“Geburten müssen Profis durchführen”

Prof. Ulrich Gembruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), plädiert im Interview für Geburten in Kliniken mit erfahrenem Personal und eine Versorgung von Frühchen in

Prof. Ulrich Gembruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), plädiert im Interview für Geburten in Kliniken mit erfahrenem Personal und eine Versorgung von Frühchen in speziellen Zentren

Der 27. Deutsche Kongress für Perinatale Medizin fand vom 1. bis 3. Dezember 2015 in Berlin statt. Mit bis zu 2.000 Teilnehmern ist er der größte interdisziplinäre Kongress für perinatale Versorgung. Während sich andere Kongresse meist auf Ärzte eines Fachbereichs beschränken, ist der Deutsche Kongress für Perinatale Medizin deutlich breiter aufgestellt. Neben Geburtshelfer nehmen Kinderärzte, Hebammen und Kinderkrankenschwestern an dem Kongress teil. esanum sprach mit Prof. Ulrich Gembruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), über den Stand der Geburtsmedizin in Deutschland.

esanum:   Herr Professor Gembruch, der Trend zu Kaiserschnitten setzt sich weiter fort. Gleichzeitig erleben Geburtshäuser- und Hausgeburten eine Renaissance. Wozu raten Sie aus medizinischer Sicht?

Gembruch: Rund ein Drittel aller Geburten in Deutschland sind Kaiserschnitte. Es gibt den Wunsch von mehr Frauen, einen Kaiserschnitt durchzuführen. Doch greift das als Erklärung zu kurz. Ein bedeutsamerer Faktor ist das zunehmende Alter der Schwangeren verbunden mit einer Zunahme klinisch oder subklinisch kranker Frauen. Auch hat die Rate von circa 33 Prozent etwas mit der Struktur unserer Krankenhäuser zu tun. Wir haben relativ viele Kliniken in Deutschland, die unter 1.000 Geburten im Jahr durchführen. Sprich: Die Mediziner und das Personal haben in der Tendenz nicht so viel Erfahrung mit komplizierten Geburten. Das bedeutet, dass hier im Geburtsprozess eher ein Kaiserschnitt gemacht wird, sobald irgendwelche Risiken auftreten.

Das ist völlig verständlich, wenn man das deutsche Recht mit einer sehr rigiden Arzthaftung einbezieht. Es wurde noch kein Arzt verurteilt, weil er eine Sectio zu viel durchgeführt hat. Ich bin kein Freund von Hausgeburten, weil im Verlauf einer Geburt immer wieder Risiken auftreten können. Es kommt oft genug vor, dass Gebärende während der Entbindung aus einem Geburtshaus oder von zu Hause in die Klinik gebracht werden müssen. Klar, eine Geburt soll möglichst natürlich ablaufen. Es gilt nur gleichzeitig sich klar zu machen, welche Folgen sie für Mutter und vor allem für das Kind haben kann, wenn etwas schief läuft.

esanum:  Die Früherkennung von Schwangerschaftsrisiken gewinnt gerade bei den immer älter werdenden Müttern an Bedeutung. Welche Risiken sind in unserer Gesellschaft besonders relevant?

Gembruch: Frauen bekommen heute deutlich später Kinder als früher. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Gesundheitszustand einer werdenden Mutter. Aus medizinischer Sicht sind die Frauen heute deutlich “kränker” als früher bei der Geburt. Oftmals wissen sie das gar nicht, weil sie im täglichen Leben keine Symptome verspüren. Risiken treten dann erst im Verlauf einer Schwangerschaft zutage. Diese reichen von Diabetes, über Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas bis hin zu Gefäßerkrankungen. Auch mit Blick auf die zunehmende Zahl von Migranten müssen wir feststellen, dass der Gesundheitszustand vieler Frauen nicht gut und damit für eine Geburt mit Risiken behaftet ist. Darauf müssen wir uns als Geburtsmediziner einstellen.

esanum:  Regelmäßige Ultraschalluntersuchungen, Nackentransparenzmessungen und Präimplantationsdiagnostik (PID) – die Möglichkeiten der Untersuchung eines Fötus sind inzwischen sehr weitreichend. Wie bewerten sie das?

Gembruch: Ein Ultraschall ist die beste Untersuchung, die man machen kann. Drei bis vier Ultraschall in der Schwangerschaft sind absolut sinnvoll, gerade da sich die Qualität der Ultraschallgeräte deutlich verbessert hat. Der so genannte Fehlbildungsultraschall kann deshalb bereits in der 13ten und nicht wie früher rund um die 20te Schwangerschaftswoche erfolgen. Ein CTG zeigt nicht alles, aber zur Messung der Herztöne des Kindes und der Wehen der Mutter ist es hilfreich. Bei Auffälligkeiten muss man dann mit einem Ultraschall nachschauen.

Nicht-invasive Methoden der pränatalen Diagnostik bieten den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu allen Fruchtwasseruntersuchungen keinerlei Risiken für die Frauen mit sich bringen. Ein NIPT – ein nicht-invasiven pränatalen Test zur Bestimmung von fetaler Trisomie 21 aus mütterlichem Blut – kann beispielsweise bei Frauen, die in die mittlere Risikogruppe einzuordnen sind, angewendet werden, vor allem um das Risiko weiter zu spezifizieren. Die Sensitivität für Trisomie liegt mittlerweile bei über 99 Prozent. Der Bluttest ist derzeit ein sequentieller, kein diagnostischer Test und muss in der Regel privat bezahlt werden.

esanum:  Schwangere beklagen sich häufig, von ihrem Gynäkologen nicht genug über Geburtsmöglichkeiten, Risiken und die postnatale Versorgung des Babys aufgeklärt zu werden. Inwieweit könnte die Situation verbessert werden?

Gembruch: In der Tat wäre es wünschenswert, wenn Gynäkologen ihre Patientinnen umfassend über Risiken und auch Geburtsmöglichkeiten aufklären. Viele Kollegen leisten da auch gute Arbeit. Wichtig ist vor allem, dass sich jeder, der in der Geburtsmedizin tätig ist, an die existierenden Leitlinien hält.

In Deutschland fehlt eine spezielle Ausbildung für die Behandlung von Risikoschwangeren. Andere Länder sind uns da voraus. Wir sollten darüber nachdenken, so eine Spezialisierung auch bei uns einzuführen. Selbstkritisch müssen wir zugeben, dass es bei der Versorgung von Migranten nicht optimal läuft, was unter anderem auch mit sprachlichen Barrieren der Patienten zu tun hat.

esanum:  Wie beurteilen Sie die Versorgung von Frühchen in Deutschland?

Gembruch: Wir haben in der gesamten Geburtsmedizin einen hohen Standard. In Deutschland haben wir allerdings im internationalen Vergleich sehr viele Krankenhäuser, die Geburten durchführen. Im Zuge einer wohnortnahen Versorgung ist das zu begrüßen, aus medizinischer Sicht allerdings nicht. Die Durchführung von Geburten insbesondere bei Risikoschwangerschaften oder bei Frühgeburten erfordert sehr viel Erfahrung. Das können kleinere Kliniken mit unter 1.000 Geburten pro Jahr einfach nicht leisten. Ab 1.500 Geburten pro Jahr lässt sich aus meiner Sicht eine effektive Geburtshilfe sicherstellen. Insofern plädiere ich dafür, dass Geburten dort stattfinden, wo wirklich Personal vorhanden ist, das ausreichend Erfahrung auch mit schwierigen, möglicherweise risikobehafteten Geburten besitzt. Das sind dann die großen Kliniken. Für die optimale Versorgung von Frühchen benötigen wir spezielle pränatale Versorgungszentren. Geburten müssen Profis durchführen.

Interview: V. Thoms