Post-COVID und Neuro-Erkrankungen gehen oft Hand in Hand

Neurologische Erkrankungen stellen nicht erst seit der COVID-19-Pandemie ein global zunehmendes Problem dar - sie werden aber vermehrt als Folge von Post-COVID oder Long-COVID beobachtet. Darum spielte Neuro-COVID auch bei der 2. Yuvedo Online Konferenz am 10.06.2021 eine wichtige Rolle.

Pandemie(n) nach der Pandemie vermeiden

Neurologische Erkrankungen stellen nicht erst seit der COVID-19-Pandemie ein global zunehmendes Problem dar - werden aber anschließend an Corona-Infektionen vermehrt als Folge von Post-COVID oder Long-COVID beobachtet. Aus diesem Grund spielte Neuro-COVID auch bei der 2. Yuvedo Online Konferenz1 am 10.06.2021 eine wichtige Rolle. Der Konsens der Referierenden: Die Zeit, um die Pandemie nach der Pandemie zu verhindern, ist jetzt!

Nach kurzer Einleitung durch Daniel Finger, Moderator RBB, Trainer und Coach, sowie Dr. Jörg Karenfort, Co-Founder und CEO der YUVEDO Foundation, erfolgte die thematische Einführung ins Konferenz-Programm durch Prof. Dr. Jens Volkmann. Unter dem Titel “Zeit des Erwachens - die Pandemie nach der Pandemie vermeiden” wies der Leiter der Parkinson-Klinik an der Universität Würzburg auf den Ernst der Lage hin. Neuro-COVID, so Volkmann, könne in Zukunft immens an klinischer und gesundheitsökonomischer Bedeutung gewinnen. Der Mediziner verweist in seinem Vortrag auf eine im Mai 2021 in The Lancet Psychiatry veröffentlichte Studie von Harrison et al.2 unter 236.379 US-amerikanischen Patient:innen mit diagnostizierter COVID-19-Erkrankung. 

Die harten Zahlen: Die Inzidenz neuer neurologischer oder psychiatrischer Diagnosen innerhalb von 6 Monaten nach der Infektion lag bei 33,62%, darunter 12,84% Erstdiagnosen. Nach intensivmedizinischer Behandlung lag die Inzidenz bei 46,42%, nach akuter COVID-Enzephalopathie bei 62,34%. Im Vergleich zur Kontrollgruppe (andere Atemwegsinfekte) war das Erkrankungsrisiko bei allen Diagnosen signifikant erhöht. 14 unterschiedliche neurologische und psychiatrische Diagnosen wurden im Rahmen der Studie beobachtet. Hieraus ergebe sich insgesamt, so Volkmann, ein Risikoindex von 1,27-1,36 für Erstdiagnosen und ein Risikoindex von 2,45-3,35 für Erstdiagnosen nach Intensivbehandlung

Langzeitbeobachtung von Post-COVID dringend erforderlich

Hier schlägt der Mediziner eine Brücke etwa 100 Jahre in die Vergangenheit: Das vermehrte Auftreten neurologischer Erkrankungen im Rahmen von Post-COVID erinnere zu einem gewissen Punkt an das gehäufte Auftreten der Enzephalitis Lethargica im Anschluss an die drei Wellen der Spanischen Grippe von 1917 bis 1920. Unter Langzeitüberlebenden wurden Jahrzehnte später Symptome eines sehr fortgeschrittenen Parkinsonismus erkannt. 

Die Zahlen der aktuellen Studie wiederum lassen laut Volkmann klar erkennen, wie hoch die Notwendigkeit einer Langzeitbeobachtung von Post-COVID-Verläufen ist. Hochgerechnet auf aktuell 32 Mio COVID-19-Infektionen in Europa könnte dies schlimmstenfalls bis zu 10 Mio Neuro-COVID-Fälle bedeuten. Für die Langzeitbeobachtung stellten allerdings fehlende digitale Krankenregister in Deutschland ein großes Problem dar. Außerdem, betont Volkmann, werden neuropathologische Untersuchungen von Hirnmaterial zur Aufklärung der Mechanismen benötigt – fehlende Hirndatenbanken und die Autopsie-Kultur hierzulande stellten hierfür allerdings ein Problem dar. Um einer Post-COVID-Pandemie gezielt entgegenzuwirken sieht der Mediziner die dringende Notwendigkeit einer Grundlagenforschung zu Neuro-COVID und einer Vernetzung mit der Neurodegenerationsforschung. 

Zunehmender Andrang auf Long-COVID-Ambulanzen in England

Auch Prof. Dr. Susanne Schneider von der LMU, wissenschaftliche. Beraterin der YUVEDO Foundation, stimmt überein: Das deutsche Gesundheitswesen sollte sich dringend auf zunehmende Fälle des Post-COVID-Syndroms vorbereiten. In England etwa, das Deutschland hinsichtlich des Infektionsgeschehens um einige Wochen voraus sei, lasse sich ein zunehmender Andrang auf Long-COVID-Ambulanzen verzeichnen. In ihrem Vortrag sprach die Medizinerin über “Erste Studien zu Neuro-Disorder & COVID-19”. 

Ging man zunächst davon aus, bei COVID-19 handele es sich “nur” um eine Atemwegsinfektion, so wisse man heute: Die Infektion kann zu Folgeerkrankungen führen, die unterschiedlichste Organe befallen. Auch im Hinblick auf neurologische Krankheitsbilder lässt sich Schneider zufolge ein weites Spektrum an Langzeitfolgen erkennen - von Kopfschmerzen und Schläfrigkeit über Geruchs- und Geschmacksstörungen bis hin zu zerebrovaskulären Erkrankungen oder etwa dem Guillian-Barre-Syndrom.

Mehr Fälle von Parkinson und Demenz durch Post-COVID?

Aktuelle Untersuchungen zeigen zudem auf: Nach schwerer initialer Erkrankung lassen sich bei COVID-19-Überlebenden Verschlechterungen der kognitiven Funktionen erkennen. Hier zitiert Schneider eine Studie von Hampshire et al.3, die hervorhebt, dass verglichen mit gesunden Testpersonen in dieser Studienkohorte eine Gehirnalterung um bis zu 10 Jahre zu erkennen war. Weitere Studienergebnisse weisen laut der LMU-Professorin allerdings darauf hin, dass auch nach milden oder asymptomatischen COVID-19-Verläufen klinische oder subklinische neurologische Veränderungen auftreten können. Die Medizinerin schildert zudem, über welchen Ablauf es im Rahmen von Post-COVID zu mehr Fällen von Demenz und Parkinson kommen könnte. Über “Hit and Run”, also zu einem Zeitpunkt, wenn die COVID-19-Infektion nicht mehr nachgewiesen werden kann, könne ein chronisch niedriggradiger Inflammationsprozess eintreten, zu weiteren Entzündungen im Gehirn führen und somit zur Neurodegeneration beitragen.

Dieser Entwicklung müsse man besondere Aufmerksamkeit schenken. Es werde erwartet dass sich die Zahl neurodegenerativer Erkrankungen bis 2050 verdoppelt oder sogar verdreifacht - dies seien allerdings Werte aus der Zeit vor Corona, so Schneider. Durch Neuro-COVID könnte die Erkrankungskurve noch steiler ansteigen. Welche Maßnahmen sollten also ergriffen werden? Zunächst sei es einmal wichtig, klar zu definieren, was Post-COVID-Symptome sind, betont die Medizinerin. Man müsse verstehen, welche Pathomechanismen dahinterstecken, Risikofaktoren identifizieren und Behandlungsoptionen untersuchen. Hierfür sei es besonders wichtig, Long-COVID-Ambulanzen aufzubauen und sich über entsprechende Datenbanken zu vernetzen. Unmittelbar entscheidend sei es zudem, durch flächendeckende Impfung neue Fälle zu vermeiden.

Referenzen:
1. 2. Yuvedo Online Konferenz: Neuro Erkrankungen und COVID-19; 10. Juni 2021, 14 - 16.30 Uhr
2. 6-month neurological and psychiatric outcomes in 236 379 survivors of COVID-19: a retrospective cohort study using electronic health records
Harrison et al.
The Lancet Psychiatry
DOI:https://doi.org/10.1016/S2215-0366(21)00084-5
3. Cognitive deficits in people who have recovered from COVID-19 relative to controls: An N=84,285 online study
Adam Hampshire, William Trender, Samuel R Chamberlain, Amy Jolly, Jon E. Grant, Fiona Patrick, Ndaba Mazibuko, Steve Williams, Joseph M Barnby, Peter Hellyer, Mitul A Mehta
DOI: https://doi.org/10.1101/2020.10.20.20215863

Mehr zum Thema: Die Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis - Die Abrechnung" am 28. April stellte unter dem Titel "Was macht Angst?" die Schwerpunkte Psychiatrie und Neurologie in den Fokus und gab konkrete Hinweise für die hausärztliche Praxis. Weitere Informationen und die On-Demand Version finden Sie hier.