Frage widmeten sich kürzlich Experten der Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bei der Jahrespressekonferenz der Fachgesellschaft.

Die Diabetologie wird selbst zum Patienten, wenn es so weitergeht. So könnte das Fazit der Jahrespressekonferenz lauten, mit der sich die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin an die Öffentlichkeit gewandt hat. Kritische Zustände machen die DDG-Experten vor allem im Krankenhaus, in der Ausbildung und in der (Nicht-) Finanzierung neuer therapeutischer Ansätze aus.

Ein Drittel der Krankenhaus-Patienten hat Diabetes

Nicht immer bewahrheiten sich demografische Vorhersagen. Soweit es den Diabetes betrifft, scheint das aber der Fall zu sein. Die Prävalenz dieser Volkskrankheit nimmt mit dem steigenden Alter der Bevölkerung messbar zu.

"Im Jahr 2030 wird ein Drittel aller Menschen an vier bis fünf chronischen Krankheiten leiden. Dazu werden Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und – am häufigsten – Diabetes zählen", so PD Dr. Erhard Siegel. Heute schon führt etwa ein Drittel der 18,5 Millionen Patienten, die jährlich in deutschen Krankenhäusern behandelt werden, die Stoffwechselerkrankung als Haupt- oder Nebendiagnose mit sich.

Was bedeutet das für die Kliniken? Eine ökonomische Herausforderung: Bei stationären Patienten, die (auch) an einem schlecht eingestellten Diabetes leiden, steigt die Krankenhausverweildauer signifikant an. Für das erfolgreiche Behandlungsmanagement dieser meist multimorbiden, komplexen Patienten bedarf es gut ausgebildeter Fachärzte in der Klinik. Ohne eine interventionelle und perioperative Mitbetreuung der derangierten Stoffwechselsituation steigen die Komplikationsrisiken und -raten.

Gute Diabetes-Einstellung rechnet sich – aber nicht im DRG-System

Ein guter Struktur- und Qualitätslevel bringt dem Krankenhaus deshalb letztlich auch ökonomische Vorteile. Allerdings ist hier wohl noch viel Aufklärungsarbeit auf der Geschäftsführungsebene zu leisten. Denn die zu beobachtende Entwicklung erscheint derzeit genau gegenläufig. Vom wirtschaftlich motivierten Betten- und Klinikabbau sind internistische, diabetologische und endokrinologische Abteilungen besonders betroffen, da der hohe Anteil an "sprechender Medizin“ sie im DRG-System (Diagnosis Related Groups) finanziell unattraktiv macht.

Als ein konkretes Beispiel verweist Siegel auf die Erlössituation bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom. Nach zwei bis drei Wochen aufwendiger, zeit- und beratungsintensiver Behandlung bekommt die Klinik etwas halb so viel ("wenn es gut läuft") wie bei einer Zehenamputation nach sieben Tagen. Weniger Geld bei längerer Liegezeit – eine solch unrentable Erlössituation provoziert Entscheidungskonflikte im Unternehmen Krankenhaus.

Als ärztlicher Direktor führt der Diabetologe und gegenwärtige Past Präsident der DDG mindestens einmal wöchentlich mit der Geschäftsführung eine Diskussion über die Frage: "Was bringt uns das?" Der Abbau diabetologischer Betten im eigenen Krankenhaus konnte laut Siegel bisher verhindert werden, indem deren wirtschaftlicher Verlust durch gewinnträchtige Behandlungsfälle ausgeglichen wird. Eine solche Mischkalkulation ist aber "in ländlichen Bereichen nicht möglich".

"Bund und Länder sind gefragt!"

Immer öfter steht also die Kosten-Nutzen-Rechnung im Mittelpunkt und nicht das Patientenwohl. Trotz steigender Prävalenz der Erkrankung werden die Versorgungsstrukturen für Diabetes-Patienten abgebaut. Mittelfristig erhöht das die Morbiditätsgefahr, so DDG-Präsident Prof. Baptist Gallwitz. Deshalb müsse jetzt reagiert werden: "Bund und Länder sind gefragt!"

Eigentlich ist die Diabetologie ja ein Paradefach mit Modellcharakter für eine ganzheitliche Medizin, so Gallwitz. Wenn die Famulanten und Studenten im praktischen Jahr ihn bei seiner täglichen konsiliarischen Arbeit im Krankenhaus begleiten, können sie lernen, sich als ärztlicher Teamplayer über Fach- und Berufsgrenzen hinweg zu verstehen. Allerdings sieht der DDG-Präsident die Gefahr, dass der Medizinernachwuchs demnächst weder im Studium noch in der Weiterbildung mit der Diabetologie überhaupt noch in Kontakt kommt.

Um die ungünstige Entwicklung zu drehen und bedrohliche Zukunftsszenarien zu vermeiden, hat die DDG zusammen mit Berufs- und Patientenverbänden im Positionspapier Diabetologie 2025 mehrere zentrale Forderungen an die Politik formuliert, wie etwa

DDG-Zertifikat hilft bei der Auswahl diabetologisch kompetenter Kliniken

Für eine spezialisierte diabetologische Betreuung sind gegenwärtig etwa 165 Einrichtungen in Krankenhäusern von der DDG zertifiziert. Diabetes-Patienten und ihre überweisenden Ärzte sollten bei der Wahl des Krankenhauses für einen elektiven Eingriff darauf achten.

Und wie sieht es in der ambulanten Diabetologie aus? "Gerade noch gut", meint Gallwitz. Neben rund 1.100 diabetologischen Schwerpunktpraxen betreuen ca. 60.000 Hausärzte, die zu einem großen Teil bereits die 50 Jahre erreicht oder überschritten haben, etwa 80% der Diabetes-Patienten. Abgesehen von Nachwuchssorgen gibt es auch hier Probleme mit der Finanzierung, nämlich im Umgang mit therapeutischen Innovationen.

AMNOG-System muss dazu lernen

Bei der Anwendung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) stehen offenbar weniger Patientenwohl und medizinische Standards im Vordergrund als vielmehr formale Kriterien und preispolitische Zwänge. "Was hat das AMNOG für die Diabetologie gebracht? Acht Substanzen wurden vom Markt genommen", kritisiert Prof. Dirk Müller-Wieland, Vizepräsident und Mediensprecher der DDG. Das AMNOG sei zwar "an sich sinnvoll", die praktizierte Methodik der frühen Nutzenbewertung mit daran gekoppelter Preisverhandlung aber höchst problematisch. Hier besteht Lern- und Änderungsbedarf.

Die Verbesserungsvorschläge der DDG betreffen u.a. die strukturierte Einbindung der wissenschaftlichen Fachgesellschaften bei der Definierung des "medizinischen Standards" durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Auch die Patientenvertretung sollte strukturiert und vor allem stimmberechtigt in die Bewertung neuer therapeutischer Ansätze einbezogen werden. Zudem hält die DDG grundsätzlich einen unabhängigen wissenschaftlichen Beirat für sinnvoll, der sich u.a. der medizinischen Plausibilitätskontrolle der AMNOG-Ergebnisse widmet. Wenn tatsächlich das Patientenwohl im Mittelpunkt stehen soll, erscheinen diese Forderungen eigentlich als selbstverständlich.

Quelle:

"Ökonomisierung in der Medizin: Fällt die gute Versorgung von Menschen mit Diabetes dem Rotstift zum Opfer?" Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Berlin, 16.03.2017.