Studie weist auf vielseitige Mängel in Patientensicherheit hin

Ob Fehldiagnosen oder unzureichende Erhebung der Krankengeschichte: Patientinnen und Patienten wissen eine Menge zu erzählen, wenn es um Mängel der ambulanten medizinischen Versorgung geht.

Unvorhergesehene Schädigungen sind im Krankenhaus nicht selten

Fehldiagnosen, falsche Verschreibung von Medikamenten, unzureichende Erhebung der Krankengeschichte: Betroffene wissen eine Menge zu erzählen, wenn es um Mängel der ambulanten medizinischen Versorgung geht – sofern man sie fragt. Ein Team um den Marburger Gesundheitsversorgungsforscher Professor Dr. Max Geraedts hat das nun erstmals systematisch getan. Befragt wurden 10.000 Bürgerinnen und Bürger, welche Probleme sie bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten erlebt haben. 

Viele Menschen suchen zuerst die Praxis von niedergelassenen Ärztinnen oder Ärzten auf, wenn sie medizinische Hilfe oder Rat benötigen; "trotzdem gibt es so gut wie keine Daten über Probleme mit der Patientensicherheit in der ambulanten Versorgung, weder in der Bundesrepublik noch international", erklärt der Mediziner Max Geraedts von der Philipps-Universität Marburg, der die Studie leitete. Dabei zeigen Schätzungen für den stationären Bereich, dass die Patientensicherheit sehr wohl verbesserungsbedürftig ist: Demnach erleiden 5-10 Prozent aller Krankenhauspatientinnen und -patienten unvorhergesehene Schädigungen.

Wie steht es in der ambulanten Versorgung um die Patientensicherheit? Geraedts und sein Team befragten mittels eines neu entwickelten Erhebungsbogens 10.000 Personen über 39 Jahre, die zufällig ausgewählt worden waren. Das Ergebnis: 14 Prozent der Teilnehmenden berichteten über Probleme, die aufgetreten seien, wenn sie niedergelassene Ärztinnen oder Ärzte konsultierten. Die telefonische Umfrage dokumentiert mehr als 2.500 Einzelfälle.

75 Prozent der Fälle beklagen Verschlechterung des Gesundheitszustands oder lang anhaltende Schmerzen

Bei 61 Prozent davon geht es um unzureichend erhobene Anamnesen oder um unzulängliche Diagnostik. In 75 Prozent der Fälle klagten die Betroffenen über schädliche Folgen wie unnötig lang anhaltende Schmerzen oder die Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, die auf die Probleme bei der Behandlung zurückgingen; bei 35 Prozent der Vorkommnisse kam es demnach zu dauerhaften Schäden, 31 Prozent lösten weitere Arztbesuche, 14 Prozent Notfallbehandlungen und 10 Prozent Krankenhausaufenthalte aus. Auf den Bereich Allgemeinmedizin entfielen 44 Prozent der Patientenberichte, auf Orthopädie 15 Prozent und auf innere Medizin 10 Prozent.

"Unsere Ergebnisse belegen, dass Probleme der Patientensicherheit in der ambulanten Versorgung häufig sind, oft mit Gesundheitsschäden einhergehen und zusätzliche Behandlungen nach sich ziehen", resümiert Geraedts. "Die Ergebnisse können helfen, kritische Situationen zu erkennen und gezielte Maßnahmen zur Vermeidung von Problemen zu entwickeln."

Darüber hinaus zeige die Studie, dass Patientenberichte eine wertvolle Quelle zur Identifizierung von Sicherheitsproblemen seien; sie könnten demnach dazu beitragen, die Patientensicherheit zu verbessern. Diesen Aspekt betont auch das "Aktionsbündnis Patientensicherheit" APS in einer Stellungnahme: Grundsätzlich sei es schwierig, Probleme mit der Patientensicherheit zu erheben, weil die Einschätzung von professionellen Kräften und Betroffenen variiere. "Im Aktionsbündnis sind wir davon überzeugt, dass es von unschätzbarem Wert ist, die Patientinnen und Patienten selbst einzubeziehen, um die Sicherheit in der Versorgung zu bewerten und zu verbessern", sagt Marcel Weigand, Generalsekretär im APS.

Quelle:
Max Geraedts & al.: Patient safety in ambulatory care from the patient's perspective: a retrospective, representative telephone survey BMJ Open (2020), DOI: 10.1136/bmjopen-2019-034617