Wochenrückblick Gesundheitspolitik: Gesundheitssektor in der Krise?

Insolvenzen treffen derzeit immer mehr Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, während niedergelassene Ärzte Reformen fordern und pharmazeutische Innovationen, insbesondere bei Alzheimer-Therapien, auf regulatorische Hürden stoßen.

Pleitenwelle im Klinik- und Pflegesektor

Erstmals verursacht eine Wirtschaftskrise auch eine Insolvenz- und Pleitenwelle bei Einrichtungen des bislang konjunkturresistenten Gesundheitswesens. So wurden aufgrund von Erhebungen der Restrukturierungsberatung Falkensteg nach einem Bericht des "Handelsblatt" 38 Großinsolvenzen von Krankenhausbetreibern, Sozialstationen und Pflegediensten im Jahr 2023 registriert. Das sind 170 Prozent mehr als im Vorjahr. Für das Jahr 2024 erwartet die Deutsche Krankenhausgesellschaft einen weiteren Anstieg der Klinikinsolvenzen. Sie könnten das Doppelte wie im Vorjahr erreichen. Bereits im Jahr 2023 hätten nur noch sieben Prozent der Krankenhäuser einen Überschuss erwirtschaftet, heißt es bei der DKG. Dabei sind die Krankenhäuser in den letzten Jahren – um Pandemie-bedingte Fallzahlrückgänge sowie stark gestiegene Energiekosten zu kompensieren – mit mehr als 20 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt subventioniert worden. Ferner können Kliniken ihre Pflegepersonalkosten, die besonders stark gestiegen sind, in vollem Umfang bei den Krankenkassen refinanzieren. Ursächlich für die Pleiten- und Insolvenzwelle sind mangelhafte Auslastung – sie liegt im Schnitt bei 65 Prozent der Bettenkapazität – und seit Jahren unterbliebene Modernisierungsinvestitionen. 

Im Pflegesektor ist Personalmangel eine wesentliche Ursache für Insolvenzen. Unterbliebene Investitionen in die Nachwuchssicherung haben dazu geführt, dass inzwischen das Personal fehlt, um Betriebe so auszulasten, dass sie wirtschaftlich arbeiten können. In Kombination mit steigenden Mieten und Refinanzierungskosten für Immobilien geraten Anbieter in der stationären Pflege dann in wirtschaftliche Schieflagen. 

"Praxis in Not" – Lauterbach spricht am Dienstag mit Ärzten

An diesem Dienstag wird es zu einem Spitzengespräch zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Vertretern der niedergelassenen Ärzte kommen, bei dem die Perspektiven für die ambulante vertragsärztliche Versorgung erörtert werden sollen. Der NAV Virchowbund und der Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands (SpiFa), die in den letzten zwei Wochen zu Praxisschließungen aufgerufen hatten, fordern die im Koalitionsvertrags vereinbarte Umsetzung der Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung und darüber hinaus auch die volle Vergütung für alle fachärztlichen Leistungen, und zwar auch für die spezialärztliche Versorgung. Notwendig seien darüber hinaus eine wirksame Entbürokratisierung und Digitalisierung des Gesundheitswesens. Notfalls wollen die Verbände mit einer fortdauernden Schließung von Praxen politischen Druck erzeugen. Allerdings ist bisher unklar, in welchem Ausmaß sich niedergelassene Ärzte an den Praxisschließungen beteiligt haben. 

Die Forderung nach mehr Geld hat Lauterbach bislang kategorisch abgelehnt, wohl aber die Bereitschaft zu Reformen signalisiert. Zudem verweist das Ministerium auf die vergleichsweise gute wirtschaftliche Situation niedergelassener Ärzte. Es bezieht sich dabei auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, das aber lediglich Umsätze und Erträge von Praxen aufführt, nicht jedoch die tatsächlichen Einkommen des einzelnen Arztes. SpiFa und NAV Virchowbund argumentieren, niedergelassene Ärzte bräuchten eine Perspektive, um zu verhindern, dass die nun älter gewordene Babyboomer-Generation der Mediziner vorzeitig aus dem Beruf ausscheide und damit Lücken in der Versorgung entstehen. Ferner müsse die Niederlassung auch für den Nachwuchs attraktiver werden. 

Zahl der MVZ steigt um 9,5 Prozent auf 4574

Nach Angaben der KBV ist die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren im Jahr 2022 abermals dynamisch gestiegen, um 9,5 Prozent auf 4574. Damit hat sich die MVZ-Zahl binnen zehn Jahren mehr als verdoppelt (plus 136 Prozent). Jeweils 43 Prozent der Einrichtungen befinden sich in Trägerschaft von Vertragsärzten/Psychotherapeuten und Kliniken. Der Anteil der sonstigen Träger ist von 23 Prozent im Jahr 2012 auf zuletzt 14 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der in MVZ beschäftigten Ärzte stieg auf 28.140, davon waren 26.434 angestellt. Damit arbeiten nun dreimal so viele Ärzte in MVZ wie zehn Jahre zuvor. Seit 2016 hat dich Anzahl der fachgleichen MVZ auf das Achtfache zugenommen (aktuell 2294).  

eRezept startet mit einigen Pannen

Die seit dem Jahresbeginn verpflichtende Nutzung des eRezepts für GKV-Versicherte ist nicht ohne Pannen gestartet. So gab es laut gematik Störungen an dem von Bitmarck betriebenen sektoralen IDP, womit ein Zugriff auf das eRezept für Versicherte von Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen und DAK nicht möglich war. Eine weitere Störung wurde beim IDP von IBM registriert, wodurch der Zugriff auf Versicherten-Apps von AOK-Mitgliedern nicht möglich waren. Nach Angaben der gematik liegt die Zahl der bislang insgesamt eingelösten eRezepte bei über 19 Millionen.

Arzneimittelinnovation 2024: vfa erwartet über 40 Neueinführungen

Im neuen Jahr erwartet der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) mehr als 40 Zulassungen neuer Wirkstoffe durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA. Offen sei allerdings, ob alle neuen Arzneimittel auch im deutschen Markt eingeführt werden können. Ein Hindernis sieht der Verband in Regeln des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes von 2022, mit dem die Regeln für die Bildung von Erstattungsbeträgen verändert wurden. Vor allem die Abschläge für den kombinierten Einsatz mehrerer Wirkstoffe, besonders häufig in der Onkologie, wird als hinderlich angesehen. 

Erstmals seit 2002 könnten in diesem Jahr wieder ein oder zwei neue Medikamente gegen Alzheimer-Demenz in die Versorgung kommen. Nach vorliegenden Studien können sie bei frühzeitiger Anwendung den Demenzprozess verlangsamen, aber nicht stoppen.  Nach wie vor ist die Erforschung neuer Therapien gegen Demenz außerordentlich schwierig und risikoreich: Den jetzt eingereichten Zulassungsanträgen seien mehr als 150 gescheiterte Projekte zur Entwicklung von Alzheimer-Therapeutika vorausgegangen. 

Die weitaus meisten Zulassungsanträge beziehen sich wie in den Vorjahren auf neue onkologische Wirkstoffe.