Geriatrische Kliniken sind auf ältere Notfallpatienten vorbereitet

Chirurgie, Innere Medizin oder Neurologie: Bei jüngeren Patienten ist meist klar, auf welche Station sie gehören. Ältere haben dagegen oft mehrere Leiden, die von verschiedenen Fachärzten behandelt

Chirurgie, Innere Medizin oder Neurologie: Bei jüngeren Patienten ist meist klar, auf welche Station sie gehören. Ältere haben dagegen oft mehrere Leiden, die von verschiedenen Fachärzten behandelt werden müssen. Hamburgs geriatrische Kliniken stellen sich darauf ein.

Mit der Hilfe von Schwester Katja führt die 80-jährige Elisabeth Persson ein Glas Wasser zum Mund und trinkt. Etwas Alltäglicheres im Umgang mit älteren Menschen in einem Krankenhaus bei hochsommerlichen Temperaturen ist kaum vorstellbar. Dennoch demonstrieren Katja Bleinagel und Persson im Hamburger Albertinen-Haus einen ganz entscheidenden Punkt der modernen Altersmedizin: Es ist die sogenannte Aktivierende Therapeutische Pflege.

Der gesamte Behandlungsplan ist darauf ausgerichtet, die Selbstständigkeit der Senioren zu erhalten. Flüssigkeit mit einer Schnabeltasse zu verabreichen, ginge viel schneller, wäre aber ohne therapeutischen Effekt. So lernt die Patientin, selbst zum Glas zu greifen. Der Vorteil ist klar: “Sie braucht nicht zu warten bei diesem Wetter, bis ich komme”, sagt Bleinagel.

Die umfassende geriatrische Behandlung ist sehr personalintensiv. Neben Ärzten und Pflegekräften werden Ergo- und Physiotherapeuten, Masseure, Bademeister, Neuropsychologen, Logopäden, Sozialarbeiter und Seelsorger gebraucht. Zugleich steigt die Zahl der Krankenhausfälle bei Senioren stark an, wie ein Sprecher der Asklepios-Kliniken erklärt. Waren in Hamburg im Jahr 2008 erst 33 Prozent der Patienten älter als 70 Jahre, so machte diese Altersgruppe 2013 bereits 40 Prozent aus. Nur in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gibt es ähnlich hohe Steigerungsraten. Die Asklepios-Kliniken bauen darum ihre geriatrischen Stationen in Wandsbek und Ochsenzoll aus. Das Albertinen-Haus hat sich kürzlich mit fünf anderen freigemeinnützigen Einrichtungen wie dem Marienkrankenhaus oder dem Agaplesion Diakonie-Klinikum zum “GeriNet” zusammengeschlossen.

Hochsommer bedeutet für die Altersmedizin auch Hochsaison. Wenn Ältere bei Hitze wenig trinken, können sich die Blutgefäße bei ihnen nicht so schnell auf den Flüssigkeitsmangel einstellen wie bei Jüngeren. Die Folge: Der Blutdruck sinkt, ein Kreislaufkollaps droht, erläutert der Chefarzt der Geriatrie am Marienkrankenhaus, Daniel Kopf. Schluckbeschwerden und Demenz verschärfen das Problem.

Elisabeth Persson hat damit nicht zu kämpfen. Sie trinkt fleißig, kann aufstehen und an Stöcken laufen. Aber auch ihr Fall zeigt, wie komplex die Behandlung älterer Patienten ist. “Es war ein bisschen dramatisch”, erinnert sie sich an die Nacht, in der sie ins Krankenhaus kam. Mit hohem Fieber und Schüttelfrost wird sie in eine Privatklinik in Hamburg-Groß Flottbek gebracht. Die Diagnose: Blutvergiftung. Die Coli-Bakterien, die ihr Blut bis zur Harnblase vergiften, werden mit Medikamenten bekämpft. Doch ihre Nieren machen das nicht mit. Schon vor der akuten Erkrankung hatte eine künstliche Hüfte ihr Schmerzen bereitet, in den Knien hat sie Arthrose. Ob sie je wieder in ihre Wohnung im ersten Stock zurückkehren kann?

Die Privatklinik überweist sie in das Albertinen-Haus im Stadtteil Schnelsen. “Da ist nun ein Wunder geschehen”, sagt die frühere Hauswirtschaftsleiterin strahlend. “Ich bin schmerzfrei und spaziere tapfer durch die Lande.” Sie hofft, in wenigen Tagen wieder die beiden Treppen zu ihrer Wohnung hochsteigen zu können und weiter ohne Hilfe mit ihrem noch rüstigen 83 Jahre alten Mann zu leben. Wie in ihrem Fall müssen Altersmediziner stets die “Multimorbidität” der Hochbetagten im Blick haben. Eine akute Krankheit oder Unfallverletzung bedingt meist weitere Leiden. Nach einer Routine-OP hat etwa jeder Zweite ein sogenanntes Delir, das heißt, der Patient ist verwirrt, sein Gehirn macht nicht mehr richtig mit. Ältere nehmen oft viele Medikamente zugleich, mit bedenklichen Wechselwirkungen. Nach einem Schlaganfall fallen mehr als die Hälfte der Patienten in eine Depression, sagt der Chefarzt der Neurologie in der Asklepios-Klinik Wandsbek, Lars Marquardt.

Oberstes Gebot in der Geriatrie ist dennoch, so sein Kollege von der Asklepios-Klinik Nord, Peter Flesch: “Raus aus dem Bett!” Jeden Tag verliere der liegende Patient zwei Prozent seiner Muskelmasse. Elisabeth Persson trainiert darum eisern mit ihren Gehstöcken und macht Gleichgewichtsgymnastik. “Egal wie alt man ist, man kann Muskeln aufbauen”, sagt der Physiotherapeut Thomas Scharfschwerdt. Er leitet eine Art Fitness-Studio im Albertinen-Haus. Als ältester Patient stemmt dort Carl Binne mit seinen Beinen Gewichte. Seine Hüftgelenke seien kaputt, sagt der 91-Jährige. Der ehemalige Feuerwehrmann kommt nun zum Bewegungstraining ins Albertinen-Haus und ist hochmotiviert. Geschwind macht er zehn Kniebeugen und sagt dann mit ruhiger Stimme: “Man muss sich bemühen und nicht sagen, man kann nichts.”

Der Chefarzt der Medizinisch-Geriatrischen Klinik im Albertinen-Haus, Wolfgang von Renteln-Kruse, betont: “Es gibt eigentlich keine alten Menschen, die nicht auch Ressourcen haben. Auch ein chronisch Kranker kann irgendwas.” Der Forschungsschwerpunkt des Professors ist die Frage, wie Pflegebedürftigkeit verhindert werden kann. Auch er sieht den Schlüssel dafür in der Aktiven Therapeutischen Pflege. Marquardt verweist auf die Erfolge der modernen Altersmedizin. In diesem Jahr seien in der “Stroke Unit” von Asklepios schon mehrere über 100-Jährige nach einem Schlaganfall erfolgreich behandelt worden, darunter eine Frau von 106 Jahren. “Sie ist wieder zu Hause und wohnt mit ihren Angehörigen.”

Text: dpa /fw