Marihuana gegen Malignome? Hanf als Hoffnungsträger bei Hirntumoren? Unbegründet ist das nicht...

Mal hochgejubelt, mal verteufelt. Dort legal, da verboten. Genuss, Gefahr, Gebrauchsdroge sowie Hilfe und Hoffnung für viele Kranke. Das "Wundermittel" Cannabis und sein Wirkstoff Cannabinoid polarisieren wie kaum eine andere Substanzklasse.

Mal hochgejubelt, mal verteufelt. Dort legal, da verboten. Genuss, Gefahr, Gebrauchsdroge sowie Hilfe und Hoffnung für viele Kranke. Das "Wundermittel" Cannabis und sein Wirkstoff Cannabinoid polarisieren wie kaum eine andere Substanzklasse.

Zudem blickt das Heilkraut Hanf, dessen wissenschaftlicher Name Cannabis ist und dessen umgangssprachliche Bezeichnung Marihuana/ Gras, die getrockneten Blüten und blütennahen Blätter der weiblichen Pflanze beschreibt, auf eine stolze Geschichte zurück:

Erstmals verschriftlicht in einem Lehrbuch aus dem alten China vor 4700 Jahren, ist seine Verwendung in diversen Teilen der Welt über viele Jahrtausende  belegt. Und auch in Europa wird es bereits seit der Zeit der ersten Kreuzzüge, in der hochentwickelten mittelalterlichen Klostermedizin gegen bronchiale und rheumatische Leiden verwendet. 

Und auch hier und heute vertrauen viele Ärzte und ihre Patienten mit MS, AIDS oder Krebs bei Spastiken, Schmerz, Übelkeit oder Appetitlosigkeit auf die bewährte Kraft des primären Cannabiswirkstoffs Dronabinol (9-Tetrahydrocannabinol) bzw. seines Extraktes.

High machend und Heil bringend

Doch was ist dran an hartnäckigen Gerüchten, dass Hanf auch Krebs, speziell aggressive Hirntumore, bekämpfen kann? Nach ersten Erkenntnissen soll das psychoaktive Cannabinoid tatsächlich krebshemmende Wirkung haben. Seine biologischen und synthetischen Analoga  zeigten in Laborversuchen neben nachweislich anti-inflammatorischen, antiproliferativen und pro-apoptotische Eigenschaften, zudem auch die Fähigkeit, Tumorzellen gezielt anzugreifen, gesundes Gewebe hingegen zu schonen.

Im Mittelpunkt der Effektivität stehen offenbar die zwei spezifischen Plasmamembran-Rezeptoren CB1 and CB2, deren Expression kürzlich auf diversen Arten humaner Malignome, insbesondere auch ZNS-Tumore, entdeckt wurde. Eine Strategie ist nun, diese Rezeptoren durch passende Agonisten, wie die in der Hanfpflanze gefundenen Substanzen 9-Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD) sowie Cannabinol (CBN) zu besetzen und damit eine immunologische Reaktion gegen die Krebszellen auszulösen

Rezeptoren vermitteln entscheidende Effekte

In einer ganzen Reihe von Versuchen mit Ratten und Mäusen konnte bei diversen Krebsentitäten – u.a. metastasierendes Mamma-Ca, Leberkarzinom und Leukämie – wiederholt eine Hemmung des Tumorwachstums nachgewiesen werden. Differenzen beim Ansprechen werden dabei mittlerweile auf ein unterschiedliches Ausmaß der CB1- und CB2-Rezeptor-Expression zurückgeführt, wobei therapeutisch genutzte Überexpression mit erhöhter antikanzerogener Aktivität assoziiert ist. Wenig oder keine Rezeptorpräsentation – aber eben auch geringe Gaben von Cannabinoiden – führen den Ergebnissen nach eher zu Proliferation und Progression.

Längeres Überleben bei Glioblastomen

Erste Erfolge beim Menschen wurden vor rund 10 Jahren in der Madrider Universitäts-Klinik mit 9 schwerstkranken und austherapierten Glioblastom-Patienten erreicht, denen THC über einen Katheter direkt ins Gehirn injiziert wurde. Mit erstaunlich positivem Sicherheitsprofil wurde bei mehreren der Betroffenen dabei eine verminderte Wachstumsrate des Tumors festgestellt.

Ein paar Jahre später wurde eine weitere – diesmal randomisierte, placebokontrollierte –  Studie mit immerhin 21 Glioblastom-Patienten durchgeführt, in der eine THC/CBD-Kombination als Add-on zur Standardtherapie mit Temozolomid gegeben wurde. Die Patienten mit rezidiviertem Gliom, die diese Zusatzbehandlung bekamen, hatten eine Ein-Jahres-Überlebensrate von 83 %, wohingegen diese in der Placebo-Kohorte bei lediglich 53 % lag. Die gut konzipierte, kontrollierte Studie könnte einen Hinweis darauf liefern, dass Cannabinoide zukünftig zumindest eine ernstzunehmende synergetische Option in der Neuroonkologie bieten könnten.

Beschleunigtes Zulassungsverfahren

Aufgrund der positiven Forschungsergebnisse wurde CBD/ THC von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und der US Food and Drug Administration (FDA) als "orphan drug" zur Behandlung des Glioblastoms eingestuft, wodurch solche Mittel im Zuge einer Sonderregelung für seltene Erkrankungen lediglich ein verkürztes Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Experten rechnen damit, dass hier spätestens in 5 Jahren mit Medikamenten auf CBD-Basis gerechnet werden könne.

Derweil laufen mindestens 5 weitere Studien, die in Fachkreisen mit Spannung erwartet werden. Unter anderem erforscht das National Cancer Institute bei Gliompatienten den Effekt eines neuartigen Sprays mit der Wirkstoffkombi Cannabinoid und THC.

Fazit: In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer wieder Wirkstoffe entdeckt und gefeiert, die in präklinischen Studien erfolgreich waren – dann aber wider Erwarten nicht den Sprung in die Klinik schafften. Der Hype um Hanf sollte daher keine vorzeitigen und überzogenen Erwartungen wecken – und auch die potentiellen Nebenwirkungen wie Suchtgefahr oder kognitive Einschränkungen nicht aus dem Blick verlieren.

Multimodale Wirkung noch weitgehend unerforscht

Nichtsdestotrotz scheinen Cannabinoide – wissenschaftlich ja quasi erst frisch aus den Kinderschuhen enthoben – doch recht vielversprechende Kandidaten für künftige Durchbrüche in der Onkologie zu sein. Forscher gehen davon aus, dass überhaupt erst wenige Mechanismen bekannt sind, nach denen Hanf-Derivate entscheidende Schlüsselwege des Tumorwachstums zu blockieren im Stande sind. In jedem Fall scheint es hier noch mehrere, weitgehend unbekannte Angriffspunkte zu geben, unter anderem offenbar eine Wirkung auf den relevanten intrazellulären AKT/mTOR-Signalweg, der sich bei vielen Karzinomarten überschießend zeigt.

Darüber hinaus gibt es auch bei den bereits gefundenen Mitteln noch jede Menge Fragezeichen bezüglich Dosierung, Mischverhältnis, Therapie-Dauer etc.

Hier lohnt sich wohl einfach: Dranbleiben!

Quellen:
Cannabinoids for cancer treatment: progress and promise. Sarfaraz S et al. Cancer Res. 2008 Jan 15;68(2):339-42.

Cannabinoid signaling in glioma cells. Ellert-Miklaszewska A et al. Adv Exp Med Biol. 2013;986:209-20.

A combined preclinical therapy of cannabinoids and temozolomide against glioma. Torres S et al. Mol Cancer Ther. 2011 Jan;10(1):90-103.

Cannabinoids and gliomas. Velasco G et al. Mol Neurobiol. 2007 Aug;36(1):60-7.

The antitumor action of cannabinoids on glioma tumorigenesis. Zogopoulos P et al. Histol Histopathol. 2015 Jun;30(6):629-45.

GW Pharmaceuticals Achieves Positive Results in Phase 2 Proof of Concept Study in Glioma /...Announces US Patent Allowance for Use of Cannabinoids in Treating Glioma. London, UK, 7 Feb 2017// 11 Dec 2013. Website GW

The pharmacologic and clinical effects of medical cannabis. Borgelt L et al. Pharmacotherapy. 2013 Feb;33(2):195-209.