Scham und Schuldgefühle: Wer stottert, braucht für den Spott nicht zu sorgen

Stottern ist Betroffenen oft peinlich. Denn noch immer begegnen ihnen Vorurteile. Die Ursache der Sprachstörung ist nach wie vor unbekannt.

"Heilungsversprechen können nicht gegeben werden"

Stottern ist Betroffenen oft peinlich. Denn noch immer begegnen ihnen Vorurteile. Die Ursache der Sprachstörung ist nach wie vor unbekannt.

Sie werden oft belächelt und gar ausgelacht: Stotternde Menschen begegnen im Alltag immer wieder Vorurteilen. "Betroffenen wird bisweilen unterstellt, sie hätten einen psychischen Defekt oder eine Anomalie, seien unsicher, nervös oder gar weniger intelligent", sagte Filippo Smerilli vom Landesverband Ost Stottern & Selbsthilfe in Berlin. In Sachsen-Anhalt seien etwa 22.000 Menschen betroffen, heißt es von der Selbsthilfeorganisation. 

Der Landesverband Sachsen-Anhalt des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie spricht von etwa fünf Prozent aller Kinder im Vorschulalter, die stottern. Bundesweit leidet Schätzungen zufolge etwa ein Prozent der Bevölkerung an der Sprachstörung. Der Welttag des Stotterns am 22. Oktober 2019 soll auf das Thema Stottern aufmerksam machen.

Nach Angaben von Sachsen-Anhalts Sozialministerium wiesen bei Schuleingangsuntersuchungen im vergangenen Jahr gut 21 Prozent aller einzuschulenden Kinder Artikulations- und fast 9 Prozent Grammatikdefizite auf. Jungen waren öfter betroffen als Mädchen.

Mit Diskriminierung muss gerechnet werden

Im Alltag wird Stottern nach Angaben Smerillis noch immer tabuisiert. Viele Betroffene empfänden Scham, Schuld, Verlegenheit oder auch Angst bis hin zu Panik. Wegen der oft abwertenden oder gar diskriminierenden Reaktionen zögen sich Stotterer oft zurück. Das könne zu Isolation führen. Ausbildung, Berufswahl, Partnersuche seien für diese Menschen oft schwieriger als für andere.

Der Landesverband Ost Stottern & Selbsthilfe vertritt stotternde Menschen in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt und betreut dort aktuell sieben Selbsthilfegruppen. In Sachsen-Anhalt gibt es je eine Gruppe in Halle und Magdeburg.

Smirelli hat eigene Erfahrungen als Stotterer: Als er vor Jahren in einem Steuerbüro arbeitete, erhielt er nach einiger Zeit geradezu ein Telefonverbot. "Eine Kundin hatte sich beschwert." Seiner Meinung nach sind die Arbeitsagenturen nur unzureichend auf Stotterer vorbereitet.

Zur gezielten Vermittlungshilfe bei der Suche nach einer geeigneten Ausbildungsstelle sollten auf jeden Fall die Fachkräfte der Agentur für Arbeit eingeschaltet werden, empfiehlt jedoch Michael Brendel von der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen in Halle. Eventuelle Bewerbungsgespräche könnten durch gezielte Vorabinformationen "entschärft" werden.

Komplexes Störungsbild mit ungeklärter Ursache

Die Ursache des Stotterns ist noch nicht restlos geklärt. Es ist möglicherweise genetisch bedingt und wird womöglich durch eine Fehlfunktion der Nervensignale für Sprache und Sprechen verursacht. Untersuchungen mit Kernspintomographen belegen zudem, dass Stotterer beim Sprechen anderer Hirnregionen aktivieren als normal Sprechende. "Bei Kindern und Jugendlichen lassen sich die Symptome meist gut behandeln", sagt Smirelli. Bei Erwachsenen sei es schwierig.

"Heilungsversprechen können nicht gegeben werden", betont Philipp Wenzel vom Logopädenverband. "Auch bei Kindern ist es nicht möglich vorherzusagen, welches von ihnen das Stottern verlieren wird. Es handelt sich generell um ein sehr komplexes Störungsbild." Der Therapieerfolg sei von individuellen Faktoren abhängig.

Die Techniker Krankenkasse (TK) bietet eine Tele­the­rapie an, eine Online-Therapie für stotternde Menschen. Diese helfe ebenso gut wie eine Therapie beim Arzt, heißt es bei der TK. Smerilli ist skeptisch. "Das kann eine gute Ergänzung sein", sagt er. Doch beim Stottern spiele oft Sprechangst eine Rolle. Und die sei am Computer nur schwer in den Griff zu bekommen.