Riesiger Fachkräftebedarf in der Pflege

Zehntausende Menschen werden im Land bald zusätzlich Pflege benötigen. Wer soll sich um sie kümmern? Schon heute fehlen Fachkräfte an allen Ecken. Praktiker sind in großer Sorge.

Pflege-Zahlen schnellen in die Höhe

Zehntausende Menschen werden im Land bald zusätzlich Pflege benötigen. Wer soll sich um sie kümmern? Schon heute fehlen Fachkräfte an allen Ecken. Praktiker sind in großer Sorge.

Es sind erschreckend hohe Zahlen, die das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz zur Pflege errechnet hat. Schon in den kommenden Jahren nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen demnach deutlich zu, von jüngst 116.000 auf 162.000 im Jahr 2035 und sogar auf 220.000 im Jahr 2060. Besonders die Gruppe der Hochbetagten in Pflege entwickelt sich exorbitant. In zwei Jahrzehnten wird ein Plus von 89 Prozent, in vier Jahrzehnten von 337 Prozent geschätzt. "Wir fühlen uns mit den Zahlen sehr wohl", sagt Statistiker-Chef Marcel Hürter, und meint: Das dürfte alles wirklich so kommen.

Pflege ist ein soziales Megathema - und die neuen Zahlen machen es noch größer und noch dringender. All die Pflegebedürftigen müssen betreut werden, von Angehörigen genauso wie von Fachkräften. Dabei gibt es schon heute nicht genügend Altenpfleger, Krankenpfleger, Kinderkrankenpfleger, Altenpflegehilfen und Krankenpflegegehilfen in Rheinland-Pfalz. "Die Fachkräftelücke muss geschlossen werden", sagt Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD). Im Jahr 2030 könnte die Lücke 2900 Stellen umfassen, erklärt sie.

Fachkräftebedarf ist das größte Problem

"Wir schätzen die Lage so ein, dass der Fachkräftebedarf eine der größten Hürden sein wird", meint Regine Schuster, Vorstandsvorsitzende der Pflegegesellschaft Rheinland-Pfalz. "Das macht uns Sorge." Die demografische Entwicklung sei nicht nur für die steigende Zahl an Pflegebedürftigen verantwortlich - sie führe auch dazu, dass immer weniger junge Menschen zu Pflegekräften werden könnten. Schneider bezweifelt, dass in Zukunft die Ausbildungsstellen besetzt werden können.

Ministerin Bätzing-Lichtenthäler hingegen glaubt, dass dies gelingen kann. Sie möchte auch am Image der Pflegeberufe arbeiten. Junge Pflegeschüler hätten ihr gesagt, dass sie sich in der Öffentlichkeit für ihre Entscheidung rechtfertigen müssten. "Das Umfeld sagt: Ihr habt einen Knall. Konntet Ihr nichts Besseres finden?" Es dürfe nicht sein, dass der Beruf schlechtgeredet werde, sagt die Ministerin. Ab 2018 werde sie massiv daran arbeiten, das Image zu verbessern.

Mehr Ausbildungsplätze sollen geschaffen werden

Auf der Liste der Ministerin stehen viele weitere Punkte. Das Land möchte mehr Ausbildungsplätze schaffen, ungelernte Kräfte weiterqualifizieren, die Zuwanderung ausländischer Pflegekräfte durch Berufsanerkennung begünstigen und die Beschäftigungsbedingungen verbessern, "damit die Pflegekräfte möglichst lange und möglichst gesund arbeiten können". Auch Pfleger würden älter - und sollten dann altersgerecht arbeiten können. "Es gibt nicht die eine Maßnahme, es gibt leider nicht den einen Hebel, sondern es braucht ein Bündel von Maßnahmen."

Aus der Wissenschaft bekommt Rheinland-Pfalz relativ gute Noten. Das Land habe sich des Themas relativ früh angenommen und viele gute Maßnahmen eingeleitet, sagt Brigitte Anderl-Doliwa von der Katholischen Hochschule in Mainz. Vieles aber werde auf Bundesebene entschieden, etwa welche Qualifikationen die Pflegenden mitbringen müssen. "In Deutschland haben wir mit das schlechteste Qualifikationsniveau in Europa. Selbst in Osteuropa sind mehr der Pflegekräfte, die am Patienten arbeiten, akademisch gebildet", sagt sie. "Da haben wir noch viel Nachholbedarf."

Bessere Bezahlung notwendig

Die zusätzlichen und besser ausgebildeten Pflegenden müssten bezahlt werden, sagt Anderl-Doliwa, die Stiftungsprofessorin für Erweiterte Pflegekompetenz bei langfristigem Versorgungsbedarf ist. "Die Gesellschaft muss sich Gedanken machen, was da auf sie zukommt." Heute wie in Zukunft würden die meisten Pflegebedürftigen durch Angehörige versorgt. "Angehörige brauchen Supervision und Anleitung, damit sie nicht ausbrennen und an der Belastung zerbrechen."

Die Zahlen der Statistiker zeigen auch, dass die Nachfrage im Land nicht überall gleich stark steigt. Bliebe die Zahl der Betten in den Pflegeheimen stabil, fehlten im Jahr 2035 im Kreis Mainz-Bingen 620 Plätze, während es im Eifelkreis Bitburg-Prüm nur zwölf Plätze wären. Denn in Mainz-Bingen wohnen derzeit im Schnitt jüngere Menschen, die nach und nach älter würden. "Pflege ist ein Phänomen des Alters", sagt Ludwig Böckmann, Autor der Landesamtstudie. Bei den 80- bis 85-Jährigen liegt die Pflegequote in Rheinland-Pfalz bei etwa 20 Prozent, bei den über 90-Jährigen bei 63 Prozent.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste schlägt vor, dass als eine Lösungsmöglichkeit der feste Schlüssel von Fachkräften und Hilfskräften gelockert wird. "Jede gut ausgebildete und klug eingesetzte Hilfskraft unterstützt Pflegebedürftige besser als eine Fachkraft, die nicht da ist", meint der Landesvorsitzende Bernd Meurer. Der Sozialverband VDK Rheinland-Pfalz wiederum fordert eine Entbürokratisierung. Eine Entlastung für pflegende Angehörige müsse einfacher und ohne Zertifizierung in Anspruch genommen werden können.