Wenn es um Entscheidungen über medizinische Maßnahmen geht, gilt ja der partizipatorische Entscheidungsprozess eigentlich als das Non plus ultra und das ist auch gut so!
Doch wenn wir in der Medizin von Patientenbeteiligung sprechen, müssen wir ehrlicher werden. Der Begriff erscheint häufig nur als Floskel. Der Blick in die klinische Routine zeigt, dass beispielsweise beim Thema “Tumorkonferenzen” noch viel Verbesserungspotential existiert, um das mal vorsichtig zu beschreiben.
Tumorkonferenzen gelten als anerkannter Qualitätsindikator in der , da sie interdisziplinäre Expertise bündeln und leitliniengerechte Entscheidungen sichern. Doch die Perspektive der Patientinnen bleibt meist außen vor: Ihre Werte, Wünsche und Sorgen fließen nicht automatisch in die Beratung ein. Dadurch entsteht eine Informationslücke, und viele fühlen sich übergangen – es wird „über sie“ statt „mit ihnen“ gesprochen. Echte Qualität erfordert daher, die Patientinnenstimme systematisch einzubeziehen und medizinische Expertise mit ihren Lebensrealitäten zu verbinden.
In Tumorkonferenzen werden Entscheidungen und Empfehlungen erarbeitet, die teilweise lebensbedrohliche oder existenzielle Einbußen für das Leben und die Lebensqualität der Patientinnen bedeuten. Es geht um vieles, um Aufklärung zu Operationen, , , Immuntherapien oder andere zielgerichtete Therapien. Die Frage ist: Wie lange braucht jemand die Behandlung? Welche Nebenwirkung ist für welche Patientin akzeptabel - und welche nicht? Und wir sind uns einig, dass darüber niemand besser entscheiden kann als der betroffene Mensch selbst.
Aber wie weit können Patientinnen mit entscheiden, ob sie einen Ultraschall oder eine Computertomographie oder eine PET-Untersuchung benötigen, was sind die Konsequenzen? Die Teilhabe, das partizipatorische Einbinden der Patientinnen gilt für alle medizinischen Prozeduren, sowohl in der Diagnostik, Therapie als auch in der Nachsorge. Auch Aspekte der sollten stärker in die Therapieentscheidung einfließen, so auch die Therapiedauer. Wo entscheiden sie wirklich mit? Welche Alternativen werden bei den medizinischen Maßnahmen aufgezeigt und worauf basiert die finale Entscheidung? Problematisch ist besonders, wenn die Präferenz und Meinung der Patientinnen unberücksichtigt oder nicht nachvollziehbar formuliert wird. Manchmal gibt es Therapieempfehlungen, die ein Wiederauftreten der Erkrankung um zwei oder drei Prozent verhindern können, dafür aber erhebliche Nebenwirkungen, z.B. eine erhebliche zeitliche Investition der Patientinnen mit sich bringen. Wie können wir dies in unsere therapeutischen Entscheidungen einbeziehen?
Auch ich habe hier keine Patentlösung, aber lassen Sie uns doch erstmal dieses Problem artikulieren und dann mit unseren Patientinnen interdisziplinär und transprofessionell nach Lösungen suchen!
Was ich damit sagen will: Wenn wir den Anspruch zu mehr Patientenbeteiligung ernst nehmen, müssen wir in allen Prozessen, die eine medizinische Maßnahme begleiten - Vorsorge, Screening, Therapien, Nachsorge - die Erwartungen und Ziele der Patientinnen artikulieren und reflektieren. Und sie dann zur Grundlage einer Therapieentscheidung machen. Nicht nur der Zulassungstext oder die persönliche Erfahrung des Arztes und seine Überzeugung können die alleinige Basis der medizinischen Entscheidungen sein. Und wenn wir über Lebensqualität reden, können wir Ärzte nicht einfach glauben: “Wir wissen schon, was für die Patienten gut ist.” Nein! Wir müssen sie einbinden in die Entwicklung, in die Durchführung und in die Interpretation von Studien. Es gibt bereits gute Beispiele in der Forschung, wo Patientinnen und Patienten in die Konzeption von Studien eingebunden werden, um zu erfragen: Ist das überhaupt ein Studienkonzept, das Patienten wollen? Oder sind ganz andere Fragen wichtig? Also lassen Sie uns auch Patientinnen als Co-Scientists und Partner anerkennen - und dies gilt für die klinische Praxis und Forschung!
Wir brauchen Strukturen, die Patientenbeteiligung strukturiert etablieren. Doch gerade deswegen müssen sie umfassend informiert, aufgeklärt und empowered werden. Es geht dabei meistens nicht nur um Ja oder Nein, sondern auch um alternative Möglichkeiten. Dieser Prozess fehlt bisher. So können wir das hohe Ziel der personalisierten Medizin nie erreichen.
Der partizipatorische Ansatz ist ja eigentlich juristisch verankert. Wir müssen über jede medizinische Maßnahme aufklären.
Ich sehe zwei Möglichkeiten. Die Patientin könnte sich in der Tumorkonferenz sich selbst kurz vorstellen, etwa in einem eineinhalb-Minuten-Video. Wir könnten auch ein -Unterstütztes Interview mit der Patientin verwenden.
Oder im Gremium sitzt neben dem Pathologen, dem Strahlentherapeuten eine Patientenvertreterin. Die Konzepte gibt es bereits. Da geht es um solche Fragen: Was ist mit der Sexualität? Wie kann der Alltag gemeistert werden? Mir geht es darum, dass die Stimme der Patientin sichtbar und hörbar wird. Es kann nicht dem Zufall überlassen sein, ob der Arzt, der die Patientin in der Konferenz vorstellt, sie selbst kennt.
An unserer nimmt z.B. seit etwa vier Jahren eine Patientenvertreterin teil, die auf Augen- und auf Herzenshöhe mit all den Spezialisten ist. Das Ziel besteht darin, die Perspektive der Patientin so authentisch wie möglich in der Konferenz zu vertreten. Und ich stelle fest, dass allein schon die Anwesenheit der Patientenvertreterin bewirkt, dass der Fokus mehr auf die Patientenperspektive gerichtet wird.
Wenn ich allerdings mit Kolleginnen oder Kollegen darüber spreche, scheint besonders der Zeitfaktor ein Gegenargument zu sein, das ist keine Überraschung. Aber ich sage: Man muss die Tumorkonferenzen entschlacken, indem man dort nur die wesentlichen Dinge bespricht. So können wir Zeit gewinnen. Manchmal haben wir zum Beispiel unkomplette Konferenzen, bei denen noch nicht alle Befunde vorliegen. Das muss nicht sein. Die Konferenzen müssen fokussiert und gezielt angesetzt werden. Und ich glaube ohnehin, dass wir in vielen medizinischen Prozessen häufig Zeit gewinnen könnten, wenn wir die Konferenzen z.B. auf das Wesentliche konzentrieren. Ich bin nicht sicher, dass wir keine Zeit haben - es geht eher um Priorisierung und das Gewinnen von Zeit, indem wir uns von sinnlosen Prozeduren und Schnittstellen befreien. Und dazu zählt nicht nur die Tumorbiologie, sondern auch das Wissen um den Menschen, der dahintersteckt.
Und es geht ja noch weiter: Wer erklärt der Patientin die Ergebnisse? Und wie wird ihr das Protokoll der Konferenz ausgehändigt? In welcher Sprache? Und wie allgemeinverständlich? Auch hier könnte die KI natürlich helfen.
Doch Veränderung ist in der Medizin ein zäher Prozess. Deswegen müssen wir jetzt erst einmal beginnen, das Wort Partizipation ernster zu nehmen. Lasst uns gemeinsam die Patientenstimme besser berücksichtigen, als eine Allianz der Willige