Konservativ oder operativ? – Aktuelle Evidenz und Diskussion zur Behandlung der akuten Appendizitis

Prof. Dr. Kerstin Schütte und PD Dr. Julian-Camill Harnoß diskutierten auf dem DGVS-Kongress die Behandlung der akuten Appendizitis - konservative Antibiotikatherapie oder operative Appendektomie?

Appendizitis: Antibiotika versus Operation

Prof. Dr. Kerstin Schütte, Chefärztin der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie, Diabetologie an den Niels-Stensen-Kliniken, und PD Dr. Julian-Camill Harnoß, Oberarzt an der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg, diskutierten auf dem DGVS-Kongress die Behandlung der akuten Appendizitis. Im Fokus standen konservative Antibiotikatherapie versus operative Appendektomie.

Prof. Dr. Kerstin Schütte eröffnete die Sitzung mit einer umfassenden Darstellung der konservativen Therapie der akuten , die zu den häufigsten abdominellen Notfällen zählt. Das Lebenszeitrisiko liegt bei schätzungsweise sieben bis acht Prozent. Etwa 80 Prozent der Fälle verlaufen unkompliziert, ohne Nekrose oder Abszess. Diskussionen gibt es über die geeignete Form der Behandlung.

Dabei wird die konservative Behandlung mit Antibiotika zunehmend als relevante Alternative zur Operation angesehen. Leitlinien empfehlen diese Therapieform für viele Patienten. Die Diagnostik ist jedoch herausfordernd, da klinische Befunde, Bildgebung und Scores kombiniert werden müssen. Es gelingt daher nicht immer, Patienten adäquat zu klassifizieren. Laut Schütte zeigen etwa 15 Prozent der operierten Patienten keinen pathologischen Befund, sodass der operative Eingriff im Nachhinein als nicht erforderlich eingestuft werden kann.

Operation versus konservative Therapie

“Die Appendix ist kein funktionsloses Organ. Sie ist reich an lymphatischem Gewebe und spielt eine wichtige Rolle in der Regulation des Immunsystems und auch in der Komposition der intestinalen Mikrobiota”, betont Schütte. Ihr Verlust wird unter anderem mit Folgeerkrankungen wie allergischer Rhinitis, kolorektalem , Pankreaskarzinom und Gallensteinen assoziiert. Komplikationen der Appendektomie reichen von Wundinfektionen bis zu intraabdominellen Abszessen. 

Die konservative Therapie zeigt in großen randomisierten Studien wie APPAC (DOI: ) und CODA ( DOI: ) eine hohe Erfolgsrate, wobei 60 bis 70 Prozent der Patienten langfristig ohne Operation auskommen. Modelle zur Patientenselektion basieren auf Alter, CRP- und Leukozytenzahl, um geeignete Kandidaten für die Antibiotikatherapie zu identifizieren.

Rote Flaggen für eine konservative Behandlung sind schwere systemische Erkrankungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Immunsuppression und das Vorliegen von Appendikolithen. Die S3-Leitlinie empfiehlt die antibiotische Behandlung bei unkomplizierter Appendizitis, betont jedoch die höhere Effektivität der Operation. Prof. Dr. Schütte plädierte für eine partizipative Entscheidungsfindung, bei der Patienten individuell beraten werden. Sie erwähnte zudem die endoskopische Therapie (ERAT) als zukünftige Option.

Prochirurgische Perspektive 

Dr. Julian-Camill Harnoß bewertete die konservative Therapie hingegen kritisch. Er führte die Studie ins Feld, die zeigte, dass eine geplante Operation innerhalb von 24 Stunden die Perforationsrate nicht erhöht und eine Antibiose in diesem Kontext nicht notwendig ist. Er verwies auf eine 100-prozentige Effektivität der gegenüber 73 Prozent bei einer Antibiotikatherapie. Außerdem müssten bis zu 35 Prozent der Patienten nach drei Jahren doch operiert werden und nach fünf Jahren seien es sogar bis zu 40 Prozent der Patienten. “Es gibt keinen prognostischen Marker für die Frage, ob die Appendizitis wiederkommt, wenn die initiale Behandlung erfolgreich war”, sagt Harnoß.

Er betonte, dass bei Versagen der Antibiotikabehandlung häufig komplizierte Appendizitiden auftreten. Die geeignete Auswahl, Dauer und Applikationsform der Antibiotika seien überdies unklar, ebenso wie das Risiko von Resistenzen. Als ein weiteres Argument führte er mögliche Malignome an, da trotz vorangegangener CT-Diagnostik in 0,6 Prozent der Fälle erst bei der OP Neoplasien festgestellt worden seien.

Lebensqualität und Patientenzufriedenheit sind laut Harnoß bei primärer Operation höher, während Antibiotikatherapie mit längeren Krankheitszeiten und höheren Kosten verbunden ist. Er plädierte für eine hochselektive Antibiotikatherapie bei eindeutig unkomplizierter Appendizitis und stellte die Frage nach dem Stellenwert von Antibiotika gegenüber Placebo.

Diskussion: Diagnostik und Therapieentscheidungen

Die anschließende Diskussion drehte sich um die Rolle von CT und in der Diagnostik. Prof. Dr. Schütte hob hervor, dass Appendikolithen auch sonografisch gut erkennbar sind und ein Step-up-Ansatz in der Diagnostik sinnvoll sein kann. 

Weitere Diskussionsbeiträge aus dem Forum thematisierten die diagnostischen Grenzen des Ultraschalls, insbesondere bei retrozyklischer Lage und adipösen Patienten. Die Frage nach präoperativer Antibiotikagabe wurde kontrovers diskutiert, wobei keine Evidenz für eine Perforationsprävention durch Antibiotika vor der Operation vorliegt.

Die Teilnehmer betonten die Bedeutung der differenzierten Therapie und Reevaluation über Nacht. Die Operation wurde als diagnostisches und therapeutisches Verfahren hervorgehoben. Schütte appellierte an eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zur optimalen Patientenselektion und gemeinsame Entscheidungsfindung.

Quelle:
  1. Viszeralmedizin 2025, 15. bis 20. September, Congress Center Leipzig CCL Sitzungen: Appendizitis: Konservativ = Goldstandard!, Appendizitis: OP = Goldstandard!, 18. September.