Multiple Sklerose durch kindliche Viruserkrankungen

ForscherInnen der Université de Genève konnten neue Erkenntnisse im Hinblick auf Multiple Sklerose gewinnen. In einer Studie erkannten sie einen potentiellen Zusammenhang zwischen viralen Infektionen in der Kindheit und einem erhöhten Risiko gegenüber Autoimmunkrankheiten im Erwachsenenalter.

Wie frühkindliche Infektionen zu Autoimmunkrankheiten führen können

ForscherInnen der Université de Genève konnten neue Erkenntnisse im Hinblick auf Multiple Sklerose gewinnen. In einer Studie erkannten sie einen potentiellen Zusammenhang zwischen viralen Infektionen in der Kindheit und einem erhöhten Risiko gegenüber Autoimmunkrankheiten im Erwachsenenalter.

In einer Mäusestudie der Université de Genève (UNIGE) und des Hôpitaux universitaires de Genève (HUG) untersuchten ForscherInnen den Zusammenhang zwischen zerebralen Virusinfektionen in der Kindheit und dem Auftreten von Multipler Sklerose im Erwachsenenalter. Dabei fanden die WissenschaftlerInnen durch die Infektion verursachte Veränderungen im Gehirn, die viele Jahre später an genau den infizierten Stellen auftreten und eine Schädigung des Autoimmunsystems bewirken.

Nach aktuellen Ergebnissen waren im Jahr 2016 weltweit 2.221.188 Menschen von Multipler Sklerose betroffen. Professor Doron Merkler erläutert zum Hintergrund der neuen Studie: "Wir haben uns die Frage gestellt, ob virale Hirnerkrankungen in früher Kindheit eine der Ursachen sein könnten, wenn Multiple Sklerose im Alter von etwa 30 Jahren auftritt." Er fügt hinzu: "Transiente Infektionen können unter bestimmten Umständen ihren inflammatorischen Fußabdruck im Gehirn hinterlassen."

Die Kindheit als entscheidende Phase für Erkrankungsrisiken

Um ihre Hypothese zu testen, injizierten die ForscherInnen einer Gruppe erwachsener Mäuse und einer Gruppe junger Mäuse transiente Virusinfektionen. Hierzu erläutert Karin Steinbach: "In beiden Fällen traten bei den Mäusen keine Erkrankungssymptome auf und beide Gruppen erholten sich binnen einer Woche mittels vergleichbarer Immunreaktionen."

Als die Mäuse älter waren, wurden beiden Gruppen selbstreaktive Zellen verabreicht. Steinbach erläutert zu diesem Vorgang: "Selbstreaktive Zellen liegen in den meisten von uns vor. Aber da sie durch regulatorische Mechanismen kontrolliert werden und normalerweise keinen Zugang zum Gehirn haben, müssen sie nicht immer mit Erkrankungen in Verbindung stehen."

Bei den Mäusen, denen im Erwachsenenalter der Virus injiziert wurde, konnten die selbstreaktiven Zellen dementsprechend nicht aufs Gehirn zugreifen und es waren keine Hirnschädigungen zu erkennen. Doch bei den Mäusen, die im jungen Alter infiziert wurden, wanderten die reaktiven Zellen ins Gehirn. Sie traten an exakt den Stellen ein, wo zuvor die Infektionen auftraten. Deshalb attackierten die reaktiven Zellen bei den jungen Mäusen die betroffene Hirnstruktur und verursachten Hirnläsionen.

Angehäufte T-Zellen als Signal

Bei der Untersuchung der Gehirne erkannten die ForscherInnen bei der jungen Mäusegruppe Häufungen von T-Gedächtniszellen. "Normalerweise sind diese Zellen im Gehirn verteilt, um es vor viralen Angriffen zu schützen. Aber hier treten sie im Überfluss an den Stellen auf, wo die kindliche Infektion stattfand", merkt Professor Merkler an.

Die T-Gedächtniszellen produzieren ein Molekül, das die selbstreaktiven Zellen im besonderen Maße anzieht, sie ins Gehirn eintreten lässt und somit Gehirnläsionen verursacht. Merkler erläutert: "Um diese Beobachtungen zu bestätigen, haben wir den Rezeptor blockiert, der das Signal an die selbstreaktiven Zellen überträgt. In diesem Fall wurden die Mäuse vor der Entwicklung von Gehirnläsionen geschützt!"

Ähnliche Beobachtungen bei Menschen

"Wir stellten bei der Untersuchung von Menschen mit Multipler Sklerose fest, dass eine ganz ähnliche Anhäufung von T-Gedächtniszellen vorliegt, die dieses Molekül produzieren", merkt Karin Steinbach an. Daher glauben die ForscherInnen, dass auch bei Menschen durch ähnliche Mechanismen wie bei den Mäusen selbstreaktive T-Zellen ins Gehirn gelangen können.

Steinbach schließt ab: "Wir forschen derzeit noch weiter in diese Richtung. Wir wollen unbedingt verstehen, warum sich im Anschluss an Infektionen T-Gedächtniszellen in den Gehirnen von Kindern anhäufen, aber nicht bei Erwachsenen." In Zukunft könne das aus der Studie gewonnene Wissen zu einem besseren Verständnis der Grundlagen von Multipler Sklerose führen.

Quelle:
Brain-resident memory T cells generated early in life predispose to autoimmune disease in mice.
Karin Steinbach, Ilena Vincenti, Kristof Egervari, Mario Kreutzfeldt, Franziska van der Meer, Nicolas Page, Bogna Klimek, Irène Rossitto-Borlat, Giovanni Di Liberto, Andreas Muschaweckh, Ingrid Wagner, Karim Hammad, Christine Stadelmann, Thomas Korn, Oliver Hartley, Daniel D. Pinschewer and Doron Merkler
Science Translational Medicine  26 Jun 2019:
Vol. 11, Issue 498, eaav5519
DOI: 10.1126/scitranslmed.aav5519