Wochenrückblick Gesundheitspolitik: Krankenhaus Rating Report zeigt Reformbedarf

Der Krankenhaus Rating Report 2024 zeigt, dass ohne tiefgreifende Reformen die Insolvenzgefahr für deutsche Kliniken bis 2030 dramatisch steigen wird. Zudem hat China seine Innovationskraft in der Pharma- und Biotechnologie auf US-Niveau gehoben.

Krankenhaus Rating Report verweist auf dringenden Reformbedarf

Ohne die Maßnahmen des Krankenhausverbesserungsgesetzes würde der Anteil der Kliniken im roten Bereich (erhöhte Insolvenzgefahr) von 10 Prozent in 2022 und 14 Prozent in 2023 auf 48 Prozent im Jahr 2030 wachsen. Zugleich würde die Rate der Konzerne, die Verluste schreiben, von 30 Prozent in 2022 auf 70 Prozent bereits in diesem Jahr steigen. Die Reformmaßnahmen reduzieren dagegen das Risiko, in große Insolvenzgefahr in 2030 zu geraten, um die Hälfte auf 24 Prozent.

Das sind Ergebnisse des Krankenhaus Rating Reports 2024, der vom RWI Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung und dem Institute for Healthcare Business auf Basis von 489 Jahresabschlüssen 2022 erstellt wurde. Die Datenlage zeigt: Nach kurzer Erholung im Vorjahr hat sich wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser wieder verschlechtert. Die Fallzahl stieg geringfügig um 0,8 Prozent und verharrt weiterhin deutlich unter Vor-Corona-Niveau. Die Fördermittel der Länder für Investitionen stiegen zwar um 8 Prozent auf 3,55 Milliarden Euro, notwendig wären aber mindestens 5,9 Milliarden Euro, mit Uniklinken 6,8 Milliarden Euro. Die Ertragslage ist zu schlecht, als dass Substanzverluste vermieden werden könnten. Kliniken in den östlichen Bundesländern sind am besten aufgestellt, am schlechtesten in Bayern und Baden-Württemberg. Die Ertragslage größerer Kliniken, Ketten und mit hohem Spezialisierungsgrad ist überdurchschnittlich gut. 

Zwischen Juni 2022 und März 2024 kam es zu 47 Klinikinsolvenzen, 7 Standorte wurden inzwischen geschlossen.

Zwischen 2015 und 2022 stieg die Zahl der Mitarbeiter um 11 Prozent, der Zuwachs wird jedoch teilweise kompensiert durch mehr Teilzeitarbeit. Besonders bei Ärzten stieg der Anteil der Teilzeitarbeit signifikant von 22 auf 32 Prozent.  

Unterdessen hat der Bundestag am Donnerstag in erster Lesung das Krankenhausverbesserungsgesetz beraten und in die Ausschüsse verwiesen. Ausdrücklich begrüßt wird das Reformpaket insbesondere vom Verband der Uniklinika, hingegen steht die Deutsche Krankenhausgesellschaft den Reformmaßnahmen überaus kritisch gegenüber. Für dringend erforderlich gehalten wird aber auch eine zügige Reform der Notfallversorgung, die ebenfalls in Arbeit ist. 

Beispielhaft für die Herausforderungen der Kliniken ist der Berliner Vivantes-Konzern. Langfristig plant die Klinikleitung, die Zahl der Betten um ein Viertel abzubauen, sieht aber den Aufbau entsprechender ambulanter Behandlungskapazitäten als Voraussetzung dafür. Offen ist derzeit, wie dieser mit Investitionen verbundene Transformationsprozess finanziert werden soll. Bei einem Defizit von 130 Millionen Euro (2023) und einem Erlös von 1,5 Milliarden Euro kann Vivantes dies aus eigener Kraft nicht stemmen, zumal die Erlöse aus ambulanter Behandlung eben gerade kostendeckend aber nicht gewinnbringend sind. Ebenso offen ist die Finanzierung von Ausbildungskapazitäten für eigenes Pflegepersonal: Die dazu erforderlichen Investitionen von 340 Millionen Euro sind in keiner Finanzplanung enthalten. 

Sozialabgabenlast: 2030 bei nahe 50 Prozent?

Der Anteil der Sozialabgaben an den Einkommen abhängig Beschäftigter könnte von 40 Prozent in 2021 auf nahezu 50 Prozent im Jahr 2030 steigen. Das prognostiziert das Berliner IGES-Institut auf Basis einer Projektion im Auftrag der DAK Gesundheit. Bereits seit 2021 sei die Beitragslast für Arbeitgeber und –nehmer bis jetzt um 1,7 Punkte gestiegen, ohne Finanzreformen der Sozialversicherungen werde die Beitragslast 2030 48,6 Prozent erreichen. Beteiligt sind daran alle Sozialversicherungszweige: die Rente, weil das Nettorentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken soll, die gesetzliche Krankenversicherung, die derzeit Defizite schreibt und  zusätzlich den Krankenhaus-Transformationsfonds mit 25 Milliarden Euro mitfinanzieren soll, und die Pflegeversicherung insbesondere als Folge der demografischen Entwicklung. In der GKV müssten die Beitragssätze von derzeit durchschnittlich 16,3 auf 16,9 Prozent  im nächsten Jahr steigen. Das ist der historisch höchste Beitragszuwachs.

Prävention: Erstmals mehr als 600.000 Koloskopien

Die Zahl der Darmkrebs-Vorsorgekoloskopien hat im vergangenen Jahr 611.249 erreicht, ein Zuwachs von 8,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, meldet die Felix-Burda-Stiftung unter Berufung auf Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Einen Schub hat aus Sicht der Stiftung das Mitte 2019 eingeführte Einladungsverfahren und die Absenkung des Anspruchsalters für Männer verursacht. Infolgedessen sanken die Koloskopiezahlen auch während der Pandemie nicht. Eine positive Bilanz zieht auch der Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen: seit Einführung der Vorsorge-Koloskopie 2002 habe sich die Zahl der Darmkrebs-Neuerkrankungen von mehr als 72.000 auf 54.770 vermindert, die Zahl der tödlichen Darmkrebs-Erkrankungen sank von 32.000 auf 23.000 (2021).

Pharma- und Biotech: Innovationskraft Chinas inzwischen auf US-Niveau

Gemessen an der Zahl der Patentanmeldungen hat China im Bereich der Pharma- und Biotechnologie inzwischen die bislang führenden USA erreicht und damit diese Branche als weltweit strategische Wachstumsindustrie aufgebaut. Das geht aus dem jüngsten vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen erstellten MacroScope Economic Policy Brief hervor. Im Bereich Pharma, in dem China bis 2000 nur eine marginale Rolle spielte, hat sich die Zahl der Patentanmeldungen exponentiell entwickelt und überschritt mit fast 44.000 im Jahr 2015 deutlich die der USA von 31.000. Seitdem liefern sich die beiden Großmächte in dem Sektor ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In der EU ist die Zahl der Pharma-Patentanmeldungen sei 2005 hingegen rückläufig: von 21.000 auf zuletzt 15.000. In Deutschland hat sich die Zahl der neuen Pharmapatente im gleichen Zeitraum auf 3.400 halbiert.

Noch rasanter verlief die Entwicklung Chinas im Biotech-Sektor: Von nahe Null im Jahr 2000 steigerte die Großmacht die Zahl der Patentanmeldungen auf 27.000 und übertraf damit ebenfalls die USA. Ein wichtiger Grund für diese Technologieerfolge sei die massive Förderpolitik für die Industrie durch die chinesische Regierung, zuletzt mit dem industriepolitischen Programm "Made China in 2025", das mit 1,6 Billionen Euro dotiert ist. China, das weltweit neben Indien bereits den Markt mit generischen Wirkstoffen dominiert, hat somit in den vergangenen 20 Jahren ein zweites Standbein im Bereich der Hochtechnologie-Medizin aufgebaut und als künftige Wachstumsindustrie aufgestellt.

GLP-1-Rezeptoragonisten: EMA mahnt zu sorgsamer Indikationsstellung

Angesichts des Nachfragebooms von neuartigen GLP-1-Rezeptoragonisten, die neben der Behandlung von Diabetes auch zur Senkung des Körpergewichts eingesetzt werden können, ist es aufgrund bestehender begrenzter Produktionskapazitäten der Hersteller Novo Nordisk und Lilly zu anhaltenden Lieferengpässen gekommen. Als Ursache nennt die Europäische Arzneimittelagentur EMA in Amsterdam, die die Zulassung und Machtüberwachung europaweit organisiert, auch eine unkritische Verordnungspraxis von Ärzten, die die Arzneimittel Menschen ohne krankhafte Adipositas verschreiben. Deshalb hat die EMA-Lenkungsgruppe für Arzneimittelknappheit und Arzneimittelsicherheit einen Empfehlungskatalog veröffentlicht:
 

STIKO empfiehlt RSV-Impfung – Kinderärzte sehen Nachbesserungsbedarf  

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat die Entscheidung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für eine RSV-Prophylaxe mit Nirsevimab bei Säuglingen grundsätzlich begrüßt, sieht aber die Notwendigkeit, die Bedingungen für die Praxis deutlich zu flexibilisieren. RSV-Infektionen hätten die Pädiaterpraxen in den vergangenen Wintern an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht, die RSV-Impfung solle daher eine Abhilfe schaffen. Die Empfehlung der STIKO sieht vor, Säuglinge, die zwischen Oktober und März geboren werden, möglichst rasch, aber am besten innerhalb der ersten Lebenswoche zu impfen. In Anbetracht der bestehenden Belastungen für die Praxen sei dieses Zeitfenster zu knapp bemessen. Realistischer sei ein Impfzeitpunkt bis zu U3 und der fünften Lebenswoche. Notwendig sei ein weiter gefasstes Zeitfenster auch wegen des hohen Beratungsaufwands bei der neu eingeführten Impfung. Außerdem sei eine ausreichende Vergütung für diese zusätzliche Leistung erforderlich.

Personalie:

Stefanie Stoff-Ahnis (48) ist für weitere sechs Jahre im Vorstand des GKV-Spitzenverbandes bestätigt worden. Der Verwaltungsrat beförderte sie außerdem zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden und Nachfolge des zum 30. Juni ausgeschiedenen Vorstandsmitglied Gernot Kiefer. Über dessen Nachfolge ist noch nicht entschieden. Die Entscheidung darüber ist deshalb etwas komplex, weil dem Vorstand einerseits eine Frau angehören muss, darüber hinaus die verschiedenen Kassenarten in der Vorstandsbesetzung berücksichtigt werden müssen. Die Vorstandschefin Doris Pfeiffer, die im nächsten Jahr ausscheidet, kommt aus dem Ersatzkassenlager, Stoff-Ahnis von der AOK und Kiefer aus der IKK. Eine Entscheidung über Kiefers Nachfolge impliziert, dass bekannt ist, aus welchem Kassenlager und welchen Geschlechts der/die Nachfolger(in) Pfeiffers ist.