Informationsverarbeitung im Gehirn wird durch Myelin optimiert

Im Gehirn wird die zeitliche Struktur von Sprache mit ihrer schnellen Abfolge von Lauten und Pausen und dem charakteristischen Rhythmus durch elektrische Impulse kodiert. Nervenzellen können die zeitliche Abfolge akustischer Signale nur dann verarbeiten, wenn sie mit bestimmten Gliazellen zusammenarbeiten.

Gliazellen entscheidend für zeitliche Verarbeitung akustischer Signale

Der Mensch kann einzelne Worte eines Gespräches, denn das Gehirn kodiert die zeitliche Struktur von Sprache mit ihrer schnellen Abfolge von Lauten und Pausen und dem charakteristischen Rhythmus durch elektrische Impulse. Am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen und an der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben Forschende herausgefunden, dass Nervenzellen die zeitliche Abfolge akustischer Signale nur dann verarbeiten können, wenn sie mit bestimmten Gliazellen zusammenarbeiten.

Nervenzellen leiten elektrische Signale mit Hilfe ihrer Axone weiter. Die Geschwindigkeit und zeitliche Präzision, die für die Verarbeitung im Gehirn erforderlich ist, wird nur dank des Myelins erreicht – einer von Oligodendrozyten gebildeten elektrischen Isolierung der Axone. Diese Gliazellen erhöhen die Nervenleitgeschwindigkeit und versorgen die Oligodendrozyten der Nervenzellen mit Energie in Form von Milchsäure (Laktat).

Wie verarbeitet Myelin Sinneswahrnehmungen in der Hirnrinde? Das Hörsystem ist auf die kontinuierliche Weiterleitung von Informationen spezialisiert und benötigt entsprechend konstant Energie. Die Forschenden haben dazu die neuronale Aktivität der für das Hören spezialisierten Hirnrinde in Tierversuchen an genetisch veränderten Mäusen gemessen, die unterschiedliche Mengen an Myelin produzieren. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass weniger Myelin mit geringerer Nervenzellaktivität auf wiederholte akustische Reize einher geht", sagt Livia de Hoz, die die Studie zusammen mit Klaus-Armin Nave am Max Planck Institut für experimentelle Medizin geleitet hat.

Defizite bei der Tonwahrnehmung

Die Nervenzellen der Mäuse mit weniger oder gar keinem Myelin konnten kurze Pausen innerhalb eines langanhaltenden Tons schlechter identifizieren können. Beim Menschen ist diese Fähigkeit wichtig für die Spracherkennung.

Die WissenschaftlerInnen haben die elektrophysiologischen Experimente durch Lern- und Verhaltensstudien ergänzt. Ähnlich wie bei der neuronalen Aktivität konnten genetisch veränderten Mäuse die in langen Tönen eingebetteten Pausen nicht als solche wahrnehmen. "Myelin ist also unabhängig von der eigentlichen Nervenleitgeschwindigkeit wichtig, damit Nervenzellen die zeitliche Abfolge akustischer Reize korrekt entschlüsseln können", erklärt Klaus-Armin Nave.

Bei der dritten Mausmutante war lediglich die Energiezufuhr von Gliazellen zu den Axonen verringert, sonst hatte sie normale Myelin-Werte. Sie zeigte aber die gleichen Defizite der zeitlichen Kodierung akustischer Signale. Sharlen Moore, Erstautorin der Studie geht davon aus, dass beim Verlust des Myelins die geringere Energieversorgung durch Gliazellen ein entscheidender Faktor für die Defizite bei der Verarbeitung akustischer Reize ist.


Quelle:
Sharlen Moore, Martin Meschkat, Torben Ruhwedel, Andrea Trevisiol, Iva D. Tzvetanova, Arne Battefeld, Kathrin Kusch, Maarten H. P. Kole, Nicola Strenzke, Wiebke Möbius, Livia de Hoz, Klaus-Armin Nave A role of oligodendrocytes in information processing. Nature Communications; 30. Oktober 2020