Spannender Dialog zur Therapie der SMA bei Erwachsenen

Kleine Sequenz, große Wirkung: Nusinersen zur Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie – so war eine Session beim virtuellen DGN-Kongress überschrieben. Prof. Dr. Tim Hagenacker und Prof. Dr. Maggie Walter stellten hierzu die neue Real World-Evidenz dar.

Nusinersen zeigt deutliche Wirkung

Kleine Sequenz, große Wirkung: Nusinersen zur Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie – so war eine Session beim virtuellen DGN-Kongress überschrieben. Prof. Dr. Tim Hagenacker, leitender Oberarzt im Universitätsklinikum Essen, Klinik für Neurologie, und Prof. Dr. Maggie Walter, Friedrich-Bauer-Institut und Klinik für Neurologie der LMU München, stellten hierzu die neue Real World-Evidenz dar.

Im Dialogvortrag von Prof. Dr. Maggie Walter, Friedrich-Bauer-Institut und Klinik für Neurologie der LMU München, und Prof. Dr. Tim Hagenacker, neurologische Klink der Universitätsklinik Essen, ging es um den Einsatz von Antisense Oligonucleotiden in der spinalen Muskelatrophie, vor allem bei erwachsenen PatientInnen. Prof. Walter machte den Anfang mit neuen Daten zur Real-World-Evidenz zur Behandlung erwachsener SMA-PatientInnen mit Nusinersen.

Beim Friedrich-Bauer-Institut sind im Deutsch-österreichischen SMA-Patientenregister aktuell 865 PatientInnen mit verschiedenen SMA-Typen registriert. Doch unabhängig davon, welchen Typ von SMA man anschaut, die Erkrankung ist fortschreitend. Es geht im Laufe des Lebens abwärts, egal, mit welchen motorischen Funktionen man startet. Und wenn die Gehfähigkeit überhaupt erlernt wird, so geht sie im Laufe des Lebens doch wieder verloren. Das Erreichen der Gehfähigkeit ist davon abhängig, wann die ersten Symptome auftreten. Wenn ein Patient bei Krankheitsbeginn weniger als drei Jahre alt ist, hat er nach einem 20jährigen Verlauf eine Chance auf Gefähigkeit von knapp über 30%, nach 30 oder 40 Jahren noch 20%. Jenseits des dritten Lebensjahres bei den ersten Symptomen sind immerhin noch 60% der PatientInnen nach einem vierzigjährigen Verlauf gehfähig. Message von Prof. Walter: "In jedem Alter besteht das Risiko, die Gehfähigkeit zu verlieren."

Für eine Umfrage der Patientenorganisation SMA Europe wurden PatientInnen mit Typ 2 und 3 angeschrieben, 822 nahmen teil. Sie wurden nach demographischen Daten gefragt, nach den Auswirkungen ihrer Erkrankung auf das tägliche Leben - sowie nach ihren Erwartungen an eine Therapie. Diese PatientInnen waren alle relativ schwer betroffen, nur 25% von ihnen waren gehfähig und 42% stehfähig.

Was sich PatientInnen wünschen

Vier Punkte wurden am häufigsten erwähnt - das sind jene Punkte, bei denen es um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit geht.:

Sie wurden dann gefragt, wäre es für sie ein Fortschritt, wenn es ein Medikament gäbe, das ihren aktuellen klinischen Zustand stabilisieren könnte? 96% sagten, ja, das wäre ein wichtiger oder ein moderater Fortschritt. Prof. Walter: "Es muss uns immer bewusst sein, dass die Erhaltung bereits erstrebenswert ist."

Inzwischen sind über 11.000 PatientInnen weltweit mit Nusinersen behandelt. In klinischen Studien waren 346 SMA-PatientInnen mit unterschiedlichem Alter, von Neugeborenen bis zu jungen Erwachsenen eingeschlossen. Die Studien, in denen PatientInnen über 6 Jahre Nusinersen erhalten haben, zeigen ein sehr günstiges Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil. Der Wirkmechanismus ist gut dokumentiert, er führt zur Bildung von mehr funktionsfähigem SMN-Protein.

Aspekte bei der Behandlung erwachsener SMA-PatientInnen

Prof. Hagenacker ging sodann auf die Relevanz ein, die die Therapie bei Erwachsenen hat. Es gibt einige gesonderte Aspekte bei der Behandlung erwachsener SMA-PatientInnen:

Daraus ergeben sich die erstrebenswerten Ziele der Erwachsenen:

Die bisherige therapeutische Erfahrung basiert auf 3 klinischen Studien, die allerdings keine erwachsenen PatientInnen beinhalten.

Die Nurture Studie für die jüngsten präsymptomatischen PatientInnen, die Endear Studie für Typ 1 PatientInnen, die Cherish Studie bis 12 Jahre mit SMA Typ 2/Typ 3. Und bei allen drei Studien zeigen sich gute Ergebnisse: eine 100-prozentige Überlebensrate in der Nurture-Studie, in der Endear-Studie ein Erreichen weiterer motorischer Meilensteine bei 51% und bei der Cherish-Studie eine Verbesserung in den motorischen Funktionsscores.

Was ist nun mit den erwachsenen PatientInnen?

Prof. Walter hat 19 PatientInnen prospektiv im Verlauf untersucht. Die Ergebnisse stellte sie im weiteren Verlauf des Symposiums vor.
Von Oktober 2017 bis Mai 2019 wurden 19 Testpersonen nach dem üblichen Schema (12 mg Nusinersen) behandelt und nach den üblichen Scores (HFMSE, 6MWT, RULM-Test, ALSFRS-Skala, MRC-Skala, PCF, VC zur Erfassung der Lungenfunktion, verschiedene Biomarker und Sicherheitsparameter) bewertet. 17 von ihnen haben die 300 Tage-Observation-Period durchlaufen.

Alle hatten SMA Typ 3, 12 waren gehfähig, 7 auf den Rollstuhl angewiesen. Die Erkrankungsdauer lag durchschnittlich zwischen 20 und 25 Jahren, der Beginn der Erkrankung lag zwischen dem ersten und dem 40. Lebensjahr. Die Diagnosestellung erfolgte zwischen 4 und 50 Jahren. Und der Therapiebeginn lag zwischen 18 und 59 Jahren.

Sicherheit und Behandlungseffekte von Nusinersen bei lange bestehender erwachsener 5q-SMA

Signifikante Verbesserungen zeigten sich beim RULM-Test und beim 6-Minute-Walk-Test, sowie im PCF. Prof. Walter erklärte: "Auch wenn die Besserungen im Verlauf milde sind – im natürlichen Verlauf ist niemals eine Verbesserung von Funktionen gezeigt worden, sondern es ging unbehandelt immer nur abwärts." Die Sicherheit war generell sehr gut. Alle Injektionen konnten ohne Bildgebung durchgeführt werden.

Prozedurale Nebenwirkungen:

Zusammenfassung

In dieser offenen, prospektiven Beobachtungsstudie mit 19 erwachsenen Patienten, bei denen im Mittel seit 20 Jahren eine 5q-assoziierte SMA Typ 3 bestand, zeigte sich nach über 10 Monaten Therapie mit Nusinersen ein positiver Einfluss auf

"Das ist deutlich mehr, als wir uns erwartet haben," sagte Prof. Walter. "Man hätte eher eine Stabilisierung erwartet, insbesondere im Hinblick auf die lange Krankheitsdauer."

Größere Studie in Essen

Vertieft werden die Ergebnisse in einer deutlich größeren Untersuchung mit einem heterogeneren Patientenkollektiv bei Prof. Hagenacker in Essen.
Prof. Hagenacker stellte die nicht-interventionelle, multizentrische Beobachtungsstudie mit zehn beteiligten muskulären Zentren in Deutschland vor. Primäre Outcome-Parameter waren auch hier die Hammersmith-Funktionsskala, der 6-Minute-Walk-Test bei den Gehfähigen und das Revised Upper Limb Module. Die teilnehmenden Zentren waren Teil des SMArtCARE-Netzwerks.

Insgesamt waren 173 Testpersonen eingeschlossen. 124 sind in die Sechs-Monatsanalyse eingeflossen, 92 in die Zehn-Monatsanalyse und 57 PatientInnen in die 14-Monatsanalyse. Die PatientInnen waren zwischen 33 und 36 Jahre alt, hatten überwiegend SMA Typ 2 (ein Drittel) und SMA Typ 3 (zwei Drittel).

Zu Beginn gab es bei den motorischen Funktionen einen mittleren Score von 20 und abschließend nach 14 Monaten 24 Punkte. Prof. Hagenacker: "Insgesamt zeigte sich eine signifikante Verbesserung der motorischen Funktionen."

Bereits nach 6 Monaten kam es zu einer Verbesserung von 1,7 Punkten beim HFMSE-Score, nach zehn Monaten waren es 2,6 Punkte, nach 14 Monaten 3,1 Punkte. Ab drei Punkten spricht man von einer klinisch relevanten Verbesserung. "Auch beim RULM zeigt sich eine signifikante Verbesserung um einen Punkt und bei der Gehfähigkeit eine Verbesserung der Gehstrecke von 20, über 30 und letztlich um 46 Meter", führte der Referent aus.

Bezogen auf die Hammersmith-Skala wurde zudem geschaut: welcher Anteil der PatientInnen überschreitet die Verbesserung von drei Punkten? Ergebnis: Das hängt klar von der Therapiedauer ab. Nach sechs Monaten sind es 28%, nach 10 Monaten 35% und nach 14 Monaten 40%. Daher die Empfehlung von Prof. Hagenacker: "Mindestens ein, besser zwei Jahre zu behandeln, bevor man entscheidet, ob die Therapie effizient ist." Die Analyse von Subgruppen zeigt eine enge Korrelation des Funktionszustandes zu Beginn der Therapie mit den Therapieerfolgen. Das heißt, dass die weniger schwer betroffenen sich deutlich mehr verbessern als die schwerer betroffenen PatientInnen. Die gehfähigen PatientInnen haben mehr profitiert als die nichtgehfähigen. Prof. Hagenacker schlussfolgert: "Es ist also wichtig, die Therapie zu einem Zeitpunkt zu beginnen, an dem die motorische Funktion noch bestmöglich ist und keine Zeit zu verlieren."

Zum Sicherheitsprofil:

Generell wurde die Therapie gut vertragen.

Selten waren u.a.:

Schwindel, Obstipation, Blasenstörung, Tinnitus, Infektion

Ergänzend berichtete Prof. Walter von einer Kohorte in Stanford, in der die PatientInnen nach Behandlung mit Nusinersen subjektiv über eine Abnahme der Müdigkeit berichten, sowie über mehr Energie und Ausdauer. Über 90% berichten über mehr Kraft, Ausdauer, Atemkraft, besseres Kauen. Auch Schlucken, Stimm- und Muskelkraft seien besser geworden.

Prof. Walter und Prof. Hagenacker beantworten also die Frage "Sollten erwachsene SMA-PatientInnen mit Nusinersen behandelt werden?" eindeutig mit Ja.

Fazit

Quelle: DGN-Kongress, 7.11.2020, Kleine Sequenz, große Wirkung: Nusinersen zur Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie