Mehr Opioid-Verschreibungen im späteren Tagesverlauf

Eine amerikanische Studie richtet den Blick auf einen bislang selten begutachteten Faktor in der Opioidkrise. Das Forscherteam kommt dabei zu dem Schluss, dass ÄrztInnen im späteren Tagesverlauf und bei verspäteten Sprechstundenterminen häufiger Opioide verschreiben.

Verschreibungsrate steigt im Tagesverlauf um 33 Prozent

Eine amerikanische Studie richtet den Blick auf einen bislang selten begutachteten Faktor in der Opioidkrise. Das Forscherteam kommt dabei zu dem Schluss, dass ÄrztInnen im späteren Tagesverlauf und bei verspäteten Sprechstundenterminen häufiger Opioide verschreiben.

Nach Angaben der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) hat sich die Anzahl der Opioid-bedingten Todesfälle im Zeitraum zwischen 2013 und 2016 jährlich um 88% erhöht. Die VerfasserInnen der aktuellen Studie äußerten sich: "Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die steigende Anzahl an Opioid-Verschreibungen in den vergangenen drei Jahrzehnten starke Auswirkungen auf die heutigen Fälle von Medikamentenmissbrauch und Überdosen hat."

Schon frühere Forschungsergebnisse kamen zu der Vermutung, dass sich der alltägliche finanzielle, kognitive und zeitliche Druck, dem ÄrztInnen oftmals ausgesetzt sind, auf deren Entscheidungsvermögen auswirkt.  

Ein wenig untersuchtes Feld

Die StudienautorInnen erläuterten: "Die Überlegung, dass sich Zeitdruck auf ärztliche Entscheidungen auswirkt, steht schon lange im Raum." Allerdings gab es bislang nur wenige Untersuchungen, die sich mit dieser Hypothese genauer befassten.

Daher wollten die ForscherInnen sich genauer mit den Zeitpunkten von Sprechstunden beschäftigen. Sie vermuteten eine höhere Opioid-Verschreibungsrate unter ÄrztInnen gegen Ende des Tages. Inspiriert wurde das Forschungsteam durch eine frühere Studie, welche die Verschreibungsrate von Antibiotika im Tagesverlauf untersuchte.

Rückgriff auf 678.319 Daten aus Sprechstunden

Für ihre Untersuchungen griffen die WissenschaftlerInnen auf Daten aus 678.319 Sprechstunden zurück. Alle untersuchten PatientInnen hatten ÄrztInnen aufgesucht, um sich Rat zu neu aufgetretenen Schmerzproblemen einzuholen. Diese teilte das Forschungsteam in fünf verschiedene Kategorien ein: Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Gelenkerkrankungen, andere Muskel-Skelett-Erkrankungen und weitere Schmerzprobleme. Niemand unter den StudienteilnehmerInnen hatte innerhalb der vergangenen 12 Monate Opioide verschrieben bekommen.

Die ForscherInnen unterteilten die Termine in Gruppen von 3 bis maximal 21 Sprechstunden pro Tag. Dabei sammelten sie Informationen über Verspätungen bei Terminen in 10-minütigen Schritten, wie 0 bis 9 oder 10 bis 19 Minuten Verspätung. Allgemein verschrieben die ÄrztInnen in 4,7% der Fälle Opioide.

Auch Zurückliegen im Zeitplan führt zu mehr Verschreibungen

Wie erwartet, erkannte das Forschungsteam bei der Auswertung im Hinblick auf Verspätungen und die Uhrzeit von Sprechstunden einen bestimmten Effekt, der zwar moderat, aber deutlich wahrnehmbar ausfiel. Die ForscherInnen schrieben: "Wir beobachteten eine erhöhte Anzahl an Opioid-Verschreibungen im zunehmenden Tagesverlauf und wenn Ärzte im Zeitplan zurücklagen."

Innerhalb der ersten drei Sprechstunden am Tag verschrieben ÄrztInnen in 4% der Fälle Opioide. Bei den Auswertungen der 19. bis 21. Sprechstunden am Tag erkannten die ForscherInnen eine Opioid-Verschreibungsrate von 5,3%. Das entspricht im Vergleich zwischen erster und letzter Sitzung am Tag einem Anstieg um 33%.

Deutlich weniger Opioid-Verschreibungen bei Einhaltung der frühtäglichen Verschreibungsrate

Zu den Zahlen erläuterten die WissenschaftlerInnen: "Wäre die Opioid-Verschreibungsrate der ersten drei Sprechstunden über den ganzen Tag konstant geblieben, hätte es 4.459 Opioid-Verschreibungen weniger gegeben."

Im Hinblick auf Verzögerungen im Zeitplan gab es kleinere, aber ähnliche Auswirkungen. Fand ein Termin mit 0 bis 9 Minuten Verspätung statt, wurden in 4,4% der Fälle Opioide verschrieben. Bei Sprechstunden, die mit wenigstens einer Stunde Verzögerung stattfanden, wurden in 5,2% der Fälle Opioide verschrieben. Das entspricht einem Anstieg um 17%.

Weniger Verschreibungen würden deutlichen Beitrag in Opioidkrise leisten

Auch wenn die Auswirkungen durch Verzögerungen im Tagesablauf und Sprechstunden im späteren Verlauf des Tages nur moderat ausfielen, glauben die ForscherInnen, dass eine Umstellung hinsichtlich der Verschreibung von Opioiden deutliche Auswirkungen auf den allgemeinen Opioid-Konsum hätte.

Obwohl sich nicht pauschal sagen ließe, was die Entscheidungen von ÄrztInnen beeinflusst, gehen die WissenschaftlerInnen davon aus, dass mit zunehmendem Tagesverlauf und beruflichem Druck weniger mühsame Entscheidungen, wie die Verweigerung einer Therapie mit Opioiden, getroffen werden.

Beeinträchtigungen der Studie

Das Forschungsteam wies allerdings auf einige Beeinträchtigungen der Studie hin. Zunächst betonten sie, dass es sich hierbei um eine rein empirische Studie handele und die vorliegenden Daten nicht pauschal auf den Großteil der US-Bevölkerung übertragbar sind.

Zudem hatten die WissenschaftlerInnen keine Informationen über den Schweregrad der Schmerzen von PatientInnen und die Effektivität früherer Behandlungsversuche. Dennoch glauben die ForscherInnen, dass ihre Ergebnisse zum weiteren Verständnis der Opioidkrise und den verbundenen Faktoren beitragen.

Quelle:
Neprash HT, Barnett ML. Association of Primary Care Clinic Appointment Time With Opioid Prescribing. JAMA Netw Open. Published online August 30, 20192(8):e1910373. doi:10.1001/jamanetworkopen.2019.10373