Strukturaufklärung von Allergenen per NMR-Spektrometer

Viele Betroffene wissen es: Allergien gelten immer noch als eine Art Mysterium der Wissenschaft. Dauerhafte Hilfe gibt es kaum. Mit einem Supermagneten wollen Bayreuther Forscher dem Problem beikommen.

Supermagnet bringt Atomkerne aus dem Gleichgewicht

Viele Betroffene wissen es: Allergien gelten immer noch als eine Art Mysterium der Wissenschaft. Dauerhafte Hilfe gibt es kaum. Mit einem Supermagneten wollen Bayreuther Forscher dem Problem beikommen.

Die große Halle steht fernab der Straße und anderen Gebäuden auf dem Universitätsgelände in Bayreuth. Sie sieht fast aus wie eine Scheune, denn sie besteht durch und durch aus Holz. Das ist wichtig. In ihrem Inneren verbirgt sich ein acht Tonnen schwerer Supermagnet. Er ist Teil des weltweit messgenauesten Kernspinresonanz-Spektrometers, des sogenannten NMR-Spektrometers.

Dessen Funktionsweise erklärt Professor Paul Rösch, Inhaber des Lehrstuhls für Biopolymere: "Mit elektromagnetischen Hochfrequenzimpulsen stören wir das Gleichgewicht von Atomkernen. Anhand ihrer Antwort können wir die dreidimensionale Struktur von Molekülen berechnen." Metall würde die Messungen stören. Das gilt auch für vorbeifahrende Autos. Deshalb ist der Supermagnet nur von Holz umgeben.

Was der Professor und seine Mitarbeiter mithilfe der mehr als 25 Millionen Euro teuren Messanlage untersuchen, sind Proteine. Die sind um ein Tausendfaches kleiner als Bakterien. Das NMR-Spektrometer ermöglicht es, Proteine zu vermessen. Lediglich einen halben Milliliter Proteinlösung in einem unscheinbaren Glasröhrchen benötigt das kolossale Instrument, um Resultate zu liefern. Die erscheinen am Ende des Tages als Ansammlung vieler kleiner Pünktchen auf dem Computer-Bildschirm. Die Intensität dieser Pünktchen gibt die Abstände zwischen den einzelnen Atomkernen wieder.

Damit daraus das dreidimensionale Bild eines Proteins entsteht, ist eine ganze Menge Rechenleistung nötig. "Dass wir dazu handelsübliche Computer benutzen können, verdanken wir unter anderem den Gamern", erklärt Rösch. Nicht zuletzt aufgrund des hohen Rechenanspruchs von Computerspielen habe die Industrie äußerst leistungsfähige Prozessoren entwickelt.

3D-Struktur von Proteinen erklärt Kreuzallergien

Eines der wichtigsten Forschungsthemen am Lehrstuhl ist die Strukturaufklärung von Allergenen, etwa das Protein aus der Birkenpolle, das jedes Frühjahr so vielen Menschen Kummer bereitet. Die 3D-Struktur, die der Computer dafür berechnet hat, sieht aus wie ein zerknülltes Geschenkband mit geraden und gekräuselten Abschnitten. Rösch und seine Mitarbeiter befassen sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Übeltäter. In Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel im hessischen Langen, gelang es den Wissenschaftlern, das Auftreten von Kreuzallergien zu erklären.

Wer etwa gegen Birkenpollen allergisch ist, entwickelt oft auch Allergien gegen Apfel, Kiwi, Karotte, Kirsche oder Haselnuss. "Das liegt daran, dass allesamt eine sehr ähnliche 3D-Struktur besitzen", erklärt Stefan Vieths, PEI-Vizepräsident. Ihm zufolge ist die Strukturaufklärung von Allergenen wichtig - zum einen, um den Mechanismus einer Allergie zu verstehen, zum anderen, um die Hyposensibilisierung zu verbessern. Das ist eine Behandlungsmethode, bei der einem Allergiker stetig steigende Dosen des Allergens verabreicht werden, damit die Immunabwehr des Körpers lernt, dass es ungefährlich ist.

Vieths erklärt: "Wenn wir wissen, welche Strukturen an der Proteinoberfläche für die Allergie verantwortlich sind, können wir maßgeschneiderte Immuntherapeutika entwickeln." Durch sogenanntes "Protein Engineering" könne man die Oberfläche der Proteine im Arzneimittel verändern, um die Wirkung zu erhalten und gleichzeitig Nebenwirkungen zu reduzieren. Vieths zufolge ist es theoretisch auch denkbar, die Allergene in einer Pflanze via Gentechnik unschädlich zu machen. Dann könnten auch Allergiker wieder Tomaten, Kirschen oder Kiwis genießen. Doch einfach sei das nicht, denn meist enthielten Pflanzen verschiedene für Menschen allergisch wirkende Proteine, die für den Pflanzenstoffwechsel oder ihre Stressresistenz eine wichtige Rolle spielen.

Mit "Protein Engineering" in die Zukunft?

Für die Entwicklung der NMR-Spektroskopie erhielten die Wissenschaftler Felix Bloch und Edward Mills Purcell bereits im Jahr 1952 den Nobelpreis für Physik. Nach einem ähnlichen Konzept funktioniert die Magnetresonanztomographie, ein bildgebendes Verfahren, das bereits seit den 1970er Jahren in der Medizin genutzt wird, um Gewebe und Organe im Körper darzustellen. Die Idee, magnetische Kernresonanz zur Strukturaufklärung von Biopolymeren zu nutzen, hatte unter anderem der Schweizer Kurt Wüthrich. Im Jahr 2002 erhielt er für das Verfahren den Nobelpreis für Chemie.

Heute gibt es verschiedene Methoden, mit deren Hilfe man einen Blick auf die kleinsten Bausteine des Lebens werfen kann, etwa die Röntgenkristallographie oder die Elektronenmikroskopie. Dafür müssen die Proteine jedoch stillhalten, entweder in Form von Kristallen oder schockgefrostet. "Die NMR-Spektroskopie ist die einzige Methode, die es erlaubt, Struktur und Dynamik von Proteinen in Lösung zu betrachten", sagt Professor Rösch von der Universität Bayreuth. So könne man beobachten, wie sich Proteine über eine gewisse Zeit verändern oder wie sie mit anderen Proteinen wechselwirken. Man könne beispielsweise untersuchen, ob das Karottenallergen durch Kochen unschädlich wird.

Die Mechanismen, auf welche Art bestimmte Proteine Allergien auslösen, sind bis heute weitgehend unbekannt. "Eine Frage, die wir uns im Augenblick stellen, ist, ob allergene Eigenschaften von Proteinen auch durch daran gebundene kleine Moleküle beeinflusst werden", sagt Rösch. Im Fall des Birkenpollenallergens könnten das sogenannte Flavonoide sein, kleine Moleküle, die in allen Pflanzen vorkommen und die unterschiedlichsten Aufgaben erfüllen.