Psychedelika in der Psychiatrie – heilsamer Rausch?

Rauscherzeigende Substanzen geraten in der Behandlung psychisch kranker Menschen zunehmend in den Fokus. Kommt jetzt der Paradigmenwechsel? Ein Update vom DGPPN-Kongress 2022.

Was sind Psychedelika?

Psychedelika sind halluzinogen wirksame und psychotrope Substanzen, die in höheren Dosierungen einen psychedelischen Rauschzustand auslösen können. Zwei wesentliche Gruppen werden dabei unterschieden. Zum einen die klassischen und serotonergen Psychedelika wie Psilocybin (Wirkstoff in halluzinogenen Pilzen), DMT (enthalten in Ayahuasca) oder LSD. Zum anderen gibt es die atypischen Psychedelika wie das gefühlsverstärkende MDMA (zentraler Wirkstoff in Ecstasy) oder das dissoziativ wirkende Ketamin.

Letzteres bekam 2019 als Esketamin-haltiges Medikament eine Zulassung bei therapieresistenten Depressionen und psychiatrischen Notfällen. Bereits 2006 wurden die Effekte des Ketamins als Pharmakon bei therapierestenten Depressionen beschrieben. Der antidepressive Effekt war deutlich, aber nach 7 Tagen nicht mehr messbar. Das Interesse an der Substanz stieg dennoch und auch andere Psychedelika rückten zunehmend in den Fokus der Forschung, entgegen manch kritischer Stimmen.

Wie wirken Psychedelika? 

Prof. Uwe Herwig, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für psychedelische Forschung und Therapie (DGPFT), schilderte in seinem Vortrag die vielfältigen Wirkungsweisen von Psychedelika. So legten Ergebnisse aus Humanstudien nahe, dass die psychedelische Erfahrung zum Teil durch eine Reduktion der Filterfunktion im Hypothalamus mit einer Überaktivierung von präfrontalen Arealen hervorgerufen werde. 

Dadurch würden neuronale Netzwerke moduliert, die unter anderem für sensorische Wahrnehmungen, das Selbsterleben, die Stimmungsregulation und die assoziative Netzwerk-Integrität zuständig sind. Behandelte berichteten in diesem Zusammenhang von traumartiger Versunkenheit, ein sich von außen Betrachten, ein Auflösen der Ich-Grenzen, gesteigerter Empathie, intensiven Gefühlen und einer veränderten Körperwahrnehmung. Dies könne sich durchaus auch verunsichernd und bedrohlich anfühlen. Gleichzeitig sei es gerade die reduzierte assoziative Netzwerk-Integrität, die es den Behandelten erlaube, festgefahrene Annahmen über sich selbst und die Zukunft zu dekonstruieren. Verdrängte Bewusstseinsinhalte und emotionale Erfahrungen könnten freigesetzt werden und mit alternativen Verarbeitungsmodi neue Perspektiven entwickelt werden. 

Psychedelika in der Praxis

Sergio Perez Rosal ist Anästhesist und Geschäftsführer der Ovid Praxis, die seit 2 Jahren Ketamin-unterstützte Psychotherapien durchführt. Man kombiniere hier die nachgewiesenen Effekte der Pharmakologie mit der Phänomenologie der Wirkung, also der mystischen Erfahrung, und bette diese in eine integrationsfokussierte Psychotherapie ein. Dies sei entscheidend, damit die Erfahrung langfristige Effekte haben könne.

Die Therapie beginne dabei mit einer psychiatrischen und anästhesiologischen Erstuntersuchung, da die Risiken nicht größer sein sollten als der Benefit. Anschließend gäbe es mehrere vorbereitende Sitzungen zur Exploration und nicht pharmakologische Formen der Bewusstseinsveränderung (z.B. Sitzungen mit Stroboskoplicht). Daraufhin würden bis zu 5 oder 6 Wochen mit psychotherapeutisch begleiteter substanzinduzierter Erfahrung stattfinden. 

Das Erleben der Ich-Auflösung, die Befreiung von Schwere, das Gefühl den Körper zu verlassen und sich von seinen eigenen Gefühlen zu entkoppeln, habe das Potential, den behandelten Personen die Einsicht zu vermitteln, dass sie nicht nur ihre Gedanken sind (Kognitive Defusion). Dadurch könnten sie wieder mehr Selbstbestimmtheit und Kontrolle über sich und ihr Leben wiedererlangen. 

Welche neuen Studien gibt es? Welche fehlen?

Zunehmend stehen auch andere Psychedelika wie MDMA oder Psilocybin im Fokus der Forschung, um als potenzielles Behandlungsmittel bei psychischen Erkrankungen zugelassen zu werden. Eine neue Studie im New England Journal of Medicine untersuchte die Wirkung von Psilocybin bei 230 Patienten mit therapieresistenten Depressionen. Dabei konnte ein deutlicher antidepressiver Effekt nachgewiesen werden, der bis zu 12 Wochen anhielt. 

Lea Julia Mertens vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim arbeitet in Kooperation mit der Charité Berlin ebenfalls an einer Phase-2-Studie zur Wirksamkeit von Psilocybin. Sie könne ähnliche Effekte sehen, sieht den Wirkstoff dabei aber nicht als Antidepressivum. Psilocybin öffne emotional und destabilisiert feste Muster, wodurch Veränderungsprozesse angestoßen werden können, insbesondere wenn sie psychotherapeutisch eingebettet werden.

Weitere Studien mit längeren Behandlungsverläufen und häufigeren Substanzapplikationen seien daher genauso notwendig wie Studien zur Applikation von Psychedelika mit umfassender Psychotherapieeinbettung. Bisher gäbe es diese nicht. Es wäre weiterhin wertvoll, wenn neben der Symptomlast auch Prozessvariablen wie Einstellungen zur eigenen Person, Leben oder Emotionen (als Voraussetzung zur Veränderung) erhoben werden würden. Auch seien weitere Studien zur Gefahrenabschätzung von Psychedelika und zur Evaluation ihrer psychedelischen Wirkung notwendig.

Quellen:

Prime Session "Psychedelika in psychiatrischer Forschung und Psychotherapie". DGPPN 2022. Berlin, 25.11.2022

Goodwin et al. Single-Dose Psilocybin for a Treatment-Resistant Episode of Major Depression. N Engl J Med 2022; 387:1637-1648
DOI: 10.1056/NEJMoa2206443

Zarate et al.  randomized trial of an N-methyl-D-aspartate antagonist in treatment-resistant major depression. Arch Gen Psychiatry. 
2006 Aug;63(8):856-64. doi: 10.1001/archpsyc.63.8.856.