Was ein Rauchstopp bei Multipler Sklerose bewirken kann

Die negativen Auswirkungen des Rauchens bei MS sind hinlänglich bekannt. Neue Daten des britischen MS-Registers liefern weitere Motivation zum Aufhören.

Hat weniger Rauchen positive Folgen bei MS?

Die negativen Auswirkungen des Rauchens bei MS sind hinlänglich bekannt, aber bis dato gab es weniger Daten dafür, wie günstig sich ein Rauchstopp auf die Progression auswirken kann. Neue Daten des britischen MS-Registers liefern Motivation zum Aufhören.

Manchmal zweifeln wir vielleicht, ob es sich wirklich lohnt, das Thema Rauchstopp in der Klinik oder Praxis anzusprechen und wir kennen die (zunächst) antagonisierende Wirkung, die dies auf bestimmte Personen haben kann. Aber das Gespräch darauf zu lenken, kann für manche Personen den entscheidenden Impuls darstellen, was Leserkommentare wie dieser auf einer MS-Plattform unterstreichen:
"Ich bin auf jemanden gestoßen, bei dem kürzlich die Diagnose gestellt wurde, und alles, was er brauchte, um aufzuhören, war ein Arzt, der ihm bei der Diagnose sagte, warum er aufhören sollte. Was ein Arzt sagt, kann einen großen Einfluss haben."1

Proentzündliche Wirkung von Zigarettenrauch bei MS

Rauchen wirkt sich über verschiedene Mechanismen auf den Verlauf einer MS aus.
Dazu gehört, dass es das Zahlenverhältnis zwischen Untergruppen von Leukozyten in Richtung chronischer Entzündung verschiebt. Unter anderem kann es die Zahl der klassengeswitchten (und somit proinflammatorischen) B-Zellen erhöhen.2 Die relativen Häufigkeiten von Immuneigenschaften, die mit aktivem Rauchen assoziiert sind, normalisieren sich in der Regel nach dem Rauchstopp wieder vollständig, mit Ausnahme von Untergruppen von CD8+ und CD8+ Gedächtnis-T-Zellen, die teilweise verändert bleiben.

Ein wichtiger Bestandteil des Zigarettenrauchs ist zudem das Aldehyd Acrolein. Mechanismen seiner Toxizität umfassen DNA- und Proteinveränderungen, oxidativen Stress, mitochondriale Störungen, Membranschäden, Störungen des endoplasmatischen Retikulums und Immundysfunktion. Eine Exposition mit Acrolein ist in Studien neben MS auch mit M. Alzheimer, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus sowie Neuro-, Hepato- und Nephrotoxizität in Verbindung gebracht worden.3

Antworten aus 781.000 Fragebögen im britischen MS-Register

Das MS-Register Großbritanniens besteht seit 2011. Die Patienten werden halbjährlich eingeladen, Fragen zu Motorik, Stimmung und Behandlungsstatus zu beantworten (bspw. EDSS, HADS). Auf diese Weise sind bereits 781.000 ausgefüllte Fragebögen zusammengetragen worden. Eine neue Auswertung verglich 7.983 Nieraucher, Exraucher und aktive Raucher in Bezug auf ihren Erkrankungsverlauf.1,4

Die Häufigkeit des Rauchens unter MS-Patienten entsprach leider dem landesweiten Durchschnitt. Etwa die Hälfte (51,7%) von ihnen hatte früher geraucht oder rauchte aktuell (davon 16,5% aktuelle Raucher und 68,2% ehemalige Raucher).

Nichtrauchen oder Rauchstopp spiegeln sich messbar positiv im Erkrankungsverlauf wider

Im Vergleich zu Nichtrauchern war eine Verschlechterung der motorischen Funktion und der Gehstrecke bei den Rauchern evident. Selbst im Vergleich zu leichten Rauchern (< 7 Zigaretten pro Tag) erlebten starke Raucher (alle, die > 13 Zigaretten pro Tag rauchen) eine beschleunigte Zunahme der körperlichen Behinderung. Auch Ängste traten bei derzeitigen Rauchern gehäuft auf und besserten sich ebenfalls mit der Raucherentwöhnung. 

Eine der vielleicht wichtigsten Botschaften: ein Rauchstopp resultierte in einem Erkrankungsverlauf, der im Schnitt dem der Nichtraucher glich. Hörten Raucher also mit dem Rauchen auf, verlangsamte sich die Progression der motorischen Behinderung und erreichte die Geschwindigkeit des motorischen Rückgangs von Menschen, die nie geraucht hatten. 

Fazit: Raucherstatus von MS-Patienten im Fokus

"Diese Zahlen machen deutlich, dass Neurologen Zeit investieren müssen, um das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen des Rauchens auf den Krankheitsverlauf der MS zu schärfen. Ein erster Schritt wäre die systematische Abfrage des Raucherstatus in den Kliniken und die Zusammenarbeit mit Kliniken für Raucherentwöhnung" schließt Dr. Ide Smets, MS-Spezialistin am Barts and The Royal London Hospital.1
"Es wäre eine gute Idee, in den MS-Leitlinien mehr Gewicht auf Lebensstilmaßnahmen wie die Raucherentwöhnung zu legen."

Referenzen:
1. Smets, I. Improving MS outcomes: The smoke in our eyes! The MS-Blog https://multiple-sclerosis-research.org/2022/01/improving-ms-outcomes-the-smoke-in-our-eyes/ (2022).
2. Piaggeschi, G. et al. Immune Trait Shifts in Association With Tobacco Smoking: A Study in Healthy Women. Frontiers in Immunology 12, 512 (2021).
3. Moghe, A. et al. Molecular mechanisms of acrolein toxicity: relevance to human disease. Toxicol Sci 143, 242–255 (2015).
4. Rodgers, J. et al. The impact of smoking cessation on multiple sclerosis disease progression. Brain awab385 (2021) doi:10.1093/brain/awab385.