Spezielle Zentren helfen Menschen mit seltenen Erkrankungen

Sie irren von Arzt zu Arzt ohne Diagnose: Menschen mit seltenen Krankheiten. Spezielle Zentren sollen helfen. Doch die müssten besser koordiniert werden, fordern Organisationen.

Für bessere Koordination zwischen Forschungszentren, Pflegediensten und Therapeuten

Sie irren von Arzt zu Arzt ohne Diagnose: Menschen mit seltenen Krankheiten. Spezielle Zentren sollen helfen. Doch die müssten besser koordiniert werden, fordern Organisationen.

Caio liegt auf seiner Decke und gluckst vor sich hin. Gleich beginnt das Lauftraining mit Papa Patrick. Seine Weste und die speziellen Sandalen hat der Fünfjährige schon an. Die werden nun mit den Füßen und der Hüfte seines Vaters verbunden. Derart festgeschnallt kann Caio laufen und sogar Fußball spielen. 

Caio ist gerade drei Monate alt, als die Krämpfe beginnen. "Er hat nicht mehr geatmet und ist blau angelaufen, das war wirklich sehr bedrohlich", erzählt Patrick Bager. Mehrmals am Tag und in der Nacht bangen er und seine Frau um das Leben ihres Sohnes. Fünf Wochen bleiben sie im Universitätsklinikum Mainz, es werden Tests gemacht. Mit Medikamenten versuchen die Ärzte, die epileptischen Anfälle zu lindern. Was die Bagers damals noch nicht wissen: Ihre Odyssee auf der Suche nach der Diagnose für ihren Sohn hat gerade erst begonnen. 

Der Tag der Seltenen Erkrankungen an diesem Mittwoch (28. Februar) soll auf die Situation von Patienten wie Caio aufmerksam machen. Eine Krankheit gilt nach Definition der EU dann als selten, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen an ihr leiden. In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge rund vier Millionen Betroffene. Um sie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, wurde 2008 der 28. Februar als "Tag der Seltenen Erkrankungen" von Eurordis, der Allianz von Patientenorganisationen, ins Leben gerufen. Mittlerweile beteiligen sich daran weltweit mehr als 90 Länder und Regionen. Auch in Mainz sind diverse Veranstaltung geplant.

In Caios Fall dauerte es eineinhalb Jahre bis feststand: Er hat einen CDKL5-Gendefekt, eine sehr seltene Erkrankung des X-Chromosoms. Einen Namen hat seine Krankheit bis heute nicht. "Die Diagnose war für uns natürlich schockierend", sagt Bager. "Es gibt keinen Therapieansatz und Caio wird vermutlich nicht sehr alt werden, aber wir kennen jetzt die Ursache und wissen, dass wir damit nicht allein auf der Welt sind". Die Eltern von Caios Leidensgefährten haben sich mittlerweile zu einem Verein zusammengeschlossen, dem Bager vorsteht. Der 38-Jährige schätzt, dass etwa 50 Kinder von diesem Gendefekt in Deutschland betroffen sind. "Die Dunkelziffer ist sicherlich weitaus höher", erklärt Bager. 

Dr. Michael Beck kennt die Probleme, mit denen sich Patienten und Angehörige konfrontiert sehen. Bei ihm als Koordinator am Zentrum für Seltene Erkrankungen des Nervensystems an der Uniklinik Mainz landen die Anfragen derjenigen, die meist schon viele Arztbesuche hinter sich haben. "Jeder muss einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen und ihn vom behandelnden Arzt unterschreiben lassen", erläutert Beck. "Auf dieser Basis leite ich die Patienten dann weiter, zum Beispiel an die Neurologie oder die Kinderklinik."

Obwohl einige Erkrankungen etwa des Stoffwechsels mittlerweile gut bekannt seien, stehe ein Befund immer noch viel zu spät fest, findet Beck. "Das Interesse der Ärzte an seltenen Krankheiten müsste dringend zunehmen", meint der Humangenetiker. "Viele Hausärzte haben keine Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen, vielleicht haben sie auch Angst." Er kenne Patienten, die die richtige Diagnose selbst mit Hilfe von Google gestellt hätten. Natürlich könne niemand alle rund 7.000 seltenen Erkrankungen kennen, aber man könne nachforschen oder Betroffene an Experten verweisen. 

Momentan arbeite das Team in der Landeshauptstadt an einer Datenbank für seltene Erkrankungen. Innerhalb der angeschlossenen Institute können schon jetzt mit dem Einverständnis der Patienten Daten ausgetauscht werden. Einmal im Monat treffen sich die Ärzte, etwa um besonders knifflige Fälle zu besprechen. Nach Becks Angaben gab es im vergangenen Jahr 100 Anfragen, rund 30 Patienten wurden aufgenommen. 

28 derartige Zentren gibt es derzeit in Deutschland, die meisten sind selbst ernannt und angeschlossen an die Universitätskliniken. Zwar hat das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) extra für diesen Zweck Anforderungskataloge erstellt. Bindend sind diese jedoch nicht. 

"Eine unserer nächsten Aufgaben wird es sein, die Kataloge verbindlich zu machen", schildert Miriam Schlangen, Leiterin der NAMSE-Geschäftsstelle in Bonn. Man sei es den Patienten schuldig, einen Weg bis zur Diagnose zu definieren, um Irrwege durch das Gesundheitssystem zu vermeiden. 

Doch zunächst muss das Aktionsbündnis, an dem unter anderem verschiedene Ministerien, aber auch die Bundesärztekammer beteiligt sind, selbst ums Überleben kämpfen. Mitte des Jahres läuft die Finanzierung der Geschäftsstelle durch das Bundesgesundheitsministerium aus. Wie es dann weitergeht und wie die Finanzierung aussehen soll, steht noch nicht fest. 

Für Caio und seine Eltern sind die politischen Diskussionen eher nebensächlich. Für sie gilt es, den Alltag zu organisieren. Ein Pflegedienst hilft, damit der Fünfjährige in einen integrativen Kindergarten gehen kann. Dort arbeiten Therapeuten mit ihm, außerdem bekommt er unter anderem eine Sehfrühförderung, denn Caio ist so gut wie blind. Und abends spielt er mit seinem Vater Fußball - für Kinder wie Caio keine Selbstverständlichkeit.  

Mehr Informationen zum Thema finden Sie in unserem Informationsportal rund um Seltene Krankheiten auf esanum.