Warum ein Kaiserschnitt nicht der Normalfall werden sollte

Von Bodo Müller Etwas jedes dritte Baby kommt heute auf dem OP-Tisch zur Welt. Werdende Eltern sollten genau abwägen, welche Art der Geburt für sie die richtige ist. Etwa jedes dritte Baby kommt hi

Von Bodo Müller
Etwas jedes dritte Baby kommt heute auf dem OP-Tisch zur Welt. Werdende Eltern sollten genau abwägen, welche Art der Geburt für sie die richtige ist.

Etwa jedes dritte Baby kommt hierzulande auf dem OP-Tisch per Kaiserschnitt (Sectio) zur Welt – vor 20 Jahren waren es nur rund 16 Prozent. Ein hoher Anteil davon hätte aus medizinischer Sicht auch als natürliche Geburt erfolgen können; Studien sehen nur in 10-15 Prozent der Fälle eine zwingende Notwendigkeit für einen Kaiserschnitt. Beckenendlage, extreme Frühgeburt oder Zwillinge könnten solche Gründe sein. Absurd mutet es an, wenn werdende Mütter die Art der Geburt nach Kriterien bestimmen, seien es das perfekte Geburtsdatum wie der 12.12.2012, die eigene Hochzeit oder ein zeitlich perfekt terminierter beruflicher Wiedereinstieg. Das Geburtsverfahren sollte vorrangig aufgrund von medizinischen Gründen ausgewählt werden. Der Kaiserschnitt ist die Alternative zur natürlichen Geburt und nicht anders herum.

Mehr Kaiserschnitte in Ballungsräumen

Eine im Jahr 2012 vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass die Kaiserschnitt-Raten regional sehr unterschiedlich sind. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es mit meist unter 20 Prozent deutlich weniger OPs als in westdeutschen Ländern wie Rheinland-Pfalz, Bayern und Niedersachsen, wo teilweise mehr als jede zweite Geburt ein Kaiserschnitt ist. In Städten ist die Sectio-Rate generell höher als in ländlichen Gebieten. Warum?

Rein medizinische Erklärungen greifen hier zu kurz. Neben der Angst der Frau beziehungsweise des Paares vor den Schmerzen und dem Gefühl des „lost-control“ spielen soziologische und gesellschaftliche Aspekte eine Rolle: Das eigene Umfeld, in dem möglicherweise mit Kaiserschnitten bereits gute Erfahrungen gemacht wurden. Persönliche Einstellungen wie medizinischer Fortschrittsglaube gegenüber einem Hang nur Natürlichkeit in kleineren Städten. Karrierechancen, die in Ballungsräumen besser sind als auf dem Land. Die Beratung durch einen Arzt, der sich in Großstädten für fortschrittlicher hält, weil er zum Kaiserschnitt rät. Eine weitere Facette bringt eine Zahl aus Rio de Janeiro in Brasilien ins Spiel: Die Rate der Kaiserschnittgeburten unter wohlhabenden Frauen liegt bei über 85 Prozent. Hier geht es neben der Angst und Unsicherheit offenbar um Wohlstandsdemonstration und eine Ich-kann-es-mir-leisten-Attitüde.

Entscheidung von Mutter, Vater und Arzt

Bei Geburten gibt es keinen Königsweg. Es ist eine individuelle Entscheidung von Mutter und Vater. Der Arzt sollte vorrangig die medizinischen Gründe abwägen. Ein Kaiserschnitt bietet fraglos eine höhere Planbarkeit. Die Schmerzen sind regulierbar. Auch die früher häufig angeführten ästhetischen Gründe – eine Narbe im Schambereich – ist kein Grund mehr, sich nicht für eine Sectio zu entscheiden. Moderne Operationsverfahren und die plastische Chirurgie können eine Narbe fast vollständig verschwinden lassen.

Unterschätzen sollten Frauen allerdings nicht die emotionale Komponente einer natürlichen Geburt, die das Verhältnis zum Kind entscheidend prägen kann. Ärzte sollten auch darüber in ihren Beratungsgesprächen aufklären. Viele Frauen bezeichnen die natürliche Geburt trotz all der Schmerzen als den schönsten Moment ihres Lebens, was auch an den ausgeschütteten Hormonen liegt. Durch die natürliche Geburt wird die Mutter-Kind-Bindung gestärkt, während beim Kaiserschnitt sich bei Frauen häufiger Beklemmung und eine gewisse Traurigkeit einstellen, weil der eigentliche Geburtsprozess fehlt.

Über Dr. Bodo Müller

Dr. Bodo Müller ist Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe im Vivantes-Klinikum Berlin Hellersdorf. Gleichzeitig ist er Gründer von esanum.


Foto: “Ich bin schwanger”. Shared by Thomas Pompernigg.

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