ERS 2016: ein Überblick über die aktuellen COPD Studien

Liebe Kolleginnen und Kollegen,wir beginnen unseren neuen Atemwegs-Blog mit einem derzeit heiß diskutierten Thema, das auch beim europäischen Pneumologie-Kongress ESR 2016 vor ein paar Tagen in London im Mittelpunkt stand: Es geht um die Rolle der inhalativen Steroide (ICS) bei COPD.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir beginnen unseren neuen Atemwegs-Blog mit einem derzeit heiß diskutierten Thema, das auch beim europäischen Pneumologie-Kongress ESR 2016 vor ein paar Tagen in London im Mittelpunkt stand: Es geht um die Rolle der inhalativen Steroide (ICS) bei COPD.

Wann sind inhalative Steroide bei COPD notwendig, wann nicht?

Betreiben wir eine Übertherapie?

Kortison-Sprays werden, so schätzen viele Experten, allzu häufig bei COPD-Patienten eingesetzt. Und das sogar in moderaten Krankheitsstadien.

Die Leitlinienempfehlungen beschränken den ICS-Einsatz auf Patienten mit häufigen Exazerbationen. Aber selbst das wird durch einige jüngere Studien in Frage gestellt. Demnach profitieren selbst die häufigen Exazerbierer nicht sicher von den Steroiden.

Aber der Reihe nach. Um Ordnung in die Datenlage zu bringen, hier ein kurzer Überblick zu wichtigen Studien, die beim ESR 2016 diskutiert wurden:

WISDOM-Studie (Post-Hoc-Analyse):

Fragestellung: Erhöht das Absetzen der ICS bei Patienten mit Eosinophilie die Exazerbationsraten?

Ergebnis Exazerbationen: Erhielten die Patienten eine duale Bronchodilatation mit langwirksamen Anticholinergika und langwirksamen Betamimetika (LAMA/LABA) als Erhaltungstherapie, verschlechterte das Absetzen der ICS-Therapie die Exazerbationsrate nur bei einer bestimmten Gruppe von Patienten: jenen mit Eosinophilie und häufigen Exazerbationen im Krankheitsverlauf. Die stärkste Evidenz für diese Effekte fand sich in der Subgruppe mit den höchsten Eosinophilie-Werten.

Ergebnis Lungenfunktion: Auch die Veränderungen des FEV1 waren nach Absetzen der ICS in dieser Patientengruppe mit Eosinophilie stärker als in der gesamten Gruppe.

Ergebnis Symptomatik: Die subjektiv empfunden Beschwerden (SGRQ - St. George's Respiratory Questionnaire) waren in dieser Gruppe weniger auffällig als die Veränderungen bei der Exazerbationsrate oder der Lungenfunktion.

FLAME-Studie (Post-Hoc-Analyse):

Fragestellung: Anzahl der COPD-Exazerbationen unter LABA/LAMA (Indacaterol/Glycopyrronium) versus LABA/ICS (Salmeterol/Fluticason). Dabei Unterscheidung von Patienten mit und ohne vorherige Triple-Therapie

Ergebnis Exazerbationen: Die duale Bronchodilatation, also die Kombination aus Betamimetikum und Anticholinergikum, reduzierte das Exazerbations-Risiko gegenüber der Kombination aus Betamimetikum und Steroid um 16% (ohne vorherige Triple-Therapie) bzw. 14% (nach vorheriger Triple-Therapie).

Wurden nur moderate bis schwere Exazerbationen gewertet, fiel der Erfolg mit 23% bzw. 21% Risikoreduktion deutlicher aus.  

FULFIL-Studie:

Fragestellung: Vergleich einer Dreier-Kombination incl. dem Anticholinergikum Umeclidinium mit einer Zweier-Kombination bei Patienten mit schwerer COPD. Die Vergleichstherapien genauer:

Die Frage war also: Was kann die zusätzliche LAMA-Komponente Umeclidinium bewirken? Studienteilnehmer:

Ergebnis Lungenfunktion: Nach 24 Wochen hatten die Patienten unter der Triple-Therapie deutlich mehr Luft. Ihre FEV1-Werte lagen im Schnitt um 171 ml höher als nach der ICS/LABA-Inhalation.

Ergebnis Lebensqualität: Als Vergleichsmaß diente die Besserung im SGRQ-Score um wenigstens 4 Punkte. Das war bei 50% der Probanden im Triple-Arm der Fall und bei 41% im Dual-Arm. Der Vorteil für die Dreifachkombi war statistisch signifikant.

Ergebnis Exazerbationen: In der Triple-Gruppe traten innerhalb von 24 Wochen etwa 35% weniger Exazerbationen auf. Im Verlauf eines ganzen Jahres wuchs diese Differenz auf 44% an.

Ergebnis Nebenwirkungen: Laut den Autoren der Studie gab es zwischen den beiden Behandlungsarmen bezüglich Verträglichkeit und unerwünschten Ereignissen keine relevanten Unterschiede.

Anmerkung: Die hier geprüfte Dreifachkombination aus einem Device nötigt dem Patienten nur einen einzigen Hub pro Tag ab. Die lange Wirksamkeit der hier gebündelten Atemwegstherapeutika macht’s möglich. Eine andere Dreifachkombination, zu der wir gleich kommen, muss dagegen wie üblich zweimal täglich appliziert werden.

TRILOGY-Studie:

Fragestellung: Vergleich einer Dreier-Kombination incl. dem Parasympatholytikum Glycopyrronium mit einer Zweier-Kombination bei Patienten mit schwerer COPD.

Die Vergleichstherapien genauer:

Die GOLD*-Empfehlung führt bei häufig exazerbierender COPD bisher als erste Option die Monotherapie mit einem LAMA oder die ICS/LABA-Kombitherapie an. Beide Varianten verbessern in diesem Stadium nachweislich die Symptomatik, die Lungenfunktion und das Exazerbationsrisiko.

Das ist der Grund, warum diese beiden Therapien zum Vergleich mit einer weiteren Triple-Therapie herangezogen wurden. Die randomisierte doppelblinde TRILOGY-Studie wurde pünktlich zum diesjährigen ERS-Kongress publiziert.

Ergebnis Lungenfunktion: Die FEV1-Werte der Patienten betrugen vor Studienbeginn durchschnittlich 36% vom Sollwert bzw. 1,1 Liter. Sie besserten sich unter der Dreifachkombi gegenüber der dualen Therapie vor der nächsten Dosis um durchschnittlich 81 ml. Wurden die FEV1-Werte zwei Stunden nach der Inhalation gemessen, betrug die Verbesserung im Schnitt 117 ml. Beide Ergebnisse waren signifikant.

Ergebnis Symptomatik: Die mittels TDI (Transition Dyspnea Index) gemessenen Beschwerden besserten sich etwas stärker unter der Dreifach-Kombi (1,71 vs. 1,5), der Unterschied war aber nicht signifikant.

Ergebnis Exazerbationen: Die Patienten hatten im Jahr vor Aufnahme in die Studie im Schnitt 1,2 Exazerbationen erlitten. Die Triple-Therapie reduzierte das Risiko für mittelschwere und schwere Exazerbationen um signifikante 23%. Das Exazerbationsrisiko war aber insgesamt sehr niedrig. Hochgerechnet auf ein Jahr lag es bei 0,41% (Tripel-Kombi) bzw. 0,53% (Duale Kombi). Damit ist die „Number Needed to Treat“, um eine Exazerbation zu verhindern, ziemlich hoch.

  TRINITY-Studie:

Fragestellung: Vergleich einer Dreier-Kombination incl. dem Parasympatholytikum Glycopyrronium mit einer Monotherapie und einer „freien“ Dreier-Kombination bei Patienten mit schwerer COPD. Die Vergleichstherapien genauer:

Die TRINITY-Studie war ähnlich konzipiert wie die TRILOGY-Studie, hatte aber drei Behandlungsarme.

Ergebnis Exazerbationen: Die Patienten hatten im Jahr vor Aufnahme in die Studie im Schnitt 1,3 Exazerbationen erlitten. In den Triple-Armen erlitten die Patienten im Beobachtungsjahr durchschnittlich 0,457 bzw. 0,452 Exazerbationen, unter Tiotropium 0,57. Man muss hier also die Ergebnisse mit zwei bis drei Stellen hinter dem Komma angeben, die Unterschiede sind aber laut den Studienautoren signifikant. Die Rate an schweren Exazerbationen war aber auch hier insgesamt so gering, dass die „Number Needed to Treat“, um eine Exazerbation zu verhindern, sehr hoch liegt.

Ergebnis Lungenfunktion: Die FEV1-Werte der Patienten betrugen vor Studienbeginn durchschnittlich 37%. Unter der Triple-Therapie bekamen die Patienten mehr Luft. Die Zunahme der morgendlichen FEV1-Werte fiel gegenüber der LAMA-Monotherapie durchschnittlich um 61 ml besser aus. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die drei Inhalativa in fixer oder freier Kombination eingesetzt wurden.  

Gesamtbewertung:

Was diese Ergebnisse und Erkenntnisse letztlich für die allgemein- und fachärztliche Praxis bringen, bleibt wohl noch abzuwarten. Die Dreifachpräparate sind ja noch nicht auf dem Markt. GSK wird die Zulassung für seines in der EU und in den USA wohl Ende 2016 beantragen.

Für die Forschungspraxis helfen diese Daten aber definitiv beim Schließen von Wissenslücken. Sie bieten zudem eine Hilfestellung, um die geeigneten Patienten für zukünftige prospektive Studien zur ICS/LAMA/LABA-Therapie zu identifizieren. So jedenfalls die Ansicht von Prof. Peter Calverley aus Liverpool.

Dass diese Triple-Kombi in den FULFIL- und TRILOGY-Studien dem ICS/LABA-Duo überlegen war, kommt für Prof. Claus Vogelmeier (Marburg) nicht wirklich überraschend. Der Experte verweist dabei auf die LAMA-Effektivität bei COPD. Gleichzeitig weisen die Daten der FLAME-Studie nach Meinung von Prof. Jadwiga Wedzicha (London) der LABA/LAMA-Kombination bereits jetzt eine Vorzugsposition bei COPD-Patienten mit erhöhtem Exazerbationsrisiko zu. Die Expertin geht dementsprechend auch von einer Änderung der bisherigen Leitlinienempfehlung aus.

Die spannende Frage lautet nun, wie der prospektive Vergleich zwischen Triple-Therapie (ICS/LAMA/LABA) und dualer Bronchodilatation (LABA/LAMA) ausfallen wird. Da geht es dann darum, welche Patienten tatsächlich noch ein zusätzliches ICS benötigen. Beide Hersteller, GSK und Chiesi, gehen mit entsprechend angelegten Studien ins Rennen. Mit den Ergebnissen müssen wir uns noch ein bisschen gedulden – sie werden für 2018 erwartet.

  Abkürzungs-Dschungel  

COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung
FEV1 forciertes expiratorisches Volumen in einer Sekunde
GOLD Global Initiative For Chronic Obstructive Lung Disease
ICS Inhalative Steroide
LABA Langwirksame Betamimetika
LAMA Langwirksame Anticholinergika