Eine Therapie mit zwei Gesichtern

Was bei einer Medikation mit Angiotensin-Konversionsenzym (ACE)- und Angiotensin1-Inhibitoren (Sartanen) in der jetzigen pandemischen Situation zu beachten ist - Antworten aus der 2. Folge der Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis".

Die Medikation mit Angiotensin-Konversionsenzym (ACE)- und Angiotensin1-Inhibitoren ist janusköpfig

Was bei einer Medikation mit Angiotensin-Konversionsenzym (ACE)- und Angiotensin1-Inhibitoren (Sartanen) in der jetzigen pandemischen Situation zu beachten ist - Antworten aus der 2. Folge der Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis". Das Thema "ACE-/Angiotensin1-Inhibitoren und COVID-19" wird aktuell global in der Wissenschaftswelt kontrovers diskutiert. Die Bewältigung dieser Problematik in Kombination mit den Ängsten der Patientinnen und Patienten vor einer erhöhten Infektionsanfälligkeit gegenüber SARS-CoV-2 wird den praktizierenden Hausärztinnen und Hausärzten in ihrem klinischen Alltag enormes abverlangen.

Das Angiotensin-Konversionsenzym ACE2 könnte die entscheidende funktionelle Eintrittspforte für das SARS-CoV-2 sein.1-4 In wissenschaftlichen Studien konnte zudem beobachtet werden, dass ACE- und Angiotensin1-Inhibitoren die Aktivität des Angiotensin-Konversionsenzym ACE2 erhöhen können.5-7 Dies könnte eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 begünstigen. Ein höheres Lebensalter sowie das männliche Geschlecht können ebenfalls mit einer erhöhten ACE2-Expression einhergehen.8-10 Diese Hypothese basiert auf den Forschungsergebnissen von zellbiologischen und tierexperimentellen Studien. Die valide klinische Evidenz dafür fehlt bisher. Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren zählen zu der Risikogruppe für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2. Ein eigenständiges Absetzen der antihypertensiven Medikation kann lebensbedrohliche Folgen, wie einen Myokardinfarkt oder auch einen Apoplex mit sich führen „Die Deutsche Herzstiftung warnt Patienten deshalb ausdrücklich davor, ohne Rücksprache mit dem Arzt Herzmedikamente wie ACE-Hemmer und Sartane abzusetzen oder die Dosierung zu ändern.“11

text corona annabelle 2.jpg

Abbildung 1:  Dreidimensionale Darstellung der Kristallstruktur der Hauptprotease SARS-COV-2 MPRO aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln
Eine Untersuchung der Kristallstruktur der Hauptprotease SARS-CoV-2 MPRO ist mit einer Auflösung von 1.75 Ångström möglich. Mit freundlicher Genehmigung von Zhang L et al. (2020).doi: 10.1126/science.abb3405.12

Eine Fusion mit weitreichenden Folgen

Coronaviren gelangen mit Hilfe ihrer auf der Virushülle befindlichen Spike Proteine und mit Hilfe des S-Proteins in die Wirtszelle. Verschiedene Studien belegen, dass das SARS-assoziierte Coronavirus (SARS-CoV-1) an das Angiotensin-Konversionsenzym ACE2 bindet kann, um sich eine Eintrittspforte in die Wirtszelle zu verschaffen. Diese Interaktion zwischen dem viralen Hüllprotein und dem ACE2 entscheidet über die Virulenz des Erregers. Durch eine Fusion der Viruszellmembran und der Zellmembran der Wirtszelle gelangt das virale Erbgut an seinen Zielort. Bei dem SARS-assoziierten Virus scheint ACE2 nicht nur als Eintrittspforte zu dienen, sondern ist möglicherweise auch beteiligt an der Entwicklung der SARS-Erkrankung selbst. Dies könnte an der Funktion des ACE2 liegen. Unter physiologischen Bedingungen schützt es das Lungengewebe vor einer Schädigung. Bei einer Infektion mit dem SARS-assoziierten Coronavirus wird es in seiner Funktion gestört. Das SARS-CoV-1 und das SARS-CoV-2 sind sich in 76% ihrer Aminosäuren identisch.1

Viruseintritt über das Angiotensin-Konversionsenzym ACE2 morphologisch belegt

Kryo-elektronenmikroskopische Untersuchungen belegen, dass das neue Coronavirus SARS-CoV-2 Spike-Glykoproteine in seiner Virushülle trägt. Die Vermutung liegt daher nahe, dass SARS-CoV-2 denselben Eintrittsmechanismus wie SARS-CoV-1 verwendet. Die Forschungsgruppe um Daniel Wrapp konnte mit einer Kryo-elektronenmikroskopischen Untersuchungen sogar zeigen, dass das neue Coronavirus SARS-CoV-2 im Vergleich zum dem SARS-assoziierten Coronavirus mit einer 10-fach höheren Bindungskraft an ACE2 andockt.12,13

Angiotensinkonversionsenzym-Inhibitoren und Angiotensin-Rezeptor-Blocker könnten einen biphasischen Effekt haben

Kardiovaskuläre Vorerkrankungen gehen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf sowie einer erhöhten Mortalitätsrate einher. Ein Großteil der Patientinnen und Patienten mit einer kardiovaskulären Erkrankung befindet sich in einer Therapie mit Angiotensinkonversionsenzym-Inhibitoren und Angiotensin-Rezeptor-Blockern.14 In einer chinesischen multizentrischen Kohortenstudie wurden retrospektiv die Daten von insgesamt 191 erwachsenen stationär behandelten COVID-19-positiven Patientinnen und Patienten mit Hilfe einer elektronischen Datenbank ausgewertet. Das Lebensalter lag im Median bei 56 Jahren. 48% der Patientinnen und Patienten litten an Vorerkrankungen. 45% der Verstorbenen hatten eine arterielle Hypertonie und 24% eine koronare Herzkrankheit.15 Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass eine Therapie mit Angiotensinkonversionsenzym-Inhibitoren und Angiotensin-Rezeptor-Blockern die Expression von ACE2 mRNA im Herzen, in der Aorta sowie in der Niere erhöhen kann.6,7 In einer Studie mit gesunden Menschen konnte in der ACE-Hemmer-Therapiegruppe im Vergleich zur Placebogruppe eine 1,9-fach erhöhte ACE2 mRNA Expression duodenal gemessen werden.13,16 Ist das Schwere Akute Respiratorische Syndrom erstmal in Gang gesetzt, so folgt eine Runterregulierung des ACE2. Damit fällt auch dessen schützende Funktion weg. ACE2 baut unter physiologischen Bedingungen den äußerst potenten Vasokontriktor Angiotensin II zu Angiotensin ab.13

annabelle text corona 1.PNG

Abbildung 2: Komobiditäten als Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit SARS-CoV-2.
Mit freundlicher Genehmigung von dem European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). (The original document was drafted in English and is available here. ECDC does not hold any responsibility with regards to the accuracy of the translation.) Rapid Risk Assessment: Coronavirus disease 2019 (COVID-19) in the EU/EEA and the UK– ninth update. 23 Apr 2020.

Fazit

Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir nicht sicher, ob eine Langzeittherapie mit Angiotensinkonversionsenzym-Inhibitoren und Angiotensin-Rezeptor-Blockern den Viruseintritt und dessen Replikation begünstigt. Was wir jedoch sicher kennen sind die Folgen eines plötzlichen Absetzens der antihypertensiven Medikation. Es ist daher nicht ratsam, diese Medikation prophylaktisch abzusetzen. Ein plötzliches Absetzen der Medikation wäre weitaus folgenschwerer. Es gilt, den Patientinnen und Patienten ihre Angst zu nehmen oder zumindest diese zu lindern, um eine adäquate Compliance sichern zu können. Anders sieht die Sache aus bei bereits an COVID-19 erkrankten Personen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen und schwerem Krankheitsverlauf. Hier ist im Falle einer hypotonen Schockphase die Weiterführung einer antihypertensiven Therapie zu überdenken.

Die Expertenrunde "Covid-19 in der Praxis" mit dem Schwerpunkt Kardiologie vom 15. April 2020 ist unter diesem Link als Video On-Demand abrufbar. Das Programm für die nächste CME-Expertenrunde der Reihe "Covid-19 in der Praxis", welches am 29. April 2020, erneut von 14:00 – 16:00, im Livestream zu sehen sein wird, finden Interessierte unter folgendem Link: www.esanum.de/live.

Referenzen:
1. Hoffmann M. et al. (2020). SARS-CoV-2 Cell Entry Depends on ACE2 and TMPRSS2 and Is Blocked by a Clinically Proven Protease Inhibitor. Cell. 2020 Apr 16;181(2):271-280.e8. doi: 10.1016/j.cell.2020.02.052. Epub 2020 Mar 5.
2. Li W., Moore M.J., Vasilieva N., Sui J., Wong S.K., Berne M.A., Somasundaran M., Sullivan J.L., Luzuriaga K., Greenough T.C. Angiotensin-converting enzyme 2 is a functional receptor for the SARS coronavirus. Nature. 2003;426:450–454.
3. Li F., Li W., Farzan M., Harrison S.C. Structure of SARS coronavirus spike receptor-binding domain complexed with receptor. Science. 2005;309:1864–1868.
4. Li W., Zhang C., Sui J., Kuhn J.H., Moore M.J., Luo S., Wong S.K., Huang I.C., Xu K., Vasilieva N. Receptor and viral determinants of SARS-coronavirus adaptation to human ACE2. EMBO J. 2005;24:1634–1643.
5. European Societies of Cardiology. Position statement of the ESC Council on Hypertension on ACE‐inhibitors and angiotensin receptor blockers. March 13, 2020.
6. Ferrario C.M. et al. (2010). The ANG‐(1‐7)/ACE2/mas axis in the regulation of nephron function. Am J Physiol Renal Physiol. 2010; 298:F1297–F1305.
7. Igase M. et al. (2005). Angiotensin II AT1 receptors regulate ACE2 and angiotensin‐(1‐7) expression in the aorta of spontaneously hypertensive rats. Am J Physiol Heart Circ Physiol. 2005; 289:H1013–H1019.
8. Fernández‐Atucha A. et al. (2017). Sex differences in the aging pattern of renin‐angiotensin system serum peptidases. Biol Sex Differ. 2017; 8:5.
9. Walters T. E. et al. (2017). Angiotensin converting enzyme 2 activity and human atrial fibrillation: increased plasma angiotensin converting enzyme 2 activity is associated with atrial fibrillation and more advanced left atrial structural remodelling. Europace. 2017; 19:1280–1287.
10. https://www.herzstiftung.de/pressemeldungen_artikel.php?articles_ID=960
11. Wrapp D. et al. (2020). Cryo-EM structure of the 2019-nCoV spike in the prefusion conformation. Science 13 Mar 2020: Vol. 367, Issue 6483, pp. 1260-1263.
12. Zhang L. et al. (2020). Crystal structure of SARS-CoV-2 main protease provides a basis for design of improved α-ketoamide inhibitors. Science. 2020 Mar 20. pii: eabb3405.
13. Sommerstein R. et al. (2020). Coronavirus Disease 2019 (COVID‐19): Do Angiotensin‐Converting Enzyme Inhibitors/Angiotensin Receptor Blockers Have a Biphasic Effect?
14. Messerli F. H. et al. (2018). Angiotensin‐converting enzyme inhibitors in hypertension: to use or not to use?J Am Coll Cardiol. 2018; 71:1474–1482.
15. Zhou F. et al. (2020). Clinical course and risk factors for mortality of adult inpatients with COVID-19 in Wuhan, China: a retrospective cohort study. Lancet. 2020 Mar 28;395(10229):1054-1062.
16.Uri K.et al. (2014). New perspectives in the renin‐angiotensin‐aldosterone system (RAAS) IV: circulating ACE2 as a biomarker of systolic dysfunction in human hypertension and heart failure. PLoS One. 2014; 9:e87845.