Silvester: Schwerverletzte zwingen Ärzte zu Dauereinsatz

In den Notaufnahmen der Krankenhäuser herrscht an Silvester Hochbetrieb. Abgetrennte Gliedmaßen und schwere Verbrennungen können Mediziner häufig nur in aufwändigen OPs versorgen. Silvester ist nic

In den Notaufnahmen der Krankenhäuser herrscht an Silvester Hochbetrieb. Abgetrennte Gliedmaßen und schwere Verbrennungen können Mediziner häufig nur in aufwändigen OPs versorgen.

Silvester ist nicht nur die Nacht des ausschweifenden Feuerwerks und der wilden Böllerei, sondern für Ärzte auch die der abgetrennten Finger und Hände, der schweren Verbrennungen sowie der Augen- und Ohrenverletzungen. Immer wieder explodieren Böller zu früh in der Hand, werden achtlos auf andere geworfen oder “knallen” deutlich heftiger als erwartet. Zwar fehlen belastbare bundesweite Statistiken über Verletzungen durch Feuerwerk an Silvester. Eine durchschnittliche Silvesternacht an einem Großstadt-Krankenhaus sieht aber nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) in etwa so aus: 60 Teilverletzungen wie zum Beispiel abgetrennte Finger oder Fingerglieder und fünf bis zehn schwere Verletzungen wie zerstörte Hände.

Die meisten Verletzten seien junge Männer im Alter bis zu 25 Jahren, so die DGOU; Die zweite Haupt-Risikogruppe seien 50- bis 60-jährige Männer. “Bei beiden Gruppen ist oft Alkohol mit im Spiel. Je mehr Alkohol man im Blut hat, desto leichtsinniger wird man”, erklärt Professor Andreas Eisenschenk von der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), eine Sektion der DGOU. “Die meisten großen Handverletzungen werden durch selbst gebastelte Polen-Böller verursacht. Am häufigsten sind aber Verletzungen eines oder mehrerer Finger sowie Hautverletzungen. Wenn Böller in der Nähe des Kopfes explodieren, kann es aber auch zu Trommelfellzerstörungen kommen – und wenn sie sich in der Hosentasche entzünden, zu Genitalverletzungen.”

Erfahrungsgemäß füllen sich die Notaufnahmen der Krankenhäuser ab 22 Uhr, wenn zum einen der Alkoholpegel der Feiernden steigt und gleichzeitig immer mehr Menschen mit dem Feuerwerk beginnen. Krankenhäuser reagieren darauf, indem sie ihre OP-Teams doppelt besetzen und Ärzte Extraschichten fahren. Die Mediziner müssen aufgrund abgetrennter Gliedmaßen, schwerer Verbrennungen oder zerstörter Gefäße häufig kurzfristig angesetzte Marathon-Operationen durchführen. Um Sehnen, Gefäße, Nerven und Knochen zu rekonstruieren, sind vier- bis zehnstündige Operationen notwendig, teilweise folgen weitere Eingriffe in der Nachbehandlung. Ein großes Problem ist bei Böller-Verletzungen, dass Explosionen keine glatten Schnittwunden verursachen, sondern zerfetzte Ränder. Das macht das Nähen der Wunde schwierig bis unmöglich. “Wenn ein Körperteil verletzt war, wird immer eine Einschränkung bleiben, in Gefühl oder Funktion. Wenn die Funktion da ist, aber nicht das Gefühl, ist die Hand funktionslos. Umgekehrt, wenn das Gefühl da ist, aber nicht die Funktion, dann ist die Hand blind”, erklärt Eisenschenk.

Ein “fröhlicher” Böllerabend kann das ganze Leben ruinieren

Ein abgetrennter Finger zum Beispiel kann noch nach acht bis zehn Stunden wieder angenäht werden – auch wenn er nicht gekühlt wurde. Deshalb empfiehlt Eisenschenk: “Bevor man etwas falsch macht, die Gliedmaßen lieber ungekühlt transportieren. Denn wenn sie mit Eiswasser in Kontakt kommen, quellen sie auf und dann ist ein Wiederannähen nicht mehr möglich.” Über 95 Prozent der wieder replantierten Körperteile sind äußerst kälteempfindlich und können bei großer Kälte Schmerzen verursachen. Deshalb ist die “Lebensqualität danach” für die Operateure vor jeder OP ein wichtiger Aspekt. So könnte die Replantation eines Fingers bei einem Musiker sinnvoll sein, bei einem Handwerker, der viel im Freien arbeitet, dagegen nicht. Er hätte bei Außenarbeiten im Winter einfach zu große Schmerzen.

An Neujahr geht die Arbeit für die Chirurgen ohne Pause weiter. Dann kommen hauptsächlich Kinder, die sich beim Blindgänger-Sammeln verletzt haben. Bei Kindern und jungen Erwachsenen im Alter bis zu 25 Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, dass verletzte Nervenverbindungen wieder voll funktionstüchtig werden, generell höher. Ab 35 Jahren nimmt sie deutlich ab.

Text: V. Thoms