Karriere als Medizinerin oder: Über Walt Disney und Scheinriesen

Das System wird sich durch unsere Bearbeitung mehr oder weniger schnell ändern. Währenddessen sollten wir unseren Platz trotz Widerstände finden. Die Frage also: Wie kann ich das erreichen?

Der Weg der Medizinerin: Von Chancen und Scheinriesen

Mir hat die Erkenntnis geholfen, dass das System fehlerhaft oder zumindest verbesserungswürdig ist. Ich konnte mich mit diesem Gedanken besser auf den Weg begeben und konnte weniger mit dem IST-Zustand hadern. Es ist klar, dass sich Dinge nur ändern werden, wenn wir gemeinsam gestalten und uns als wichtiger Teil des Ganzen begreifen. Zum Beispiel kann man Fehler benennen, sie publik machen, seine Meinung sagen. Und währenddessen kann man versuchen, für sich erfolgreich in den vorhandenen Strukturen zu wirken.

Was ist dafür notwendig? Zuerst kann ich damit beginnen, mir selbst ein bestimmtes Ziel zuzutrauen, zum Beispiel als selbständige Niedergelassene oder als Oberärztin oder als Chefärztin. Die Fantasie, was ich erreichen will, kann eine starke Kraft entfalten, sich tatsächlich auf den Weg zu machen.

In meinem Leben war dieses Ziel die Habilitation. Während eines Mentoringprogramms ging es um die Frage: Wo will ich in fünf Jahren sein? Ich war 32 und hatte drei Kinder. Damals habe ich zum ersten Mal den Wunsch formuliert: Ich möchte habilitieren. Es kam mir durchaus gewagt und ein bisschen absurd vor, dies auszusprechen. Aber dadurch wurde es ein Stück realer. Und in der Umsetzung, als ich auf das Ziel zuging, zeigte sich: die befürchteten Hürden waren oft so etwas wie Scheinriesen, aus der Nähe betrachtet also kleiner als befürchtet.

Dennoch war ich war keineswegs sicher, dass ich sie bewältigen würde. Viele Leute sagten auch: Das geht nicht. Das wird zu viel für dich. Aber das war eher Motivation als Abschreckung.

Meine Walt-Disney-Strategie

Ich mag die Walt-Disney-Strategie. Die funktioniert so: Ich betrachte mein Ziel, mein Projekt aus drei Perspektiven. Einmal gibt es die Perspektive der Träumerin. Sie kann einfach alles schaffen, egal was. Plötzlich ist man dann eben Oberärztin. Es gibt auch die Sicht der Pessimistin. Die meint: Darum geht das alles nicht. Und dann gibt es die Realistin: Sie fragt sich, wie wir die Widerstände beseitigen könnten. Das alles ergibt ein rundes Bild der Herausforderung - und man kommt ins Handeln.

Zu meiner Habilitation hat die Träumerin ein klares schönes Bild gezeichnet: Du habilitierst, da schreibst du zehn Paper, das ist sehr interessant und bringt wissenschaftlichen Mehrwert, die Lehre, die du zur Habilitation brauchst, macht sehr viel Spaß und die klinische Arbeit hast du ja sowieso. Kein Problem also.

Die Pessimistin allerdings flüsterte etwas über die Dauerbelastung zwischen Arbeit und Familie, hohem Stresspegel und der Unmöglichkeit noch weitere Projekte in ein Leben einzuflechten, das schon ausgelastet ist. Erfreulicherweise gab es da noch die Realistin, die mir geholfen hat, die Habilitationsordnung ganz genau durchzuarbeiten und zu verstehen, dass man Schritt für Schritt sehr gut zum Ziel kommen kann.

In der Realität hatten alle drei Perspektiven ihre Berechtigung, große Teile meiner Habilitation schrieb ich zwischen 21 Uhr und 0 Uhr, während die Kinder schliefen. Der Weg war eine Herausforderung, mir hat er die Möglichkeit gegeben, im bestehenden System meine Perspektive umzusetzen und mich einzubringen.

Ein Blick in die Vergangenheit

Die erste Frau, die habilitiert hat, war übrigens Adele Hartmann in Deutschland. Das war 1918 und sie musste gegen große Widerstände ankommen. Sie wird selten genannt, denn wir sind es viel mehr gewöhnt, uns für männliche Erfolge zu begeistern, Büsten aufzustellen, Straßen zu benennen und Würdigungen auszusprechen. Doch Adele Hartmanns Leistung ist unglaublich und sie kann nicht genug gewürdigt werden. Sie hat sich gegen die Wahrscheinlichkeit und gegen den vorherrschenden gesellschaftlichen Willen durchgesetzt. Meine Habilitation verdanke ich auch ihr und allen anderen klugen Menschen, die dafür die strukturellen Voraussetzungen geschaffen haben, sodass ich 97 Jahre nach Adele Hartmann habilitieren konnte. 

Als ich zum ersten Mal aussprach, dass ich habilitieren möchte, kam es mir unwirklich vor, dies umzusetzen. Nun weiß ich: Wenn wir uns unseren eigenen Scheinriesen stellen, unsere Bedürfnisse formulieren und dann Schritt für Schritt gehen, wird es ein wenig einfacher, unsere Ziele zu erreichen.

Auf dem Weg wünsche ich viel Erfolg!

Ihre Mandy Mangler