Provokante Plakate: Awareness, Aufklärung und Hilfsangebote

Ein Model neben einer Magersüchtigen, ein Weinliebhaber neben einem Trinker: Mit provokativen Plakaten will das Bezirksklinikum Mittelfranken auf Erkrankungen der Psyche hinweisen - und für eine Art Normalisierung werben.

Psychische Erkrankungen genauso behandeln wie körperliche

Ein Model neben einer Magersüchtigen, ein Weinliebhaber neben einem Trinker: Mit provokativen Plakaten will das Bezirksklinikum Mittelfranken auf Erkrankungen der Psyche hinweisen - und für eine Art Normalisierung werben.

Depression, Burnout, Sucht, Essstörung: Mit einer eher ungewöhnlichen Plakat-Kampagne machen die Bezirkskliniken Mittelfranken auf psychische Erkrankungen aufmerksam. Krankheiten der Psyche gehörten genauso zum Alltag wie eine Erkältung, sagte die Sprecherin der Kliniken, Ariane Peine. "Sie können schwerer oder leichter sein. Manchmal brauche ich einen Arzt, manchmal nicht." Um Aufmerksamkeit zu erregen, sei klar gewesen, dass die Motive "aufrüttelnd" sein müssten, sagte Peine.

So sind etwa zwei junge Männer mit Smartphone zu sehen - einmal entspannt lächelnd und einmal wie aus einem Gruselfilm. Darüber steht: "Kontakt halten" und "Nie abschalten". "Die Motive sollen ins Auge fallen, daher sind sie ein bisschen provozierend", sagte Peine. Denn Stigmatisierung entstehe auch durch Wegschauen. "Wir wollen, dass der Betrachter hinschaut. Das geht nur, wenn wir Bilder zeigen, die betroffen machen. Sonst können wir keine Wirkung erzielen." Seit Dienstag - dem internationalen Tag der seelischen Gesundheit - hängen 270 Plakate in Mittelfranken.

Die Kampagne gab es bereits im vergangen Jahr. Damals mit Plakaten, auf denen ein hübsches Model in Unterwäsche neben einer jungen Frau zu sehen ist, die nur aus Haut und Knochen zu bestehen scheint. Die Überschriften: "Traumfigur" und "Knochen pur". Die Idee der Kampagne sei gewesen, einer Alltagssituation, die als normal empfunden werde, etwas gegenüberzustellen, das "über eine Grenze hinaus" gehe, sagte Peine. Die Motive stünden stellvertretend für alle psychischen Erkrankungen. Manche davon seien leichter darzustellen als andere.

Entkriminalisierung und Aufforderung zur Selbsthilfe

Die Reaktionen auf die Kampagne seien überwiegend positiv, sagte Peine. Von Ärzten habe es vorwiegend lobende Worte gegeben: "Sie sagten uns, dass wir damit auf verständliche Weise Tabu-Themen aufgreifen und hoffentlich mehr Akzeptanz bekommen." Es gab aber auch Kritik: Vor allem das Foto zur Magersucht hätten einige Betrachter als sexistisch empfunden und gefragt, warum die Frau nackt gezeigt wurde. "Es geht um den Körper. Man hätte es nicht gesehen, wenn sie etwas angehabt hätte", sagte Peine.

Über psychische Erkrankungen spreche niemand gern. In den Medien würden sie meist im Zusammenhang mit Straftaten thematisiert. Jemandem, der Depressionen hat, werde oft gesagt: "Reiß dich zusammen, es gibt doch auch Schönes im Leben", sagte Peine. Doch das helfe keinem Betroffenen. Man müsse psychische Erkrankungen genauso behandeln wie körperliche.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt die Zahl der Menschen mit Depressionen in Deutschland auf etwa vier Millionen. Laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung gelten hierzulande 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig. Nur etwa zehn Prozent der Betroffenen macht eine Therapie - und das oft erst sehr spät.

Die Bezirkskliniken hätten die Kampagne zuvor mit Betroffenen und einem Verein von Angehörigen besprochen. "Es war uns wichtig, dass sie zustimmen - und sie stehen alle voll dahinter", sagte Peine. Durch diese Beratungen sei zudem der Schriftzug "Hol dir Hilfe" auf die Plakate gekommen - zusammen mit der Internetseite. Hier finden sich Adressen von Ärzten und Kliniken, Krisendienst, Betroffenen- und Selbsthilfe-Vereinen.