Unnötige Notrufe können lebenswichtige Einsätze verzögern

Innerhalb von 15 Minuten sollen Rettungsdienste in Baden-Württemberg am Ort sein. Nicht immer schaffen Ärzte das. Gründe dafür sind unter anderem Personalmangel - und ein sprunghafter Anstieg von falschem Alarm.

Rettungsdienste klagen über unnötige Notrufe 

Innerhalb von 15 Minuten sollen Rettungsdienste in Baden-Württemberg am Ort sein. Nicht immer schaffen Ärzte das. Gründe dafür sind unter anderem Personalmangel - und ein sprunghafter Anstieg von falschem Alarm.

Im lebenswichtigen Einsatz der Notärzte geht es um Minuten - und das immer öfter. "Der Rettungsdienst wird immer häufiger zu Notfällen gerufen, die medizinisch nicht als akut einzuschätzen sind", sagt Leander Strate von der Johanniter-Unfall-Hilfe. "Notärzte müssen immer öfter als Notnagel herhalten, wenn Hausärzte oder ärztliche Notdienste nicht mehr funktionieren."

In Baden-Württemberg ordnet ein Gesetz an, dass Rettungsdienste innerhalb von 15 Minuten am Ort sein sollen. "Aber die artfremden Einsätze binden Ressourcen, und das hat auch eine Erhöhung der Versorgungszeiten zur Folge", sagt Strate. Mancher, der 112 wähle, tue dies aus Unkenntnis oder aus der Not heraus, weil die eigentlich zuständigen Strukturen wie der ärztliche Notfalldienst nicht erreichbar sind oder zu lange Wartezeiten haben.

Einsatzfähigkeit erweitert

Als 2015 im Südwesten die Einsatzzeiten ausgeweitet und neue Fahrzeuge in Betrieb genommen wurden - was zusammen etwa 25 zusätzlichen 24-Stunden-Rettungsdienstfahrzeugen entspricht -, begrüßten dies die Helfer mit Nachdruck. Dies trägt aber nicht automatisch dazu bei, dass die 15-Minuten-Frist eingehalten werden kann: "Trotz des massiven Ausbaus von Rettungswagen konnte die Hilfsfrist vielerorts nicht eingehalten werden, da die Anzahl der Einsätze massiv angestiegen ist, häufig in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 50 Prozent", erzählt Daniel Groß vom Arbeiter-Samariter-Bund.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat die gleichen Erfahrungen gemacht. «Die Einsätze in der Notfallrettung haben sich beim DRK in Baden-Württemberg in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 70 Prozent auf rund 803 000 Einsätze in 2015 erhöht», sagt Udo Bangerter vom DRK in Stuttgart. Zudem gebe es eine angespannte Situation beim Fachpersonal im Rettungsdienst. "Diese wird sich in den nächsten fünf bis acht Jahren nur langsam abbauen."

Hohe Qualität der Versorgung

Bangerter betont aber, dass der Rettungsdienst in Baden-Württemberg eine hohe Qualität der Versorgung der Bevölkerung gewährleiste. "In keinem anderen Bundesland gibt es vergleichbare landesweite Bemühungen um eine flächendeckende Optimierung der Qualität im Rettungsdienst. Und aus keinem anderen Flächen-Bundesland ist bekannt, dass der Notarzt schneller beim Patienten ist als in Baden-Württemberg", sagt der Mann vom Deutschen Roten Kreuz.

Dass die Situation bei Notärzten angespannt ist, sagt auch Therese Raatz von der Johanniter-Unfall-Hilfe. "Das gilt nicht in allen Bereichen. Aber grundsätzlich fällt es immer schwerer, qualifizierte Notärzte für die Notfallrettung zu gewinnen", meint sie. Zudem seien Kliniken immer weniger bereit, Ärzte für diese zeit- und kraftintensive Arbeit zur Verfügung zu stellen. Bei Notfallsanitätern sei es außerdem in einigen Regionen schwer, Personal zu finden - etwa in Ballungszentren oder in stark ländlichen Gebieten, sagt Raatz.

Rettungsdienste müssen immer mehr Einsätze fahren

Trotz dieser Personalprobleme müssen die Rettungsdienste immer mehr Einsätze fahren. Das gilt sowohl für den Arbeiter-Samariter-Bund, als auch für das Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und den Malteser-Hilfsdienst. Mit rund 4000 Rettungskräften, mehr als 900 Fahrzeugen, 250 Rettungswachen und 34 Leitstellen stehen sie im Südwesten 365 Tage im Jahr rund um die Uhr zur Verfügung.

"Dass der Zivildienst abgeschafft wurde, macht sich bei uns extrem bemerkbar", sagte vor kurzem Edmund Baur, Landesbeauftragter der Malteser in Baden-Württemberg. Etwa 20 Prozent des jüngeren Personals sei nach Einführung des Freiwilligendienstes weggefallen.

Statistisch gesehen verletzen sich in Deutschland täglich rund 100 Menschen so schwer, dass ihr Leben ernsthaft bedroht ist und sie schnellstmöglich notärztliche Hilfe brauchen. Wen es trifft, für den haben sich die Chancen in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber deutlich erhöht. Überlebten in den 1990er-Jahren nur etwas mehr als 60 Prozent aller Schwerverletzten, sind es heute mehr als 80 Prozent.

Zum Fortschritt beigetragen haben bessere Behandlungsmöglichkeiten - und eine bessere medizinische Versorgung am Unfallort. Dazu muss der Rettungsdienst aber so schnell wie möglich eintreffen.