Krankenkassen verzeichnen steigende Antragszahlen seit Inkrafttreten der Pflegereform

Seit der Pflegereform 2017 beantragen deutlich mehr Menschen Pflegeleistungen als früher. Den niedrigsten Pflegegrad 1 können jetzt auch Demenzkranke erhalten, die manchmal "noch alles können".

Trotz Antragsflut werden nicht alle Gelder ausgeschöpft

Seit der Pflegereform 2017 beantragen deutlich mehr Menschen Pflegeleistungen als früher. Den niedrigsten Pflegegrad 1 können jetzt auch Demenzkranke erhalten, die manchmal "noch alles können".

Nach der Pflegereform 2017 haben deutlich mehr Menschen bei den Krankenkassen Pflegeleistungen beantragt als in den Jahren zuvor. Der Grund: "Wegen der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade können jetzt auch Versicherte mit einer geringen Pflegebedürftigkeit Unterstützung aus der Pflegeversicherung erhalten", sagte der Sprecher der AOK Nordost, Markus Juhls. Dazu gehörten Demenzkranke. Der Zuwachs an Erstanträgen gehe vor allem auf den Pflegegrad 1 zurück.

Der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen schätzt, dass die Zahl der Leistungsempfänger von deutschlandweit 2,95 Millionen im Jahr 2016 auf rund 3,46 Millionen Ende dieses Jahres steigen wird.

Während der Antragssturm in Mecklenburg-Vorpommern bei der Techniker Krankenkasse (TK) im ersten Quartal 2018 schon wieder nachließ, setzte er sich bei der AOK Nordost im ersten Halbjahr auf dem Niveau von 2017 fort. Im Vorjahr gingen bei der AOK fast 16.500 Erstanträge ein. 2015, vor der Pflegereform, waren es knapp 14.500. Aktuell beziehen rund 51.600 AOK-Versicherte im Land Pflegeleistungen.

Die TK erhielt 2017 nach Angaben der Leiterin der Landesvertretung MV, Manon Austenat-Wied, 25 Prozent mehr Erstanträge auf Pflegeleistungen als im Jahr zuvor. Bundesweit habe der Anstieg nur 23 Prozent betragen. Im ersten Quartal 2018 aber ging die Zahl der Erstanträge in Mecklenburg-Vorpommern um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zurück.

Entlastungsbetrag noch zu wenig bekannt

Trotz des Antragsbooms werden nicht alle Gelder abgerufen. So nutzten nach einer Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege im ersten Jahr rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen den Entlastungsbeitrag von bis zu 125 Euro monatlich nicht. Er wird nicht pauschal ausgezahlt, sondern kann für ergänzende ambulante oder teilstationäre Hilfeleistungen beantragt werden. Menschen mit Pflegegrad 1 können den Betrag auch für ambulante Pflegedienste verwenden. Das Geld muss nicht monatlich genutzt werden, sondern kann bis zur Mitte des Folgejahres gesammelt werden, bevor es verfällt. Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) und die AOK sind der Meinung, der Entlastungsbetrag sei noch zu wenig bekannt.

Eine Seniorin aus Rostock kritisierte dagegen, die Leistung stimme mit den Erfordernissen nicht überein. Begleite sie ihren demenzkranken Mann mit der Bahn zum Arzt, könne sie die Fahrkosten nicht davon begleichen. Sie könnte zwar einen Pflegedienst damit beauftragen, aber der kranke Mann lehne fremde Begleitung ab. Im Haushalt brauche sie als pflegende Angehörige Hilfe beim Fensterputzen in ihrer Altbauwohnung. Möglich sei aber nur Hilfe beim Staubsaugen.

Alte Menschen wollen möglichst lange eigenständig leben

Im Alter wollen viele Menschen möglichst lange und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben und zu Hause gepflegt werden. Für mehr als 70 Prozent der Betroffenen erfülle sich dieser Wunsch, sagte TK-Landeschefin Austenat-Wied. Ihre Kasse setze auf Digitalisierung, um die Pflege zuhause zu unterstützen. Dazu gehörten etwa Sensoren, die Aktivitäten oder Stürze melden oder Hinweise auf Medikamenten- oder Flüssigkeitseinnahme geben.

Wird dennoch eine Pflege im Heim nötig, steigt seit dem neuen Pflegegesetz der Eigenanteil nicht mehr mit der Schwere der Pflegebedürftigkeit. Darauf machte das DRK in Schwerin als großer Träger von Pflegeheimen aufmerksam. Der einheitliche Eigenanteil je Einrichtung soll mehr Sicherheit in der finanziellen Planung für Pflegebedürftige und Angehörige bringen und den Vergleich der Einrichtungen erleichtern. Da überall Pflegekräfte fehlten, fänden nur noch Einrichtungen mit einer marktgerechten Vergütung Personal.