Erstmals Proteinassoziation in atomarer Auflösung simuliert

Wissenschaftlern der Freien Universität (FU) Berlin and der Universität Pompeu Fabra (UPF) Barcelona ist es erstmals gelungen, die Assoziation und Dissoziation von Proteinmolekülen in atomarer Auflösung zu simulieren und die Resultate mit experimentellen Daten abzugleichen.

Rechenzeit: Ein Jahr statt 10.000 Jahre

Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin (FU) and der Universität Pompeu Fabra (UPF) Barcelona ist es erstmals gelungen, die Assoziation und Dissoziation von Proteinmolekülen in atomarer Auflösung zu simulieren und die Resultate mit experimentellen Daten abzugleichen.

"Die Simulationen zeigen eine Reihe bisher unbekannter Details des Prozesses der Findung und Bindung zwischen Proteinen", erklärt Dr. Nuria Plattner, Postdoktorandin an der FU Berlin und Erstautorin der Studie. Das wichtigste Ergebnis sei jedoch der Beweis, dass die Simulation von Proteinassoziation mit atomarer Auflösung möglich ist. Dieser Fortschritt sei nicht nur für Textbuchwissen relevant, sondern eröffne die Möglichkeit, die Details von viralen Infektionen, die Mechanismen des Immunsystems und viele andere Prozesse von biomedizinischer und biotechnologischer Relevanz zu verstehen. Die Resultate wurden in der Fachzeitschrift Nature Chemistry veröffentlicht.

Proteine sorgen für den Antrieb im Körper

"Proteine und andere Moleküle bewegen sich durch die Zelle und können sich an andere Moleküle binden und sich wieder von ihnen lösen. Im Fall von Proteinen sprechen wir bei diesem Vorgang von Proteinassoziation und -dissoziation", erklärt Prof. Dr. Frank Noé, Computerwissenschaftler an der FU und Mathematiker am Forschungszentrum Matheon. In Muskeln assoziierten sich Proteine beispielsweise zu langen Filamenten. Wenn der Muskel angespannt werde, glitten diese Filamente aneinander vorbei. Die Muskelkraft entstehe dadurch, dass Proteine, die Teil des einen Filaments sind, an Proteine des anderen Filaments binden, dann abknicken, um das Filament in eine Richtung zu ziehen, und sich danach wieder lösen.

Auf ähnliche Art und Weise würden fast alle Prozesse im menschlichen Körper durch Proteine angetrieben, die sich finden, aneinander binden und dadurch Informationen austauschen, Kräfte entwickeln oder größere Strukturen aufbauen. "Bisher konnte niemand diesen Prozess im Detail beobachten", sagt Frank Noé. Proteine seien einerseits sehr klein und ihre räumlichen Strukturen änderten sich sehr schnell; dadurch sei es praktisch unmöglich ein "Video" der Proteinassoziation mittels Mikroskopie oder anderer Messverfahren aufzunehmen.

Darstellung von Molekulardynamiken extrem rechenaufwendig

Die Arbeitsgruppen um Professor Frank Noé an der FU Berlin und Dr. Gianni De Fabritiis an der UPF haben gemeinsam die erste Computersimulation der Proteinassoziation und -dissoziation in atomarer Auflösung erstellt. Den Wissenschaftlern zufolge bestand das Hauptproblem darin, dass die Darstellung von Molekulardynamiken in atomarer Auflösung extrem rechenaufwendig sind. "Zur Darstellung des Prozesses müssen die Interaktionen zwischen etwa 100.000 Atomen berechnet, und die daraus resultierende Kraft auf jedes einzelne Atom ausgewertet werden", erklärt Professor Noé.

Danach bewege die Simulation jedes Atom ein kleines Stück in die Richtung dieser Kraft und dabei schreite die simulierte Zeit um eine Femtosekunde fort. Insgesamt sei eine Milliarde mal eine Millarde solcher Rechenschritte nötig, um die Simulationszeit zu erreichen, die Proteine benötigen, um eine einmal eingegangene Verbindung wieder zu lösen. "Das Problem ist, das Proteine sehr klebrig sind", erklärt Frank Noé.

Computernutzer weltweit 'spenden' Rechenkapazitäten

Der weltweit leistungsfähigste Rechner für Molekulardynamik-Simulationen, der Supercomputer Anton 2, der von D.E. Shaw Research in New York entwickelt wurde, würde 10.000 Jahre brauchen, um Proteinassoziation und -dissoziation direkt zu simulieren. "Es ist diese Art von Hochrisiko-Projekt, für die man nur sehr schwer Fördermittel bekommt. Als wir begonnen haben, glaubte niemand, dass es überhaupt möglich ist", sagt Noé. Der Schlüssel zum Erfolg der Wissenschaftler aus Berlin und Barcelona war die Kombination von mehreren neuen Technologien, die es ermöglicht haben, das Problem im Stil "Teile und Herrsche" zu lösen.

"Wir haben GPUgrid, ein von der De-Fabritiis-Gruppe entwickeltes verteiltes Rechnernetzwerk, eingesetzt, um Rechenzeit auf Grafikkarten einzusammeln, die von freiwilligen Computernutzern weltweit 'gespendet' wurden", erklärt Frank Noé. Tausende kurze Simulationen wurden so angefertig und von einem neuartigen maschinellen Lernverfahren gesteuert, das die Simulationen optimal und automatisch geplant habe, sodass der Prozess der Proteinassoziation und -dissoziation innerhalb eines Jahres - statt innerhalb von 10.000 Jahren - simuliert werden konnte. Mittels Markovmodellierung, einer Technik, die Frank Noé und seine Kollegen etablierten, konnten die kurzen Simulationen kombiniert werden, sodass ein vollständiges Model der Proteinassoziation und -dissoziation entstand.