Wie die DNA-Diagnostik begann: Der Mordfall Colin Pitchfork

1983 und 1986 tappte die britische Polizei bei zwei ähnlichen Mordfällen im Dunklen und fand keinerlei Spuren. Der Genetiker Dr. Alec Jeffreys tat das sehr wohl. Seine Methode des Restriktionsfragment-Längenpolymorphismus kennt man heute als genetischen Fingerabdruck.

Die Erleuchtung kam am frühen Morgen in der Dunkelkammer

Am 15. September um 9 Uhr morgens arbeitete Alec Jeffreys in der Dunkelkammer und untersuchte die Evolution des Gens für das Sauerstoff-Transportprotein im Muskel, Myoglobin, und hatte nach einer Gelelektrophorese dafür entsprechende Abschnitte von DNA fotografiert. Jeffreys schaute auf die frisch entwickelte Filmaufnahme: Sie zeigte die DNA in mehreren Banden, die wie Strichcodes auf Verpackungen aussehen. "Mein Gott", soll er gedacht haben, "was haben wir denn hier?" Ganz unterschiedliche Muster, und zwar so einzigartig, daß jeder Mensch damit identifiziert werden könnte. Nur wenige Stunden später gaben Jeffreys und seine Kollegen der Zufallsentdeckung den Namen "genetischer Fingerabdruck" (genetic fingerprint).

DNA aus Spermaspuren wurde isoliert, um das DNA-Profil des Mörders zu rekonstruieren. 5.000 Männer von 16 bis 34 ohne Alibi wurden zu einer Blutprobe gebeten. Natürlich nahm die Polizei an, dass der Mörder sich nicht freiwillig untersuchen lassen würde. Das passierte auch eher zufällig. Im August 1987 erzählte eine Frau aus einer Bäckerei der Polizei, dass einer ihrer Kollegen erzählt habe, er habe sein Blut anstelle eines anderen abgegeben, um ihm zu helfen. Als Ian Kelly befragt wurde, leugnete er das nicht. Sein Kumpel, der 27-jährige Colin Pitchfork (geb. 1960), hatte ihm weisgemacht, er habe sein Blut bereits für einen anderen abgegeben, der in der Klemme steckte.

Der wahre Grund: Er selbst war der Mörder

Im Januar 1988 bekannte sich Pitchfork schuldig und bekam eine lange Gefängnisstrafe. Er kann frühestens 2023 entlassen werden. Pitchfork war der erste Mörder in der menschlichen Geschichte, der mit seiner DNA überführt wurde. 

Ein geistig verwirrter 19-jähriger Mann, Rodney Buckley, hatte sich zuvor schuldig bekannt, Dawn Ashworth getötet zu haben. Er wurde auf freien Fuß gesetzt, denn seine DNA stimmte absolut nicht mit der Sperma-DNA am Tatort überein. Buckley war wiederum der erste Verdächtige in der menschlichen Geschichte, der aufgrund einer DNA-Analyse freigesprochen wurde.

DNA-Tests als Beweismittel

1987 wurden in den USA und England DNA-Tests erstmals offiziell als Beweismittel zugelassen. Die britische landesweite DNA-Datenbank enthält etwa 700.000 DNA-Profile und wurde bisher in 75.000 Ermittlungen genutzt, etwa 500-mal pro Woche. Bei 10.000 Vergewaltigungsfällen zwischen 1989 und 1996 konnten 25% der zuerst Verdächtigten durch DNA-Analysen ausgeschlossen werden.

Es zeigte sich, daß auch Augenzeugen oft irren, so wie auch die US-Justizbehörde: Das Innocence Project (Projekt Unschuld) des New Yorker Anwalts Barry Scheck (geb. 1949) nennt die DNA die "Goldwaage der Unschuld" und konnte seit 1992 immerhin 375 Unschuldige durch DNA-Analyse aus dem Gefängnis holen, darunter 15 Todeskandidaten. Scheck sagt, von jeweils 7 Menschen, die in den USA hingerichtet werden, sei mindestens einer unschuldig. Scheck verteidigte auch O.J. Simpson (s.weiter im Text). Alec J. Jeffreys wurde ob seiner Verdienste um die Menschheit von der britischen Queen in den Adelsstand erhoben.

Fingerabdrücke wurden seit 1992 zur Identifizierung genutzt

Sogar eineiige Zwillinge haben unterschiedliche Fingerabdrücke. Der Fall des US-Footballstars O. J. Simpson (geb. 1947) machte das molekulare DNA-Fingerprinting weltweit medienwirksam bekannt. Der vermutliche Mörder Simpson konnte allerdings schließlich nicht überführt werden. Aber eigentlich nur, weil bei der Sammlung der Indizien von der US-Polizei notorisch geschlampt wurde und weil seine cleveren Anwälte die Ankläger in Widersprüche verwickelten. Der praktisch vernichtende Beweis ging dabei völlig unter.

Beim politischen Mord an der schwedischen Außenministerin Anna Lindh (1957-2003)  hatte, anders als im ungelösten Mordfall Olof Palme (1927-1986), die Polizei die Tatwaffe sichergestellt – ein Messer. Reale Fingerabdrücke wurden darauf zwar keine gefunden, wohl aber genetische: Hautpartikel, DNA. Ebenso schnell war 2005 die DNA-Fahndung beim Mord am Münchner Modezar Rudolf Moshammer (geb. 1940) erfolgreich. Alle Täter wurden eindeutig durch DNA-Analyse überführt.

Die DNA zweier Menschen unterscheidet sich nur um 0,1%. Bei nichtverwandten Menschen findet sich also etwa alle 1.000 Basen einmal ein geänderter Buchstabe. Dieser Unterschied reicht jedoch aus, um einen "genetischen Fingerabdruck" anzufertigen, der unverwechselbar ist. Interessant ist, dass der genetische Unterschied zwischen Menschen von verschiedenen Kontinenten kleiner ist, als man bislang annahm: Am Ende kann ein einzelner Afrikaner einem einzelnen Europäer oder Asiaten genetisch ähnlicher sein als einem anderen Afrikaner.