Resistente Keime sind auf dem Vormarsch

Im Interview mit esanum erklärt Prof. Julia Johanna Seifert, Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC), welche Risiken durch multiresistente Bakterien entstehen. Interview:

Im Interview mit esanum erklärt Prof. Julia Johanna Seifert, Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC), welche Risiken durch multiresistente Bakterien entstehen.

Interview: Volker Thoms

Antibiotika sind für die Behandlung von bakteriellen Erkrankungen unerlässlich. Trotzdem ist ihr Einsatz auch mit Risiken verbunden. Immer häufiger bilden sich Resistenzen, was unter anderem auch mit der zunehmenden Verabreichung von Antibiotika in der Tierhaltung zusammenhängt. „Antibiotika sollten nur bei sicher nachgewiesenen bakteriellen Infektionen eingesetzt und verschrieben werden“, erklärt Prof. Julia Johanna Seifert, Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC), im Gespräch mit esanum.

esanum: Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen warnt vor den zunehmenden Gefahren von multiresistenten Keimen. Was sind die Gründe dafür?

Seifert: Infektionen, die durch so genannte multiresistente Bakterien verursacht werden, sind nur noch durch wenige oder im ungünstigsten Fall durch gar keine Antibiotika behandelbar. Die Sterblichkeit solcher Infektionen ist um ein Vielfaches höher als bei Infektionen mit so genannten sensiblen Erregern.

esanum: Wo lauern die größten Risiken und wer ist davon betroffen?

Seifert: Multiresistente Bakterien treten überall auf und sind erst dann problematisch, wenn sie eine Infektion auslösen. Ganz besonders Menschen mit einem noch nicht voll ausgebildetem (Kinder) oder einem geschwächtem Immunsystem (schwerstkranke Patienten oder alte Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Asthma) sind besonders gefährdet.

Menschen, die über einen längeren Zeitraum mit Antibiotika behandelt werden müssen, können ebenfalls Resistenzen entwickeln. Bakterien, die uns besiedeln (Haut, Schleimhäute, Darm, Uro- Genitaltrakt) haben Resistenzmechanismen entwickelt, um der Wirkung von Antibiotika zu entgehen. Bakterien haben die Fähigkeit, sich an rasch ändernde Umweltbedingungen anzupassen.

Sofern ein Patient mit Antibiotika behandelt wird, ist es wichtig zu berücksichtigen, dass das Antibiotikum über einen ausreichend langen Zeitraum und in ausreichend hoher Dosierung verabreicht und eingenommen wird, da andernfalls ebenfalls Resistenzen begünstigt werden.

Es ist auch wichtig zu wissen, dass Antibiotika sowohl in der Tiermast als auch im Gemüse- und Obstanbau eingesetzt werden. So können resistente Bakterien in Nahrungsmittel gelangen, durch die wir in direkten Kontakt zu diesen Keimen geraten.

Auch Urlaube oder Auslandsaufenthalte – insbesondere bei Kontakten zu ausländischen Gesundheitssystemen – bergen das Risiko für die Einfuhr von hochresistenten Erregern, die dann nach Deutschland gebracht werden. Ebenso können Haustiere wie Pferde, Katzen oder Hunde das Erregerreservoir von multiresistenten Bakterien sein.

Daher sollten auch Privatpersonen Händehygiene durchführen.

esanum: Was können Ärzte und Patienten dazu beitragen, dass Multiresistenzen nicht noch weiter zunehmen?

Seifert: Antibiotika sollten nur bei sicher nachgewiesenen bakteriellen Infektionen eingesetzt und verschrieben werden. Das gilt ambulant genauso wie für im Krankenhaus tätige Ärzte. Entscheidend ist, dass das Wissen um Antibiotikatherapien verbessert wird. Dazu bedarf es einerseits einer wissenschaftlichen Aufarbeitung bereits vorhandener Studien zu so genannten Leitlinien. Letztere existieren aufgrund der hohen Kosten, die eine Leitlinienerstellung bedingt, bisher nur unzureichend.

Andererseits sollten bereits bestehende Fortbildungskurse, die sich ausschließlich mit dem Thema Infektionen, Antibiotikabehandlung und Resistenzentwicklung beschäftigen, fest in die Weiterbildung der Ärzte eingebunden werden.

Patienten sollten Antibiotikatherapien nicht einfach abbrechen, wenn es ihnen nach kurzer Zeit besser geht, denn nur eine ausreichende Dauer der Einnahme verhindert die Bildung von Resistenzen.

Letztlich ist Screening ein wichtiges Instrument zur Vermeidung der Übertragung von Bakterien von Patient zu Patient. Zukünftig sollte nicht nur in den Krankenhäusern sondern auch in Arztpraxen ein routinemäßiges Screening von Risikopatienten durchgeführt werden.

esanum: Inwieweit hat unser Lebensstil mit hohem Fleischkonsum und weltweitem Tourismus einen Einfluss, dass Keime immer widerstandsfähiger werden?

Seifert: Der Tourismus, insbesondere in Länder mit niedrigen hygienischen Standards aber auch solchen Ländern, in denen ein unkontrollierter Antibiotikaeinsatz erfolgt, birgt große Risiken eines Transfers von zum Teil hoch- oder sogar panresistenten Bakterien nach Deutschland. Daher ist es empfehlenswert, Patienten, die aufgrund einer Erkrankung oder Verletzung in ausländischen Krankenhäusern oder Praxen behandelt wurden, auf solche Erreger gezielt zu screenen, denn etwa 20 Prozent von ihnen sind bereits kontaminiert.

esanum: Gerade Krankenhäuser und Altenheime gelten als Orte mit vielen Erregern. Was muss sich dort ändern?

Seifert: Krankenhäuser und Altenheime haben eines gemeinsam: Sie beherbergen viele Menschen mit geschwächter Abwehr, chronischen Wunden oder dauerhaften Urinableitungssystemen beziehungsweise permanenten Ernährungs- und Beatmungsschläuchen. Diese Menschen gehören zu der vom Robert Koch-Institut definierten Risikogruppe. Bei ihrer Pflege sollte in besonderem Maße auf Hygienevorschriften und hier insbesondere auf Händehygiene geachtet werden, um eine Verbreitung von Erregern zu vermeiden.

Die Hygienevorschriften der Länder und das 2011 aktualisierte Infektionsschutzgesetz regeln eindeutig die notwendigen Maßnahmen.

Bakterien, Viren und Pilze sind Teil unserer natürlichen Umwelt. Sie stimulieren und trainieren unser Immunsystem. Eine sterile Umwelt oder einen sterilen Menschen wird und kann es nicht geben. Daher verbleibt ein gewisses Lebensrestrisiko, das wir alle zu tragen haben.

esanum: Ein Hauptproblem sind Antibiotika. Welche Behandlungsmethoden gibt es, wenn Antibiotika nicht mehr wirken?

Seifert: Antibiotika sind nicht das Problem, sondern vielfach die Lösung.

Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, können lediglich die Kreislauffunktionen durch entsprechende Medikamente und durch eine intensivmedizinische Therapien aufrechterhalten werden. Gelegentlich kann so auch eine schwere Sepsis überlebt werden.

In Fällen lokaler Infektionen ist über ein radikal chirurgisches Vorgehen zu diskutieren zum Beispiel Knochenresektion oder Amputation.

Hinsichtlich alternativer Substanzen ist zu sagen, dass mehr als zwei Drittel der Antibiotika Naturstoffe sind, so dass davon auszugehen ist, dass in der Natur weitere Wirkstoffkandidaten vorkommen. So bilden einige bislang wenig erforschte Gruppen wie z.B. Myxobakterien eine Vielzahl antibiotischer Stoffe wie beispielsweise Myxopyronine, die spezifische Bakterien RNA-Polymerase hemmen. Letztlich sind alternative Substanzen oder Wirkstoffe bisher ohne sicheren wissenschaftlichen Wirkungsnachweis oder ein gesichertes Wissen zu deren Nebenwirkungen. Sie sind Gegenstand aktueller Forschungsvorhaben im Rahmen der nationalen DART-Strategie des Bundesministerium für Gesundheit (BMG).

esanum: Gibt es ein Risiko, dass sich bestimmte Infektionskrankheiten wieder stärker ausbreiten, weil Medikamente nicht mehr wirksam sind? Welche Krankheiten könnten das sein?

Seifert: Ja, auf dem Vormarsch ist zum Beispiel Tuberkulose.

In diesem Rahmen erscheint es wichtig darauf hinzuweisen, dass auch Erkrankungen wie Masern, die bei ungünstigem Verlauf zu schweren Gehirnschädigungen führen können, auf dem Vormarsch sind, obwohl ein wirksamer Impfstoff existiert. Gleiches gilt für das Polio-Virus (Erreger der Poliomyelitis, der sog. Kinderlähmung), das in Syrien und Israel zu mehreren Ausbrüchen führte und durch Reisende oder Flüchtlinge aus dieser Region eingeschleppt werden könnte.

Daher ist es meines Erachtens Bürgerpflicht, Impfungen gemäß den Empfehlungen der STIKO (Ständigen Impfkommission) wahrzunehmen.

esanum: Verbraucher sind verunsichert: Einerseits soll alles sauber und hygienisch sein, andererseits wird vor zu viel Hygiene gewarnt. Was ist richtig?

Seifert: Sogar die Geburtsart spielt eine wesentliche Rolle, wie und mit welchen Keimen der menschliche Körper erstmalig in Kontakt gerät und später mit ihnen umgeht. Ungeborene sind bis zum Zeitpunkt ihrer Geburt steril. Der Durchtritt durch den Geburtskanal (Vagina), der mit Bakterien (Laktobazillen) behaftet ist, ist bei der bakteriellen Besiedelung (Kontamination) des Kindes von großer Bedeutung. Diese primäre und erstmalige Konfrontation des Kindes mit Bakterien ist wie eine Art Impfung. Kinder, die dagegen per Kaiserschnitt entbunden werden, sind sehr viel häufiger mit dem aggressiveren Keim Staphylococcus aureus kontaminiert und weisen eine größere Infektionsbereitschaft auf. Sie weisen auch noch zwei Jahre nach ihrer Geburt deutliche Unterschiede im Artenspektrum ihrer Darmkeime gegenüber normal geborenen Babys auf. Zusätzlich haben derartige Kinder ein höheres Risiko, an Asthma oder Allergien zu erkranken. Die Erstbesiedlung könnte also eine wesentliche Grundlage für eine widerstandsfähige Mikroflora sein.

Man kann sagen, dass die Vielzahl und Vielfalt von Bakterien in der Umwelt – also sozusagen das „Umweltmikrobiom“ – einen Schutz vor Asthma und Allergien bietet; Man spricht hier von der Hygiene-Hypothese. Auch Wurminfektionen scheinen einen positiven Effekt auf die Widerstandsfähigkeit des Immunsystems zu haben.

Aktuellere Forschung konzentriert sich auf das Exposom, worunter man alle biologischen großmoleküligen Bestandteile der Atemluft bezeichnet. Diese scheint ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung von Allergien oder Asthma zu haben. Offensichtlich kommt es auf die frühzeitige Begegnung des Menschen (Kindesalter) mit den richtigen Bakterien, Mikroben und Pilzen und in der richtigen Dosierung an.

Fazit: Übertriebene Hygiene im Haushalt ist in der Regel wirkungslos, da trotz aller Putz- und Waschmaßnahmen Bakterien verbleiben. Mangelhafte Hygiene ist jedoch mit Sicherheit nicht gesundheitsfördernd.

Bildnachweis: Jenny Sieboldt