Fluch und Segen von Generika

Heute bestehen fast 90% unseres Pharmamarktes aus Generika. Sie machen die Arzneimittelversorgung bezahlbar. Das Buch "Bottle of Lies" zeigt aber auch die schlechte Seite.

Ein narratives Review zu einem weltweiten Problem

Alles begann 2008 damit, dass ein Kollege Ebans, der eine öffentliche Radiosendung mit dem Titel "The People's Pharmacy" moderierte, von Zuschriften Betroffener überschwemmt wurde, die unter Therapie mit Generika über eine fehlende Wirkung, atypische Nebenwirkungen oder Verschlechterungen ihrer Erkrankungen berichteten. Dürfte eigentlich nicht sein, oder? Denn Generika, so jedenfalls wird uns immer versichert, enthalten den gleichen Wirkstoff wie das Markenmedikament, sie sind nur günstiger.

In einem ersten größeren Artikel darüber im Jahr 2009 legte Eban dar, dass die Regulation nicht so eng ist, wie viele sich das vielleicht vorstellen.

"Da Markenmedikamente bereits klinisch getestet wurden, müssen Generikahersteller, die eine FDA-Zulassung beantragen, diesen Prozess für ihre Versionen nicht wiederholen. Stattdessen müssen sie ihr Medikament an mindestens 20 gesunden Personen überprüfen; diese nehmen eine einzige Dosis ein, sodass das Medikament nicht über einen längeren Zeitraum getestet wird. Wenn die Tests zeigen, dass das Generikum denselben Wirkstoff wie das Original enthält und etwa dieselbe Dosis abgibt, wird es von der FDA als 'bioäquivalent' eingestuft und für den Verkauf freigegeben", erklärt Eban.2

Egal, welches Etikett, das Medikament bleibt das Medikament – oder doch nicht?

Eban dokumentierte in ihrem Beitrag, wie Menschen, die zuvor gut auf ihre Medikation eingestellt und stabil waren, nach Wechsel auf bestimmte Generika rückfällig wurden. Eine Kollaboration mit einem unabhängigen US-amerikanischen Labor ergab, dass eines der Generika, welches Anlass zu Patientenbeschwerden gegeben hatte, in den ersten zwei Stunden vierfach so viel aktiven Wirkstoff freisetzte wie das Original, welches offensichtlich über eine ausgeklügeltere Freisetzungsformulierung verfügte als das Generikum. 

Eban stellt den beeindruckenden Fall einer 34-jährigen Patientin vor, deren Gesundheit ab Wechsel auf dieses generische Präparat Kopf stand. Sie durchlief zahlreiche Überweisungen, erhielt eine schier endlose Liste neuer fachärztlicher Diagnosen und Medikamente, von Schilddrüsenunterfunktion, über Reizdarm, Herzgeräusch, Insomnie, schwere Allergien, Glutenintoleranz und chronische Schmerzen und es ging ihr auch mental immer schlechter, sie wurde depressiv. Hinzu kam noch ein ausgedehnter Konflikt mit ihrer Krankenkasse, die die aufgelaufenen Kosten der benötigten Untersuchungen und Behandlungen nicht übernehmen wollte. Das Schlimmste: da niemand an das Generikum als Ursache dachte, war die glimpfliche Auflösung des Falles nur einem Zufall zu verdanken. Eine Bekannte, die das Originalpräparat gerade abgesetzt hatte, überließ ihr die Restpackung zum Aufbrauchen. Nachdem sie die Einnahme des Generikums beendet hatte, war ihr gesamtes Portfolio an Symptomen rückläufig. Neugierig geworden, scrollte sie durch Hunderte von Kommentaren auf PeoplesPharmacy.org, viele davon von Menschen, die auf das gleiche Medikament umgestiegen waren wie sie und ähnlich drastische Veränderungen an sich feststellten. Als es wieder Zeit wurde, ihr Rezept zu erneuern, bat sie die Sprechstundenhilfe darum, ab sofort nur noch das Originalpräparat zu erhalten und beschrieb ihre Gründe. Zu ihrem Erstaunen sagte die Angestellte: "Ja. Das hören wir ständig."2 Die Schwierigkeit ist, dass wir auf ärztlicher Seite zu wenig Daten und keine signifikanten Vergleichsstudien haben, um diese unerwünschten Effekte zu erklären. 

Die Zusammenhänge herstellen

Die Frage nach dem Urgrund dieser Phänomene motivierte Eban zu über zehn weiteren Jahren erschöpfender Recherche. Die FDA führt zwar Begehungen von Produktionsbetrieben durch und lässt sich Daten der Generikahersteller vorlegen, aber sie prüft diese Medikamente nicht systematisch. Eban sammelte die Protokolle solcher Prüfungen, ebenso Aufzeichnungen der Strafverfolgung, spürte zögerliche Whistleblower aus der Industrie auf, reichte Klagen ein, um an nicht öffentliche Dokumente von Aufsichtsbehörden wie der FDA zu gelangen und folgte der Spur bestimmter Produkte um die ganze Welt. Was sie fand, bezeichnete sie als "Labyrinth globaler Betrügerei". 2013 veröffentlichte sie einen Artikel über den größten Generikahersteller Indiens, der durch Einreichung falsifizierter Daten den Behörden verschiedener Länder die Bioäquivalenz seiner Produkte und die Einhaltung der Regulationen weismachen konnte.3 Ein billiger Herstellungsprozess ohne die nötigen Sicherheitsvorkehrungen und der anschließende Verkauf in die teureren westlichen Märkte generierte enorme Profite. 
Generika werden größtenteils in Übersee hergestellt (was natürlich nicht heißen soll, dass indische oder chinesische Produkte schlecht sind oder europäische und amerikanische immer nur gut). Für Eban stellte sich ab diesem Moment vielmehr die Frage, ob das Unternehmen einen Einzelfall darstellte oder lediglich die Spitze des Eisberges.

In ihrem Buch trug sie Jahre später alles zusammen, was sie gefunden hat. In der Zusammenfassung heißt es: "Katherine Ebans 'Bottle of Lies' deckt die Betrügereien bei der Herstellung von Generika auf – und die damit einhergehenden Risiken für die globale Gesundheit. Anhand exklusiver Berichte von Whistleblowern und Aufsichtsbehörden sowie Tausender Seiten vertraulicher FDA-Dokumente enthüllt Eban eine Branche, in der Betrug an der Tagesordnung ist, in der Unternehmen routinemäßig Daten fälschen und in der Führungskräfte fast jeden Grundsatz der sicheren Herstellung umgehen, um Kosten zu minimieren und den Gewinn zu maximieren, selbstsicher in ihrer Fähigkeit, die Behörden täuschen zu können. In der Zwischenzeit nehmen die Patienten unwissentlich Medikamente mit unvorhersehbaren und gefährlichen Wirkungen zu sich."4

Wenn Generika perfekt funktionieren – und viele tun dies auch – können sie sehr wertvoll sein, stellt Eban klar. Das Buch will daher kein Plädoyer gegen Generika sein – aber es will auf eklatante Missstände und Fehlanreize im System aufmerksam machen, die viel zu wenig thematisiert werden. 

Quelle:
  1. Generika für Millionen Patienten: Einsatz bei Volksleiden. https://www.progenerika.de/themen/bedeutung-generika/generika-patienten/ (2020).
  2. Nast, C. Bad bargain. SELF https://www.self.com/story/dangers-of-generic-drugs (2009).
  3. Why the Supreme Court is wrong on generic drugs. Fortune https://fortune.com/2013/06/27/why-the-supreme-court-is-wrong-on-generic-drugs/.
  4. Eban, K. Bottle of Lies: The Inside Story of the Generic Drug Boom. (Ecco, 2020).

    letzter Zugriff auf Websites: 18.10.22