Psychiatrische Komplexversorgung – Hoffnung oder Enttäuschung?

Das Modell der neurologisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung (NPPV) in Nordrhein erzielt eher ernüchternde und teils widersprüchliche Effekte. Aber Ärzte und GBA wollen an dieser anspruchsvollen Versorgungsform festhalten.

Evaluation sieht keinen Nutzen im NPPV

Zu einem eher ernüchternden Ergebnis kommt die bei einer Fachtagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) vorgestellte Evaluation des IGES-Instituts Berlin. Dies hatte anhand von Patientenbefragungen (viermal über vier Quartale) und anhand von  Routinedaten der Krankenkassen im Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 2017 und dem 31. März 2021 folgende Effekte ermittelt:

Die von IGES zu Tage geförderten Ergebnisse müssen allerdings vorsichtig interpretiert werden. Das Design der Evaluation ist nicht randomisiert; die Teilnehmer der Kontrollgruppe könnten eine geringere Krankheitslast aufweisen. 

Teils sehr gute Bewertung durch Ärzte – hohe Bereitschaft zum Engagement

Wesentlich positivere Ergebnisse erbrachte eine Befragung des Zi unter den an der NPPV teilnehmenden  Therapeuten. Insgesamt gab es vier Befragungen zwischen 2018 und 2021 mit Rücklaufquoten von 42 Prozent anfangs und zuletzt 15 Prozent. 

Der Anteil der Therapeuten, die  "im allgemeinen sehr zufrieden" mit dem Modell waren, blieb mit 54 bis 58 Prozent auf hohem Niveau stabil, der Anteil derer, die "im allgemeinen zufrieden" waren, verdreifachte sich von nun auf 30 Prozent. Am wichtigsten ist den Ärzten sie Steigerung der Versorgungsqualität, die Erweiterung der therapeutischen Versorgung und die  berufsgruppenübergreifende Vernetzung; an unterster Stelle steht das wirtschaftliche Ziel einer Steigerung der Praxisumsätze.

Mit dem Zielerreichungsgrad "sehr zufrieden" sind zwischen 44 und 53 Prozent der Ärzte – Tendenz leicht steigend -; vor der Anteil derer, die "zufrieden" sind, hat stark von vier auf 21 Prozent zugenommen.  Stark verbessert wurde im Modell der Austausch zwischen allen beteiligten Fachgruppen: Der Anteil von "sehr gut" wurde auf 46 Prozent fast verdoppelt; der Anteil von "gut" steigerte sich von fünf auf 18 Prozent.

Allerdings geht das Engagement in der NPPV auch mit einer steigenden Arbeitsbelastung einher, die vor allem aus der Dokumentation resultiert. Gleichwohl: Vor dem Hintergrund der von den Ärzten als besser eingeschätzten Versorgungsqualität wollen 92 Prozent das Projekt weiter unterstützen, und ebenso viele wollen es auch anderen Kollegen empfehlen – in der ersten Befragung waren dies nur 82 Prozent. Die Schlussfolgerung für das Zi: die NPPV kann für die Regelversorgung empfohlen werden.    

Hecken sieht erheblichen Optimierungsbedarf

Aufbauend auf dem Regionalmodell der NPPV hatte der Gemeinsame Bundesausschuss im September 2021 die KSV-Psychrichtlinie als bundesweit geltendes Versorgungsystem für psychisch schwer Erkrankte beschlossen. Darauf aufbauend wird derzeit nach KBV-Angaben eine Rahmenvereinbarung für Kinder und Jugendliche entwickelt, die spezielle Hilfesysteme (Jugendhilfe, SGB VIII-Leistungen) und strukturelle Besonderheiten wie Schule und Ausbildung berücksichtigt.

Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, ist die reale psychiatrische Versorgung noch weit vom Optimum entfernt; es existiere zwar ein breites Hilfesystem, dies sei aber nicht aufeinander abgestimmt, unkoordiniert, zu wenig patientenorientiert und schwer zugänglich. Die hohe Akzeptanz der NPPV bei Ärzten mache Hoffnung. "Wir werden keine Kostendämpfungsmaßnahmen einleiten, sondern Evaluationsergebnisse dazu nutzen, Richtlinien zu adjustieren."