GOÄ-Reform: fertig und zu Tode verhandelt

Lange wurde zur GOÄ-Reform verhandelt. Jetzt ist die Novellierung fast abgeschlossen, aber das Reformfenster hat sich geschlossen.

Bewertung von insgesamt 5.600  Leistungen abgeschlossen

Nach übereinstimmenden Informationen aus der Bundesärztekammer und dem PKV-Verband steht der Entwurf für eine neue Gebührenordnung für Ärzte kurz vor der abschließenden Konsentierung. Nach dem Rechtsteil und der Beschreibung der Leistungen entsprechend dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis ist nun auch die Bewertung der insgesamt 5.600  Leistungen – bis auf wenige Ziffern – abgeschlossen.

"Wenn der Bundesgesundheitsminister uns anrufen würde, könnten wir den Entwurf sofort vorlegen"

PKV-Verband

Über den Stand des Mega-Projekts  hatte der scheidende Dezernent der Abteilung Gebührenordnung der Bundesärztekammer, Dr. Markus Stolaczyk, beim Deutschen Rheuma-Kongress vom bevorstehenden Abschluss der langjährigen Verhandlungen jüngst berichtet. Der Entwurf enthält wesentliche Neuerungen:

GOÄ repräsentiert die Medizin von 1980 

Dass die Reform seit langem objektiv überfällig ist, dürfte unstrittig sein. Die letzte große Überarbeitung der GOÄ fand Anfang der 1980er Jahre statt und trat am 1. Januar 1983 in Kraft. Neben einem neuen Leistungsverzeichnis wurden damals die Schwellenwerte des 2,3fachen Gebührensatzes als Begründungsschwelle für eine Überschreitung dieses Satzes, der sich dann als Regelmultiplikator etablierte, und der 3,5fache Satz, ab dem die GOÄ mit Zustimmung des Patienten abgedungen werden konnte, eingeführt. 

Bis auf eine einmalige Überarbeitung vor allem der chirurgischen Leistungen änderte sich am Inhalt der GOÄ seit über 40 Jahren nichts mehr.  Über lange Zeit konnte man sich damit behelfen, dass neue Leistungen in Form von Analogbewertungen akzeptiert wurden – je weiter sich allerdings die Medizin und ihre technischen Möglichkeiten fortentwickelten, umso weniger rechtssicher gerieten diese Behelfslösungen.

 Beratung und Zuwendung unterfinanziert

Auch die Bewertungsrelationen innerhalb der GOÄ wurden im Zeitablauf immer unstimmiger und bildeten nicht mehr Kosten der Praxis und Zeitaufwand der Ärzte sachgerecht ab. Während es in stetigen Reform- und Verhandlungsprozessen um den Einheitlichen Bewertungsmaßstab gelang, die Rationalisierungseffekte bei technischen Leistungen zu nutzen, um Mittel für die sprechende und Beratungsmedizin zu mobilisieren, ist die unmittelbare und persönliche Zuwendung des Arztes zu seinen Privatpatienten nur noch höchst unzulänglich abgebildet und um Grund genommen nur in der Quersubventionierung ökonomisch tragbar. 

Selbst höchst aufwendige, prekäre und belastende Beratungssituationen wie beispielsweise die Mitteilung einer Krebsneuerkrankung mit all ihren Folgen wie den weiteren diagnostischen Verlauf und die Festlegung einer Therapiestrategie einschließlich der Bedeutung der Krankheit für Beruf, Familie und Lebensqualität bringt gerade einmal ein Honorar von 60 Euro.

Ungeachtet dessen ignorierte der Verordnungsgeber lange Zeit die Reformnotwendigkeit. Ursache war die Fundamentalauseinandersetzung um die Einführung einer Bürgerversicherung und damit einhergehend die Hoffnung von SPD und Grünen, eine einheitliche Vergütung für die Behandlung aller Patienten zu erreichen. Die Bürgerversicherung erwies sich als nicht realisierbar, aber bis zum Ende der Ära von Ulla Schmidt 2009 blieb im Gegenzug die Reform der GOÄ liegen.     

Das Reformfenster öffnete sich 2009, als Philipp Rösler (FDP) Gesundheitsminister wurde. Einer damals anstehenden Reform der Gebührenordnung für Zahnärzte wollte er unmittelbar eine GOÄ-Novelle folgen lassen. Die Bedingung von Rösler und seinen Nachfolgern Bahr, Gröhe und Spahn: BÄK, PKV und Beihilfe müssen einen Konsensentwurf vorlegen.

Lähmender Verhandlungsprozess

Für fast drei Legislaturperioden waren die Reformchancen unter einem zunächst FDP-, dann Unions-geführten Gesundheitsministerium groß, ohne dass es den Verhandlern gelang, in dieser Zeit einen Kompromiss zu finden. Ursächlich dafür war, dass die Ärzteseite einen rigorosen Ansatz vertrat und grundsätzlich Elemente, die den EBM charakterisieren – teils starke Pauschalierungen, Mengenbegrenzungen und Budgetlösungen – in einer neuen GOÄ unbedingt vermeiden wollten. Das Prinzip der Einzelleistungsvergütung sollte in Reinkultur in die Zukunft gerettet werden.

Ein weiterer Streitpunkt war das Procedere für eine Weiterentwicklung der GOÄ, um zu vermeiden, dass ein abermaliger Reformstau eintreten würde. Das würde Verhandlungen  zwischen Ärzten und Kostenträgern erfordern – Verhandlungen, in die natürlich auch ökonomische Restriktionen einfließen würden. Das wiederum roch nach Kassenmedizin und stieß lange Zeit auf Widerstand der Ärzte.

Zwischenzeitlich stand das Reformprojekt komplett vor dem Scheitern. Im März 2016 trat BÄK-Vorstand Dr. Horst Windhorst vom Amt des Verhandlungsführers für die Ärzte zurück, Dr. Klaus Reinhardt folgte. Wie ein "ceterum censeo" folgten Ankündigungen der BÄK-Spitze, die Novelle sei auf der Zielgeraden.

Sisyphosarbeit im Detail

Dennoch ging es unter der Federführung von Klaus Reinhardt nach 2016 zügig vorwärts mit der Reformarbeit, die dann in Details geleistet werden musste: die inhaltliche Konsentierung von 5.600 Leistungen mit Berufsverbänden und Fachgesellschaften und schließlich die betriebswirtschaftliche Bewertung einer jeden einzelnen Leistung. 

Offenbar rechneten Ärzte und PKV nicht damit, dass sich Koalitionskonstellationen ändern könnten. Genau das passierte im Herbst letzten Jahres. Seitdem sind SPD und Grüne die dominierenden Kräfte in der Ampel. 

So hat sich mit dem Start in die neue Legislaturperiode das Reformfenster geschlossen. Um einen neuen Streit um die PKV und die Bürgerversicherung zu vermeiden, haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, alle Fragen, die das Verhältnis von GKV und PKV betreffen, auszuklammern. Anders als in den Koalitionsverträgen der Vorgänger-Regierungen ist eine GOÄ-Reform nicht mehr vorgesehen. Auch FDP-Parlamentarier reagieren auf Nachfrage schmallippig und verweisen mit Achselzucken auf den Koalitionsvertrag.  

Viel anderes wird Karl Lauterbach auch bei seinem Auftritt beim Ärztetag wohl nicht sagen: "Pacta sunt servanda."