Stress ist ansteckend – auch auf zellulärer Ebene

Dass man sich Emotionen und Stress bei seinen Mitmenschen "aufschnappen" kann, ist keine Imagination, sondern biochemisch messbar. Eine vor Kurzem in der Nature publizierte Studie zeigt, dass solch "übertragener" Stress in der Tat in gleichem Maße Spuren im Gehirn hinterlässt wie "echter" Stress.

Die Traumen anderer können bei uns zu schwerwiegenden Symptomen führen

Dass man sich Emotionen und Stress bei seinen Mitmenschen "aufschnappen" kann, ist keine Imagination, sondern biochemisch messbar. Eine vor Kurzem in der Nature publizierte Studie zeigt, dass solch "übertragener" Stress in der Tat in gleichem Maße Spuren im Gehirn hinterlässt wie "echter" Stress.

Stress aktiviert neuronale Netzwerke, die das Individuum dazu befähigen sollen, auf Bedrohungen reagieren und überleben zu können. Selbst eine kurze Exposition mit einem Stressor löst langfristige Veränderungen an Synapsen aus.
Für Menschen, Primaten und Nagetiere ist belegt, dass stressinduzierte Verhaltensweisen und hormonelle Veränderungen sich auf andere übertragen können. Auch dies macht evolutiv Sinn – den Gemütszustand unseres Gegenüber erfassen zu können, ist wichtig für den Aufbau sozialer Bindungen.

Soziale Übertragung synaptischer Veränderungen nach Stress

Bislang war nicht bekannt, ob übertragener Stress sich gleichartig auf Synapsen auswirkt wie selbst erlebter. Eine kürzlich in der Nature veröffentlichte Studie1 beantwortet dies mit einem klaren "Ja". 

Ein Forschungsteam aus Calgary studierte die zerebralen Auswirkungen von Stress an Pärchen von weiblichen und männlichen Mäusen, indem sie eine Maus von ihrem Partner trennten und moderatem Stress aussetzten. Nach Rückkehr zum Partner untersuchten sie bei beiden Mäusen die Reaktion einer spezifischen Population von Neuronen im Zwischenhirn, genauer den CRH-Neuronen des Nucleus paraventricularis (PVN). Diese steuern die zerebrale Reaktion auf Stress.
Das bemerkenswerte Ergebnis war, dass die CRH-Neurone der Partner, die selbst keinem Stress ausgesetzt waren, identische Veränderungen zu denen der tatsächlich gestressten Mäuse zeigten.2

Pufferung von Stress durch soziale Kontakte

Soziale Kontakte tragen effektiv dazu bei, die Auswirkungen negativer Erlebnisse zu lindern. Distress ausgesetzte Individuen profitieren von tröstenden Verhaltensweisen anderer. Durch diese Interaktionen kann es aber auch zur Übertragung von Stress auf das andere Individuum kommen
Nach sozialen Interaktionen mit einem naiven Partner gingen die durch Stress entstandenen synaptischen Veränderungen wieder um fast 50 % zurück – allerdings war dies nur bei weiblichen Versuchstieren der Fall.

Beim Menschen ist dieses tröstende Verhalten ziemlich universell und die Ergebnisse legen nahe, dass der stressnaive Partner langfristige synaptische Veränderungen erfahren kann, die denen des gestressten Individuums vergleichbar sind. Dies könnte z. B. erklären, warum manche Individuen, die selbst kein Trauma durchlebt haben, PTSD-Symptome entwickeln, nachdem sie von den Traumen anderer erfahren.

Für die Übertragung vom gestressten Versuchstier auf den Partner war eine Aktivierung der CRH-Neurone sowohl beim Versuchstier als auch beim Partner vonnöten. Durch optogenetische Methoden ist es möglich, genetisch veränderte Zellen in lebenden Geweben über Lichtimpulse zu kontrollieren, in diesem Fall Neurone mit Licht-sensiblen Ionenkanälen. Wenn die Forscher die CRH-Neurone über Licht ausschalteten, unterblieb die Übertragung der stressbedingten Veränderungen.

Die Fähigkeit, die Effekte von Stress zu puffern und gleichzeitig auf Erfahrung beruhende Informationen zu extrahieren, hat klare adaptive Vorteile.
Solche Informationen könnten die Bildung von Verbünden in Zeiten der Bedrohung unterstützen und neuronale Schaltkreise in Vorbereitung auf kommende Herausforderungen anpassen, ohne dass alle Gruppenmitglieder sich in direkten Kontakt mit der Gefahr begeben müssen.

Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler

Die Studie belegt, dass das Gehirn auf Exposition mit Stress eines anderen Individuums genauso reagiert wie auf realen Stress.
Jaideep Bains, Professor der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie und Leiter der Forschungsgruppe, fasst zusammen: "Stressinduzierte Veränderungen im Gehirn liegen vielen psychischen Krankheiten zugrunde, wie PTSD, Angststörunen und Depression. Neue Untersuchungen belegen, dass Stress und Emotionen 'ansteckend' sein können."2
Er sagt weiter: "Wir kommunizieren unseren Stress ohne Weiteres an andere, manchmal ohne dies zu bemerken. Es gibt sogar Beweise dafür, dass bestimmte Symptome von Stress bei Angehörigen von Personen, die an PTSD leiden, persistieren können."

Referenzen:
1. Sterley, T.-L. et al. Social transmission and buffering of synaptic changes after stress. Nat. Neurosci. (2018). doi:10.1038/s41593-017-0044-6.
2. Your stress can rub off on others. News-Medical.net (2018). Available at: https://www.news-medical.net/news/20180309/Your-stress-can-rub-off-on-others.aspx. (Accessed: 15th March 2018)