“Vertrauen kann leicht zerstört werden”

Im Interview erklärt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, mit welchen Mitteln er die Organspendebereitschaft erhöhen will und wie Organspenden künftig in Krankenhäusern organisiert werden solle

Im Interview erklärt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, mit welchen Mitteln er die Organspendebereitschaft erhöhen will und wie Organspenden künftig in Krankenhäusern organisiert werden sollen

 

Herr Minister, eine Repräsentativbefragung der BZgA kommt zu dem Ergebnis, dass 48 Prozent der Menschen zwischen 14 und 75 Jahren ihr Vertrauen in das Organspendesystem verloren haben. Diese Entwicklung ist eine Folge der Manipulationen von Patientendaten an mehreren Kliniken in Deutschland, die im Jahr 2012 bekannt wurden. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen?

Gröhe: Vertrauen kann leicht zerstört werden und ist nur mühsam wieder herzustellen. Das gilt im persönlichen Umfeld genauso wie in der Politik oder der Medizin. Es gibt keinen Schalter, den man einfach umlegt und das Vertrauen kehrt zurück. Deshalb haben wir eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen, die deutlich machen: Wir haben Konsequenzen gezogen. Transplantationszentren werden inzwischen engmaschiger kontrolliert. Entscheidungen über die Aufnahme auf die Warteliste werden nicht mehr von einzelnen Ärzten getroffen, sondern von Transplantationskonferenzen mit mindestens drei beteiligten Medizinerinnen und Medizinern. Darüber hinaus haben wir die Rolle der Transplantationsbeauftragten gestärkt. Manipulationen an Patientendaten sind mittlerweile ein Straftatbestand. Wir müssen weiterhin an der hohen Qualität der Transplantationsmedizin arbeiten und natürlich auch darüber informieren. Dazu gehört auch, dass wir ein Transplantationsregister schaffen wollen, um die Patientensicherheit und die Qualität zu sichern.

Welche Bedeutung hat die Aufklärung für den Prozess der Organspende?

Gröhe: In einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, das aus gutem Grund auf die Freiwilligkeit der Organspende setzt, ist Aufklärung der entscheidende Schlüssel. Es geht darum, den Menschen die Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um ihre persönliche Entscheidung zu treffen – für oder gegen eine Organspende. Drei Viertel der Bevölkerung geben in Befragungen an, dass sie eine grundsätzlich eine positive Einstellung zur Organspende haben. Trotzdem ist die traurige Wahrheit: Alle acht Stunden stirbt ein Mensch, für den kein passendes Organ zur Verfügung steht. Häufig geschieht dies, weil wir keine Entscheidung für oder auch gegen eine Organspende treffen. Das heißt umgekehrt: Jeden Tag könnten drei Menschenleben gerettet werden. Es könnten jeden Tag drei todkranken Menschen noch viele schöne Lebensjahre geschenkt werden. Deswegen ist es so wichtig, die Aufklärung im Alltag der Menschen zu verankern. Dazu tragen die regelmäßige Aussendung der Organspendeausweise durch die Krankenkassen, aber auch Plakate oder Kinospots bei. Am Tag der Organspende findet jedes Jahr eine Veranstaltung mitten in der Stadt statt wie in diesem Jahr in der Stuttgarter Fußgängerzone. Das Thema Organspende soll möglichst viele Menschen zu Hause, am Arbeitsplatz und in alltäglichen Lebenssituationen persönlich erreichen. Dabei helfen uns auch Menschen, die durch ein gespendetes Organ eine Chance auf eine gute Zukunft erhalten haben, die sich öffentlich äußern, ihr Schicksal mitteilen und zum Nachdenken anregen.

Nach wie vor treffen die meisten Menschen keine Entscheidung zur Organspende. Daher müssen die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden: Wie kann man die Angehörigen unterstützen, eine tragfähige Entscheidung zu treffen?

Gröhe: Jeder Betroffene hilft seinen Angehörigen durch einen Organspendeausweis oder ein Gespräch über das Thema Organspende, in dessen Verlauf die Einstellung klar wird. Die Aufgabe der Verantwortlichen in den Krankenhäusern besteht darin, mit den Angehörigen von Verstorbenen, die für eine Organspende infrage kommen, in der gebotenen Weise respektvoll und mitfühlend zu reden. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wie der Verstorbene selbst entschieden hätte. Das Gespräch findet in einer Situation höchster emotionaler Belastung und Trauer statt. Das ist eine große Herausforderung auch für die Verantwortlichen in den Krankenhäusern. Wir haben gerade deswegen die Position der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken gestärkt. Zu deren Aufgaben zählt der Dialog mit den Angehörigen von potenziellen Spendern.

Manche Bürger sind verunsichert, weil es ein Spannungsverhältnis von Organspendebereitschaft und Patientenverfügung gibt. Viele lehnen künstlich lebensverlängernde Maßnahmen ab. Diese sind aber in einem gewissen Umfang für die Organspende erforderlich. Widersprechen sich Organspendebereitschaft und Patientenverfügung?

Gröhe: In aller Regel werden sie sich nicht widersprechen. Denn der Patientenwille bezieht sich auf den Zeitpunkt, zu dem eine Behandlung gegebenenfalls abgebrochen und nicht weiter mit lebensverlängernden Maßnahmen um das Leben eines Patienten gerungen werden soll. Bei der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Organen nach dem Hirntod geht es um etwas anderes. Dennoch ist es ratsam, auch im Rahmen der Patientenverfügung ausdrücklich zu vermerken, ob man sich zur Organspende bereit erklärt. Überdies ist es sinnvoll, im Fall einer Patientenverfügung die verschiedenen Informationsangebote zu nutzen, das Gespräch mit den Ärzten zu suchen und gegebenenfalls über eine Vorsorgevollmacht einen engen Angehörigen zu beauftragen, falls es Interpretationsspielraum gibt.

Ist der Ausbau der Lebendspende geeignet, um die Situation der Patienten auf der Warteliste zu verbessern?

Gröhe: Die Lebendorganspende ist engen Angehörigen und Personen vorbehalten, die sich in besonderer persönlicher Verbundenheit nahestehen. Wir müssen stets bedenken, dass sie in jedem Fall ein erheblicher Eingriff am gesunden Menschen ist. Aus diesem Grunde bleibt die postmortale Organspende vorrangig. Nur wenn über diesen Weg kein Spenderorgan gefunden wird, kann ein Mensch einem anderen Menschen durch seine Bereitschaft zur Lebendspende helfen.

Welche Rolle spielen die Entnahmekrankenhäuser? Wie muss sich die Situation in den Krankenhäusern ändern, damit Menschen wieder Vertrauen in die Transplantationsmedizin haben?

Gröhe: Es hat sich bereits viel verändert. Wichtig ist, dass den Patienten und ihren Angehörigen die Angst genommen wird, es werde nicht alles getan, ein Leben zu retten. Die Behandlung eines schwer erkrankten Menschen ist stets darauf gerichtet, alles zu tun, um dieses Leben zu retten.

Können Sie noch einmal kurz zusammenfassen, welche Rolle den Transplantationsbeauftragten der Kliniken zukommt?

Gröhe: Die Transplantationsbeauftragten haben eine ganz wichtige Bedeutung. Deshalb haben wir ihre Stellung bewusst gestärkt. Sie sind besonders qualifiziert und übernehmen eine zentrale Rolle im gesamten Prozess und seiner Gestaltung in der Klinik. Sie sind nicht zuletzt für die Begleitung von Angehörigen von Spendern verantwortlich aber auch dafür, dass ärztliches und pflegerisches Personal über die Bedeutung der Organspende regelmäßig informiert werden.

Ab dem 1. November 2014 werden gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungen alle Versicherten ab dem 16. Lebensjahr erneut zu einer persönlichen Entscheidung zur Organentnahme auffordern und Organspendeausweise zusammen mit Aufklärungsunterlagen versenden. Welche Erkenntnisse haben Sie über den bisherigen Erfolg dieser Regelung?

Gröhe: Der Deutsche Bundestag hat sich einstimmig für die Entscheidungslösung ausgesprochen. Die Aussendeaktion, mit der die Versicherten aufgefordert werden eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende zu dokumentieren, hat bisher einmal stattgefunden. Sie zielt darauf ab, Menschen gut zu informieren und zur Entscheidung aufzufordern. Es ist gut, dass alle gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen mitgemacht haben. Die Befragung ist für viele Menschen ein wichtiger Impuls, einen Organspendeausweis auszufüllen. Mancher trägt sich schon länger mit dem Gedanken, aber der entscheidende Anstoß hat bislang gefehlt. Die direkte Ansprache und Information kann hier helfen. Es geht darum, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und die persönliche Entscheidung in einem Organspendeausweis zu dokumentieren. Das kann für die Angehörigen in einer schwierigen Situation eine große Entlastung sein. Nach der letzten Aussendeaktion hat sich die Zahl der Menschen, die einen Organspendeausweis haben, von 22 auf 28 Prozent erhöht. Diesen Weg müssen wir weiter gehen.

Bedeutet diese Entwicklung, dass Sie schon einschätzen können, dass die Aktion erfolgreich sein wird?

Gröhe: Ich halte es für wichtig, dass die Aussende-Aktion regelmäßig stattfindet. Denn die Bereitschaft zur Organspende kann sich in unterschiedlichen Lebensphasen auch verändern. Über Organspende zu sprechen, heißt auch immer, sich mit dem eigenen Tod zu befassen. Das ist nicht leicht. Gleichzeitig wissen wir, dass auch wir selbst einmal in die Situation kommen könnten, durch einen Unfall oder eine Krankheit auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen. Eine Organspende ist eine Möglichkeit, ein Geschenk aus Liebe zum Leben über das eigene Leben hinaus zu machen. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nur einmal sondern in regelmäßigen Abständen Menschen informieren und zu einer Entscheidung auffordern.

Haben Sie selbst einen Organspendeausweis?

Gröhe: Ja, und ich trage ihn bei mir.

Haben Sie mit Ihrer Familie über Ihre Entscheidung gesprochen?

Gröhe: Darüber haben wir innerhalb der Familie diskutiert. Ich halte es für wichtig, in der Familie offen über dieses Thema zu sprechen. Mein ältester Sohn hat mir dann irgendwann auch seinen ausgefüllten Organspendeausweis gezeigt.

Haben Sie auch über die Familie hinaus im Freundeskreis schon über Organspende gesprochen?

Gröhe: Ich habe selbst eine gute Bekannte, die nach einer erfolgreichen Nierentransplantation nun schon mehrere Jahre wieder ein gutes Leben führen kann. Insofern ist das Thema auch im Freundeskreis immer wieder präsent.

Interview von www.organpaten.de
Foto Copyright: Bundesregierung / Steffen Kugler