Kardiovaskuläre Inflammation – eine zentrale Frage

Prof. Dr. Stephan Baldus, Direktor an der Klinik III für Innere Medizin am Herzzentrum der Universitätsklinik Köln, Kongresspräsident beim Kongress der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft, beantwortet Fragen von esanum zu den Kongresszielen und dem aktuellen Stand in seinem Fach.

Prof. Dr. Stephan Baldus, Direktor an der Klinik III für Innere Medizin am Herzzentrum der Universitätsklinik Köln, Kongresspräsident beim Kongress der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft, beantwortet Fragen von esanum zu den Kongresszielen und dem aktuellen Stand in seinem Fach.

esanum: Der Kongress der DGK 2019 steht unter dem Motto Kardiovaskuläre Inflammation – warum haben Sie dieses Motto gewählt?

Baldus: Das hat mehrere Gründe. Der eine ist, dass ich die Ehre habe, den Kongress als Tagungspräsident begleiten zu dürfen – und mein Forschungsschwerpunkt fällt in diesen Bereich. Der viel wichtigere Grund für dieses Motto ist aber, dass Inflammation, also Entzündungsreaktionen, eine überragende Bedeutung haben für die Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen: Die uns bekannten Risikofaktoren erklären bestenfalls 50% aller durch Arteriosklerose verursachten Erkrankungen.  Für die Arteriosklerose sind Entzündungszellen, Leukozyten, ganz wesentlich von Bedeutung und eben nicht nur die Cholesterinablagerung. Und man hat in einer Vielzahl von Folgeuntersuchungen festgestellt, dass das nicht nur die Arteriosklerose betrifft, also die Entstehungsmechanismen für den Herzinfarkt, sondern auch die Herzschwäche. Und dass auch das Auftreten von Rhythmusstörungen, vielleicht auch Erkrankungen der Hauptschlagader, ganz wesentlich getrieben sind durch Entzündungsvorgänge.

esanum: Ist das denn eine neue Erkenntnis?

Baldus: Eigentlich nicht. Die Erkenntnis, dass Arteriosklerose eine entzündliche Erkrankung ist, ist weit über 100 Jahre alt und geht in das 19. Jahrhundert zurück. Rudolf Virchow war der erste, der Arteriosklerose in einem Zusammenhang mit Entzündung brachte. Mittlerweile ist die Bedeutung der Vielzahl von Entzündungs-Mediatoren in Detail untersucht. Aber das Frappierende ist, dass es uns trotz der immer genaueren Kenntnis der molekularen Mechanismen dieser Erkrankungen bisher nicht gelungen ist, eine wirklich profunde Therapie anbieten zu können, die diese Mechanismen angreift. Es gibt zwar ermutigende Untersuchungen, die am Patienten durchgeführt wurden - zuletzt hat man versucht, die Entzündungssignalwege zu unterbrechen. Aber wir haben Stand 2019 keine medikamentöse Therapie zur Verfügung, die breit anwendbar wäre. Deswegen können wir uns mit der aktuellen Situation und den Möglichkeiten in unserem Fach bzgl. neuer Therapien nicht zufriedengeben.

esanum: Was schließen Sie daraus?

Baldus: Wir vertreten ein faszinierendes Fach - gerade was minimalinvasive Verfahren in der Therapie angeht, haben wir Vorbildfunktion. Dass wir über die Leiste Herzklappen ersetzen oder reparieren können, dass wir Herzinfarkte innerhalb von Minuten behandeln können, dass wir Herzrhythmusstörungen durch kathetergestütztes Veröden dauerhaft eliminieren können – das alles ist faszinierend. Aber was uns idealerweise gelingen sollte, ist, dass wir mit Medikamenten erreichen, dass diese Erkrankungen nicht mehr auftreten oder wenigstens zum Stillstand kommen. Hierzu ist Forschung so wesentlich.

esanum: Was sind die wichtigsten Botschaften des Kongresses?

Baldus: Dieser Kongress ist ein ganz besonderer, weil er wie wenige andere das gesamte Spektrum der Herz-Kreislaufmedizin unter einem Dach versammelt: Es kommen nicht nur klinisch tätige Kardiologen, Chirurgen und Mediziner der angrenzenden Fachgebiete zusammen, sondern auch die Grundlagenwissenschaftler. Und damit auch Nachwuchswissenschaftler, die sich mit den Mechanismen der Erkrankungen beschäftigen. Daraus entsteht eine besonders fruchtbare Interaktion zwischen den unterschiedlichen Bereichen unseres Faches. Das ist ein herausragendes Merkmal dieses Kongresses.

esanum: Zu den Highlights der Tagung zählen Rhythmusstörungen – was gibt es an Neuigkeiten?

Baldus: Man wird immer besser im Verständnis der Entstehung der Rhythmusstörungen und auch in der Effektivität der Behandlungsmöglichkeiten. Neue Studien, die auch auf dem Kongress diskutiert werden, haben gezeigt, welche Patienten von welcher Behandlungsstrategie profitieren.

esanum: Die Volkskrankheit Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Todesursachen: wo steht die Medizin 2019?

Baldus: Die Herzinsuffizienz bleibt die Herausforderung schlechthin für unser Fach – weil die Prognose dieser Patienten so ungünstig ist. Sie ist so schlecht wie für manche Krebserkrankungen: Männer mit Herzschwäche haben ein schlechtere Prognose als solche mit Prostata- oder Blasenkrebs, Frauen mit Herzschwäche eine schlechtere als mit der Diagnose Brustkrebs. Aber im Gegensatz zum Krebs hat die Herzschwäche nicht so eine große Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Wir sind weiterhin konfrontiert mit einer nicht heilbaren Erkrankung, aber wir sind viel besser geworden, ihren Verlauf aufzuhalten. Doch der Kongress wird auch herausarbeiten, nach welchen molekularen Mechanismen wir suchen müssen, um diese Erkrankung zurückzudrängen - nicht nur durch interventionelle Maßnahmen, durch operative Prozeduren und die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Medikamente.

esanum: Was macht hier die experimentelle Kardiologie?

Baldus: Das ist ja das Spannende. Wir haben auf der einen Seite die Kliniker, die klinische Studien zur Effektivität und Verträglichkeit von Medikamenten oder kathetergestützten Verfahren präsentieren werden. Und gleichzeitig treffen sich die Grundlagenforscher und gehen zwei, drei Schritte zurück und fragen, was passiert in der Zelle eines kranken Herzens, dass diese nicht richtig funktioniert? Sodass es hier die Chance gibt, Mechanismen und damit zukünftige Innovationen der Behandlung zu diskutieren und gleichzeitig den aktuellen Stand der Therapie referiert zu bekommen.

esanum: Was sind derzeit die Forschungsschwerpunkte der Kardiologen?

Baldus: Ein wichtiger Bereich sind die kathetergestützten Behandlungen von Herzklappenerkrankungen. Das fällt in den Kontext der strukturellen Herzerkrankungen. Herzklappenerkrankungen waren zunächst gar nicht, dann lange Zeit nur durch offen chirurgische Verfahren behandelbar. Heute gehen wir zunehmend sicher und effektiv mit kathetergestützten Eingriffen vor. Hier findet ein Paradigmenwechsel statt. Und Kardiologen und Chirurgen justieren in immer kürzeren Abständen die Grenzen für das eine oder andere Verfahren neu.

esanum: Wo sehen Sie die größten Probleme für Ihr Fach?

Baldus: Die wichtigste Herausforderung ist, dass wir die Faszination, die unser Fach bietet, erhalten und dieses Fach so attraktiv gestalten, dass es für unseren wissenschaftlichen und klinischen Nachwuchs weiterhin die Anziehung hat, die es verdient. Sodass wir im Wettbewerb der Disziplinen die besten Nachwuchsmediziner für unser Fach begeistern. Meines Erachtens kann kein anderes Fach so ein Spektrum bedienen - von der Akut- und Notfallversorgung, über operative Techniken, bis hin zur Grundlagenforschung. Wir müssen in Deutschland erreichen, dass wir in den unterschiedlichen Sektoren, auch der medizinischen Forschung ein so attraktives Umfeld schaffen, dass es für den jungen Mediziner interessant ist, dort zu arbeiten. In der Herz-Kreislaufmedizin gilt das insbesondere, da wir weiter mit unheilbaren Krankheiten konfrontiert sind und deshalb ein so hoher Forschungsbedarf verbleibt. Hier müssen wir nicht zuletzt die Gesellschaft und Politik motivieren, die Forschungs- und Ausbildungsbedingungen für unser Fach weiter zu verbessern.