"Hausaufgaben für Patienten mit Bluthochdruck"

Fragen an Prof. Dr. med. Burkhard Weisser von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Sportwissenschaft und Sportmedizin zu seinem neuen Buch "Hausaufgaben für Patienten mit Bluthochdruck“

Mehr Bewegung, Eigenmotivation und ärztliche Hilfe

Fragen an Prof. Dr. med. Burkhard Weisser von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Sportwissenschaft und Sportmedizin zu seinem neuen Buch “Hausaufgaben für Patienten mit Bluthochdruck“.

esanum: Sie geben viele wertvolle Tipps in ihrem Buch “Hausaufgaben für Patienten mit Bluthochdruck“. Welche der Hausaufgaben sollte der Hypertoniker wirklich nie vergessen?

Weisser: Ganz einfach: Zehntausend Schritte am Tag und nicht nachsalzen. Das ist am wichtigsten.

esanum: Abgesehen von den Genen haben wir alle anderen Faktoren selbst in der Hand. Muss dann der behandelnde Arzt nicht auch ein wenig Psychotherapeut sein?

Weisser: In der besten aller Welten wären wir auch Psychotherapeuten. Insbesondere was Motivation, Antrieb zur Bewegung angeht. Aber man schafft das ja schon in der eigenen Familie kaum, Verhalten zu ändern.

esanum: Als Sportmediziner müssten Sie aber schon ein paar Tricks kennen.

Weisser: Der entscheidende Punkt ist, dass wir zu lange gedacht haben, wir müssten Menschen motivieren und schulen. Aber das Kognitive ist gar nicht unbedingt nötig. Die meisten wissen, was gesund ist. Und die meisten sind auch motiviert, gesünder zu leben. Das entscheidende ist etwas ganz anderes: Handlungsorientierung. Also ganz konkrete Unterstützung bei der Handlung. Zuerst steht die Vorsatzbildung: am 1.1. hörst du, mein Patient, auf zu rauchen. Ich unterstütze dich in dem und dem Punkt. Am 1.6. gehst du zum Sportverein Rot-Weiß Lessenich. Und ich unterstütze dich, indem ich dir die Adresse von Frau Müller gebe, die wartet schon auf dich, hier die Telefonnummer. Und ich ruf dich nach einer Woche an und höre, ob du es gemacht hast. Also der Trick ist: Unterstützung bei der Handlung.

esanum: Auch Kontrolle und Verpflichtung?

Weisser: Es sind eher Handlungskontrollmechanismen, die der Patient selbst lernen kann. Zum Beispiel: Wenn es regnet, einfach nicht drauf achten, trotzdem laufen gehen. Wir haben Diabetiker mal jede Woche angerufen und gefragt, ob sie die Bewegungsempfehlungen umgesetzt haben. Und auch gefragt: Gibt es Probleme, bei denen wir helfen können? Dann haben wir gedacht, dass sie nach spätestens sieben Wochen sagen: Jetzt hören sie doch endlich auf damit. Aber das Gegenteil war der Fall. Nachdem wir das nach drei Monaten beendet hatten, haben sie bei uns angerufen und gesagt: Das hat mir so geholfen. Das fehlt mir jetzt.

esanum: Weniger Bauch – bessere Blutdruckparameter, das ist bekannt. Woran mangelt es: An der Überzeugungskraft der Ärzte oder am Willen der Patienten?

Weisser: Die Überzeugungskraft ist in der Tat nicht so gut. Der Wille der Patienten reicht auch nicht ganz. Aber vor allem mangelt es an der Umsetzung. Viele schaffen es nicht, haben nicht genug Unterstützung. Und der Arzt kann das auch gar nicht immer leisten. Da braucht es mehr professionelle Unterstützung. Bei Diabetes gibt es ja Diabetes-Beraterinnen und Assistentinnen. Bei der Hypertonie brauchen wir auch Hypertonie-Assistentinnen, die in solchen Dingen helfen können.

esanum: Wo werden die meisten Fehler beim Blutdruck-Messen gemacht?

Weisser: Fehler in Arztpraxen entstehen, wenn der Patient keine ausreichende Ruhepause vor der Messung hat, also nicht eine bis drei Minuten erst mal ganz ruhig dasitzt. Oft wird nebenbei schnell gemessen und nicht in einem ruhigen Zimmer, indem eine entspannte Atmosphäre herrscht. Manche empfinden das als Stress und haben dann die sogenannte Weißkittelhypertonie. Bei der Selbstmessung wird der Fehler gemacht, dass man ein Handgelenkgerät benutzt, das nicht geprüft ist und dass das Handgelenk nicht auf Herzhöhe gehalten wird.

esanum: Ab wann wird ein Blutdruck überbewertet/übertherapiert?

Weisser: Es reicht, wenn der Blutdruck 140 zu 90 ist. Der muss nicht auf 120 runtergedrückt werden. Bei über 80-Jährigen reicht 150. Bis zum Alter von 80 sollte der obere Wert unter 140 sein. Übertherapie wäre auch, wenn jemand einen leicht erhöhten Blutdruck hat und gleich vom ersten Tag an mit pharmakologischen Hämmern draufgehauen wird. Also zwischen 140 und 160 kann man es auch erstmal ein paar Monate anders versuchen: Gewicht reduzieren, salzarme Kost, regelmäßige Bewegung.

esanum: Was meinen Sie mit “Bewegungshäppchen“?

Weisser: Das heißt: Jeder Schritt zählt. Ein guter Start ist, wenn man sich fünfmal am Tag drei Minuten bewegt. Die nicht medikamentösen Maßnahmen sind mindestens unterstützend, in machen Fällen sogar ersetzend. Es gibt wenige Patienten, die sind erstmal geschockt von der Diagnose. Und dann ziehen die das knallhart durch. Nehmen 20 Kilo ab, stellen ihr Leben um, essen vegetarisch, kaum Salz, und diese wenigen schaffen es tatsächlich, dass sie keine Tabletten nehmen müssen. Das ist einer von hundert.

esanum: Hohen Blutdruck wegatmen - geht das wirklich?

Weisser: Mit Atemyoga, Mediation, atemgestützten Biofeedback-Methoden kann man tatsächlich den Blutdruck senken. Das sind Techniken, die muss man erlernen - und das ist noch schwieriger als die Schrittzahl erhöhen.

esanum: Ganz ohne Medikamente geht es oft doch nicht, wie trösten Sie Patienten, wenn sie dauerhaft eingestellt werden?

Weisser: Niemand nimmt gerne Pillen, keiner möchte Chemie einnehmen. Aber mit diesen Tabletten leben sie länger. Und bestimmte Tabletten haben Nebenwirkungen wie Placebos. Gerade die Sartane. Die ACE-Hemmer haben als einzigen Nachteil den Husten, den entwickeln 10 bis 15 Prozent der Patienten. Und dann sage ich: Wenn Sie die Vorschläge zur Lebensstiländerung umsetzen, können wir die Dosis später vielleicht halbieren oder das Medikament ganz absetzen.

esanum: Blutdrucksenker - welche sind die besten?

Weisser: Zum Beispiel das Candesartan oder das Valsartan. Das sind AT-1 Blocker, Fortentwicklungen der ACE-Hemmer.

esanum: Wie können Patienten Experten ihrer eigenen Erkrankung werden?

Weisser: Die Deutsche Hochdruckliga und die Hypertensiologen versuchen, in immer mehr Praxen Hypertonieschulungen zu etablieren. Selbsthilfegruppen sind auch sehr gut. Und wer das Buch liest, hat auch alles, was er an Wissen braucht.