Es gibt keine Medizin ohne schlechte Nachrichten – aber die guten überwiegen

Das Überbringen schlechter Nachrichten gehört zu den Kernkompetenzen von Ärztinnen und Ärzten. Dennoch bleibt genau das für viele Medizinerinnen und Mediziner eine unbearbeitete Herausforderung.

Das Überbringen schlechter Nachrichten gehört zu den Kernkompetenzen von Ärztinnen und Ärzten. Dennoch bleibt genau das für viele Mediziner eine unbearbeitete Herausforderung. Die Hälfte aller befragten Ärztinnen und Ärzte sagten in einer Studie von Charité-Professor Jalid Sehouli, sie verfügten über keinerlei adäquate Instrumente, ihren Patientinnen und Patienten schlechte Nachrichten zu überbringen. Das Thema gehört dringend und ausführlich in Aus-und Weiterbildung. Doch welche Soforthilfen gibt es?

esanum: Prof. Sehouli, was kann man jungen Ärztinnen und Ärzten, die in der Patientenkommunikation unsicher sind, als Sofortmaßnahme an die Hand geben, damit sie gleich morgen bessere Patientengespräche führen könnten?

Sehouli: Erstens: Man muss sich immer bewusst sein, dass jede Übermittlung eines pathologischen Befundes grundsätzlich das Potenzial einer schlechten Nachricht hat - dadurch definiert, dass sich danach das Leben, die Lebensqualität und Lebensperspektive verändern. Da gibt es häufig eine Diskordanz zwischen dem, was der Arzt einschätzt und dem, was der Patient empfindet. Der Arzt denkt vielleicht bei einer Gebärmutterentfernung, die Blutung ist ja ohnehin vorbei, aber für die Frau kann das eine große Bedeutung haben. Zweitens: Wichtiger als die Worte ist die Beziehung. Die Kommunikation muss direkt, authentisch und wahrhaftig sein, aber die Arzt-Patienten-Beziehung ist höher einzuschätzen, als der Inhalt der Worte. Drittens: Schauen, dass der Patient den Raum hat, die Botschaft zu verdauen, sodass er selbst wieder eine Orientierung finden kann. Also das Gespräch nicht mit Informationen überfrachten und gezielt Sprechpausen zulassen und auf die non-verbale Kommunikation achten. 

esanum: Wie sieht die richtige Vorbereitung auf so ein Gespräch aus?

Sehouli: Die wichtigste Überlegung ist: Will ich das überhaupt - diese schlechte Nachricht überbringen? Habe ich dafür die Ressourcen? Der Arzt muss lernen, Nein zu sagen. Wenn ich nur zwei Minuten habe, kann ich so ein Gespräch nicht führen. Er kann das delegieren, sich bei Kollegen Hilfe holen oder einen besseren Zeitpunkt mit der Patientin vereinbaren. Wie beim Fliegen: wenn der Pilot ein Problem hat, übernimmt der Ko-Pilot.

esanum: Was ist eine gute emotionale Grundhaltung?

Sehouli: Empathie heißt nicht: Mitleiden, mitsterben. Professionalität bedeutet, dass ich auch zur nächsten und übernächsten Patientin empathisch sein kann. Dafür brauchen wir auch Abgrenzung. Der Arzt muss nicht alles allein auf sich nehmen, er kann professionelle Strukturen nutzen und sollte diese auch kennen. Polizisten gehen immer zu zweit in das Gespräch, wenn sie eine schlimme Nachricht überbringen müssen. Ärzte sind meistens allein. Das ist nicht gut. Auch wir Ärzte können von anderen Professionen lernen.

esanum: Geben Sie uns bitte zwei grundlegende Dos und Don´ts für die Arzt-Patienten-Kommunikation.

Sehouli: Ein absolutes Don´t ist, das Gespräch zu führen, obwohl man es nicht möchte, es nicht aushält. Ein unbedingtes Do ist das Wissen, dass ein gutes Gespräch genauso wichtig ist wie eine komplizierte Operation. Die Kommunikation mit dem Patienten bleibt das schönste Geschenk und die höchste Verantwortung. Man braucht zum Medizinstudium nicht einen guten Numerus Clausus, man braucht die Liebe zur Kommunikation, zum Wort.

esanum: Was ist unverzichtbar, um das schwierige Thema Breaking Bad News in den Griff zu bekommen?

Sehouli: Patienten abholen, sie sind oft nicht vorbereitet auf die Situation. Also sollte man die Botschaft ankündigen und vorwarnen: Ich habe eine schlechte Nachricht. Pause für einige Sekunden. Bitte aber auch eine gute Nachricht zelebrieren. Sonst denken Patientinnen, ein ausführliches Gespräch bedeutet immer: schlechte Nachricht.

esanum: Wo läuft es in Aus- und Weiterbildung in Sachen Kommunikation gut? 

Sehouli: Die Charité ist sehr weit. Wir haben die obligatorischen KIT-Seminare - für Kommunikation, Interaktion, Teamarbeit. Und das sogenannte TÄV - ein Lernzentrum für Training und Anleitung zu interaktioneller und professioneller Reflexion des eigenen Verhaltens. Auch die Universität Freiburg und die Universität Leipzig machen viel. Bei vielen anderen nimmt das Thema Fertigkeiten in der Kommunikation Einzug in die Curricula. Dazu gehören Kurse mit Simulationspatientinnen. Diese Geschichten werden unter didaktischen Aspekten von einer Kommission entwickelt. Die trainierten Schauspielerinnen können auch direktes Feedback geben. Aber flächendeckend läuft das nicht. Und es fehlt die Fortsetzung in der Weiterbildung. Aber richtig gut Autofahren können wir nur, wenn wir nach der Fahrschule weiter Autofahren – in eigener Verantwortung. 

esanum: Zum Schluss noch die gute Nachricht: die gibt es ja auch!

Sehouli: Ja, wie häufig übermittelt man eigentlich schlechte und gute Nachrichten? Dazu habe ich mir eine Zeit lang Notizen gemacht und festgestellt: Bei 13 Gesprächen pro Tag gab es 10 gute und drei schlechte Nachrichten. Auch das muss achtsam gemacht werden. Wir kommunizieren eher den Kaliumwert, der nicht gut ist und vergessen, dass wir alle möglichen Organe diagnostiziert haben, die in Ordnung sind. Wir brauchen einen Perspektivwechsel, denn wir haben einen großartigen Beruf.

"Breaking Good News" - Checkliste zur Übermittlung der guten Nachricht
("5 golden rules for breaking bad news")

Regel 1: Investieren Sie Zeit in die Vorbereitung und erhöhen Sie Ihre Achtsamkeit für gute Nachrichten (z.B. Normalbefunde, fehlende Zeichen eines Rezidivs, Beschwerdebesserung)

Regel 2: Kündigen Sie die positive Information oder Botschaft an.

Regel 3: Lassen Sie Ihrem Gegenüber nach der Kernbotschaft Zeit, diese anzunehmen, nutzen Sie die Pause, Ihre eigenen und die Emotionen des Patienten wahrzunehmen.

Regel 4: Besprechen Sie praktisch Handhabbares und die Konsequenzen der guten Botschaft.

Regel 5: Nutzen Sie die Möglichkeit für sich und den Patienten, die gute Nachricht festzuhalten (z.B. Führen eines Tagebuchs und/oder "feiern") und sprechen Sie darüber!