Sideline-Dilemma: Wenn Ärzt:innen auf dem Spielfeld entscheiden müssen

Wenn Ärzt:innen Profifußballer:innen auf dem Spielfeld untersuchen und behandeln müssen, geraten sie häufig in eine Situation, die PD Dr. Raymond Best, Chefarzt der Sportklinik Stuttgart, als "Sideline-Dilemma" bezeichnet. In kürzester Zeit muss entschieden werden, ob eine Verletzung schwerwiegend ist oder nicht, ob die betroffene Person raus muss oder weiterspielen kann.

Zwickmühle zwischen Medizin, Ethik und Sport 

Wenn Ärzt:innen Profifußballer:innen auf dem Spielfeld untersuchen und behandeln müssen, geraten sie häufig in eine Situation, die PD Dr. Raymond Best, Chefarzt der Sportklinik Stuttgart, als "Sideline-Dilemma" bezeichnet. In kürzester Zeit muss entschieden werden, ob eine Verletzung schwerwiegend ist oder nicht, ob die betroffene Person raus muss oder weiterspielen kann. "Dabei bewegen wir uns zwischen Medizin, Ethik und Sport", berichtet der Mannschaftsarzt des VfB Stuttgart. Da dies oft eine Zwickmühle ist, wird das Thema auf dem großen GOTS-Kongress am 1. und 2. Juli aktuell diskutiert.

Ärzt:innen müssen medizinisch-ethisch agieren, vor allem wenn eine Verletzung zu stark ist, um weiterzuspielen zu können. Sie müssen in Grenzfällen aber auch berücksichtigen, dass ein Spieler oder eine Spielerin eine eventuell maßgebliche Position in der aktuellen Spielsituation einnimmt, oder sie müssen deren Willen berücksichtigen, wenn sie weitermachen wollen.

Einprägsames Beispiel war 2014 Nationalspieler Christoph Kramer, der von der Schulter eines anderen Spielers am Kopf getroffen wurde. Er wurde gecheckt, sagte, er fühle sich fit und spielte weiter. Erst mit Verzögerung wurde er ausgewechselt. Später konnte er sich an den verbliebenen Spielverlauf und die Zeit danach nicht mehr erinnern.

Für die vielen Verletzungen an den Gelenken, am Rücken oder sogar am Kopf gibt es kein Handbuch, wie in welcher Situation vorzugehen ist. Eines steht fest: bei Kopfverletzungen bekommen Ärzt:innen mehr Zeit, um genauer zu untersuchen. Bei anderen Verletzungen aber haben Ärzt:innen in der Regel schnell den Schiedsrichter neben sich, der daran interessiert ist, dass der Spielbetrieb möglichst wenig unterbrochen wird.

Mit "Eis-Spray rauf und weiter" ist es oft nicht getan

Doch perfekt und schnell schließt sich oft aus. Denn während 2-3 Minuten Untersuchungszeit, kann eine Mannschaftsärztin oder ein Mannschaftsarzt keinen Ultraschall machen und kein MRT veranlassen. Was bleibt, sind "das Sehen" des Unfalls, die Erfahrung, ein Ertasten von Verletzungen und die Mittel der ersten Hilfe. Oft ist es mit "Eis-Spray rauf und weiter" aber nicht getan.

Bei Gehirnerschütterungen kann es richtig gefährlich werden. Nicht jede Kopfverletzung ist sofort zu erkennen und nicht jede ist Spieler:innen anzumerken. Studien in amerikanischen Football-Ligen berichten sogar von bleibenden Wesensveränderungen ehemaliger Spieler nach dem Sport.

Große Sorgfalt bei der Untersuchung walten lassen

"Fest steht", so Dr. Best, der Facharzt für Orthopädie, Chirurgie, Unfallchirurgie, Notfallmedizin und Sportmedizin ist, "dass nach einer – auch kurzen – Bewusstlosigkeit ein Fußballer auf keinen Fall mehr weiterspielen sollte."

Aber auch bei der Diagnose verschiedenster Schulterverletzungen oder Bänderrissen am Knie muss man große Sorgfalt walten lassen. Da kommt es auf eine professionelle Zusammenarbeit von Schiedsrichter und Ärzt:innen an. Best: "Ein guter Schiedsrichter erkennt, ob mit einer Bagatelle nur Zeit geschunden werden soll, oder ob hier wirklich etwas mehr Zeit zur Sicherung der Gesundheit des Patienten nötig ist."