Neurofilamente als Biomarker für Multiple Sklerose

Forschende der Universitätsmedizin Mainz und des Kompetenznetz Multiple Sklerose e. V. belegen Nutzen eines Bluteiweißes als Biomarker für MS in der klinischen Praxis.

Serielle NFL-Bestimmung in individuellen PatientInnen nach standardmäßiger Blutentnahme ermöglicht

Forschende der Universitätsmedizin Mainz und des Kompetenznetz Multiple Sklerose e. V. belegen Nutzen eines Bluteiweißes als Biomarker für MS in der klinischen Praxis.

Bei Multipler Sklerose (MS) erlauben klinische Kriterien oft keine zuverlässige Einschätzung der Prognose. Neueste technische Entwicklungen ermöglichen nun in spezialisierten Zentren die Messung von Neurofilament Leichtketten Proteinen (NFL). Forschende der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz haben das Potenzial dieses neuen Biomarkers innerhalb einer großen MS-Kohortenstudie des Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) bei PatientInnen mit früher MS untersucht. In dieser bisher in Deutschland einzigartigen prospektiven Kohorte konnten sie den Nutzen von NFL für Diagnostik, Prognose und Therapieentscheidung belegen. Nachzulesen sind diese Erkenntnisse in der renommierten Fachzeitschrift "EBioMedicine".

"Dank technischer Weiterentwicklung und neuer hochsensitiver Methoden (single molecule array; Simoa) in spezialisierten Zentren ist es heute möglich, nicht nur die relativ hohe NFL-Konzentration im Nervenwasser, sondern auch die sehr viel geringeren NFL-Level im Blut zu bestimmen. Dies ermöglicht nun die serielle NFL-Bestimmung in individuellen Patienten nach standardmäßiger Blutentnahme", so Prof. Dr. Stefan Bittner, Leiter der Sektion Neuroimmunologie an der Universitätsmedizin Mainz und Erstautor der Studie.

Den Nutzen von NFL als Biomarker für diagnostische Präzision, Prognose des Krankheitsverlaufs und Therapieentscheidung haben die Forschenden um Prof. Dr. Stefan Bittner, Steffen Falk und Univ.-Prof. Dr. Frauke Zipp von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz in Zusammenarbeit mit weiteren großen deutschen Experten-Zentren vom Kompetenznetz Multiple Sklerose in einer prospektiven Studie mit über 800 Betroffenen untersucht. Besonderheiten dieser Kohorte waren der Einschluss der Testpersonen direkt nach Diagnosestellung noch vor Initiierung einer spezifischen Therapie sowie die systematische Rekrutierung an verschiedenen Standpunkten in Deutschland mit standardisierten Untersuchungen, Blutabnahmen und MRT-Protokollen. In dieser Kohorte konnten die Mainzer NeurologInnen nun zeigen, dass Multiple Sklerose-Erkrankte mit neuronaler Schädigung tatsächlich durch die neuen Diagnosekriterien früher erfasst werden. Dies führt zu einer verbesserten Behandlungsmöglichkeit, da bestimmte Medikamente in Deutschland erst bei definitiver MS-Diagnose zugelassen sind.

Hinzunahme von NFL zu bereits implementierten diagnostischen Parametern führte zu verbesserter diagnostischer Genauigkeit

Darüber hinaus führte die Hinzunahme von NFL zu bereits implementierten diagnostischen Parametern zu einer verbesserten diagnostischen Genauigkeit. Bei der gemeinsamen Therapieentscheidung durch Ärzteschaft und PatientInnen waren weder den behandelnden ÄrztInnen noch PatientInnen der aktuelle NFL-Wert bekannt. Nichtsdestotrotz ergaben die späteren Analysen, dass die PatientInnen, welche auf stärkere Therapieoptionen eskaliert worden waren, in der Tat besonders hohe NFL-Werte aufwiesen. Testpersonen, die sich bei der Folgeuntersuchung nach zwei Jahren in der höchsten Therapiestufe befanden, zeigten bereits bei Studieneinschluss die höchsten NFL-Konzentrationen im Blut. Dies unterstreicht das Potenzial von NFL als Entscheidungshilfe bei der Therapiewahl. Zusammenfassend unterstützen diese neuen Erkenntnisse eine mögliche Hinzunahme des Biomarkers NFL zum zukünftigen Untersuchungsstandard bei Diagnosestellung und im weiteren Krankheitsverlauf.

Die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurologie und Vorstandsmitglied des KKNMS, Univ.-Prof. Dr. Frauke Zipp, betont: "Bisher wird NFL in der Praxis nicht standardmäßig bestimmt und nicht jede Klinik hat die notwendige Technik, um eine Bestimmung durchzuführen. Unsere Ergebnisse unterstützen weitere Forschungsbemühungen bezüglich dieses vielversprechenden Biomarkers für eine personalisierte Medizin, d. h. genaue Abstimmung auf den individuellen Verlauf der Erkrankung."

Quelle:
Bittner, Stefan et al. Clinical implications of serum neurofilament in newly diagnosed MS patients: A longitudinal multicentre cohort study, EBioMedicine, Volume 56, 2020, 102807, ISSN 2352-3964,
Link: https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2020.102807