Evidenzbasierte psychedelische Therapie will keine spirituellen Scheinlösungen

Was sind die Themen bei der INSIGHT-Konferenz 2023 und wie ist eine wissenschaftlich fundierte psychedelische Therapie zu gewährleisten? Darüber spricht Dr. Henrik Jungaberle im esanum-Interview.

Dr. Jungaberle, was ist das Ziel der INSIGHT-Konferenz?

Jungaberle: Es geht um Wissenschaftskommunikation. Unser Ziel ist es, die Öffentlichkeit auf den Stand der Forschung über den medizinischen Einsatz von Psychedelika zu bringen. Wir sehen seit Jahren einen Anstieg des Interesses an psychedelischer Therapie und es gibt weltweit mehrere Dutzend Forschungsprojekte an mehr als 30 Universitäten. Es können natürlich auch Bürger kommen und sich informieren. Es gibt in dem Bereich ja viele Fehlinformationen und auch Geschäftemacherei. Deswegen ist wissenschaftliche, zuverlässige Aufklärung wichtig. Auf der INSIGHT sind die wichtigsten Leiter der wesentlichen Forschungsgruppen, aber auch viele aus der jüngeren Generation vertreten. So haben wir über 40 Posterpräsentationen von Doktoranden. Und wir berichten zum ersten Mal über die deutsche EPIsoDE-Psilocybin-Depressions-Studie - die zweitgrößte der Welt.

Welche klinischen Bilder nimmt die Forschung mit Psychedelika ins Visier? Und wie erfolgreich sind die Therapien?

Jungaberle: Klinische Forschungen mit Psilocybin, MDMA etc. widmen sich vor allem Depression, Sucht, Essstörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen. 
Für Psilocybin zeigen sich bei Depression und Suchterkrankungen sehr gute Ergebnisse. Was es noch für die Zulassung als Arzneimittel braucht, ist eine große Phase-3-Studie. Sie ist für 2024 zu erwarten. Bei der Traumabehandlung ist MDMA das Mittel der Wahl aus dem psychedelischen Methodenkreis. Auch hier beginnt Ende des Jahres eine große Phase-3-Studie, und zwar in den USA.

Und womit wartet die INSIGHT-Konferenz aktuell auf?

Jungaberle: Auf der INSIGHT stellen wir zwei interessante Phase-2-Studien vor. Die zweitgrößte ist unsere eigene, die EPIsoDE-Studie, sie umfasst 144 Patienten. Sie zeigt deutlich, dass vielen Menschen mit behandlungsresistenter Depression gut geholfen werden kann. Das ist also eine ernstzunehmende neue Therapiemöglichkeit. Wir haben 25- bis 65-Jährige eingeschlossen. Ausschlusskriterien sind psychotische Störungen in der Geschichte oder der Familie, organmedizinische Vorbelastungen - vor allem im Kardiobereich - sowie starke Persönlichkeitsstörungen. 

Wir werden auch zahlreiche reale Fälle vorstellen - für Allgemeinmediziner, Psychiater und Psychotherapeuten wird das super spannend. Außerdem sind ein halbes Dutzend Patienten vor Ort und berichten auf der Bühne von ihren Erfahrungen. Hier geht es um Depressionen, Zwangserkrankungen und Traumata. Und ein weiteres Highlight ist die Weiterbildung: Unser Netzwerk aus MIND Foundation und internationalen Experten, unter anderem vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und vielen internationalen Universitäten, hat bereits 100 Psychotherapeuten und Ärzte in psychedelischer Therapie weitergebildet. Rund 60 von ihnen werden auf der Konferenz zugegen sein, etwa ein Dutzend werden auf der Bühne auftreten und über ihre Erfahrungen berichten.

Wer sind die geeigneten Patienten für diese Behandlung?

Jungaberle: Das sind Menschen, die ein Interesse daran haben, nicht einfach ihr Gehirn zu reparieren, sondern die selbst psychotherapeutisch an ihrer Therapie mitwirken wollen. Wir treten ganz stark für eine Kombinationsbehandlung ein. Für uns ist psychedelische Therapie Psychotherapie mit gelegentlicher Gabe eines Pharmakons. Diese Substanzen werden anders als Antidepressiva nicht täglich gegeben, sondern im Verlauf der Studie nur ein- oder zweimal - und im Verlauf der späteren Behandlung nicht häufiger als etwa viermal im Jahr. Und das grundsätzlich in therapeutischer Begleitung, weil die Patienten für vier bis sechs Stunden manchmal heftige emotionale Prozesse durchleben. Diese werden dann in weiteren Therapiestunden verarbeitet und eingeordnet.

Was passiert bei der Einnahme der Substanzen im Gehirn?

Jungaberle: Klassische Psychedelika wie Psilocybin und LSD sind 5HT2a-Agonisten. Sie ähneln dem Neurotransmitter Serotonin und docken an einem klar definierten Rezeptor an. Aus Tierexperimenten wissen wir, dass sie die Neurogenese fördern, dass sie antiinflammatorisch wirken können - weshalb übrigens neuerdings auch die Alzheimerforschung an der Wirkung von Psychedelika interessiert ist.

Interessant ist, dass während der Wirkzeit das Default-Mode-Netzwerk (DMN) zurückgesetzt wird, welches im Alltag für vorausschaubare Interpretations- und Verhaltenssequenzen sorgt. Und das bewirkt ein zeitweises “Durchschütteln” des Gehirns. Es ermöglicht, neu zu fühlen, neu zu denken. Zusätzlich eröffnet sich nach der Einnahme ein Lernfenster von mindestens einer Woche mit der erhöhten Chance, Dinge neu zu lernen. Hier kann die Psychotherapie unterstützen, um eine neue Sicht auf sich und das Leben zu entwickeln.

Was ist das Behandlungsziel?

Jungaberle: Ziel ist, über eine Symptomlinderung hinauszukommen. Wir können sehr beeindruckende Symptombesserungen mit dem Hamilton-Score nachweisen. Aber darüber hinaus geht es darum, einen neuen Umgang mit Stressoren und einen neuen Zugang zu eigenen Werten und dem Sinn des eigenen Lebens zu finden und dadurch mehr Sicherheit im Leben zu erlangen. Viele depressive Patienten erleben ja einen Mangel an Sinn.

Wie groß ist das Interesse der Gesellschaft an Ihrer Forschung?

Jungaberle: Das Interesse an einer wissenschaftlich fundierten psychedelischen Therapie wächst stark. Die von Prof. Gerhard Gründer vom ZI Mannheim geleitete EPIsoDE-Studie ist zum Beispiel mit 5,4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert - und ich bin sehr stolz darauf, dass wir diese Forschung im staatlichen Verbund auch mit Therapeuten und Wissenschaftlern von MIND machen können. Big Pharma ist auf diesem Feld noch wenig vertreten. Im amerikanischen Markt gibt es allerdings mittlere und kleinere Player, die anfangen, sich zu engagieren. 

Zugleich sehen wir, wie esoterische und New-Age-Ansätze in den Markt gepusht werden - und auch deshalb ist unsere Konferenz so wichtig, auf der wir uns mit dieser Entwicklung kritisch auseinandersetzen. Die psychedelische Therapie ist ein wertvoller Teil der evidenzbasierten Medizin. Wir grenzen uns ab von einer esoterisch-gestimmten Szene, die sich gegen evidenzbasierte Medizin wendet. Für diesen speziellen Dialog haben wir auch Philosophen wie Thomas Metzinger eingeladen. Er nennt seinen Ansatz Bewusstseinskultur: Das heißt, sich nicht mit spirituellen Scheinlösungen zufrieden zu geben, sich nicht in eine Scheinwelt zu flüchten. Ich sage zum Beispiel: Es ist wichtiger, mit den eigenen Kindern auf den Spielplatz zu gehen und die Beziehung zu ihnen zu verbessern, als stundenlang zu meditieren oder die nächste psychedelische Erfahrung zu machen.

Dr. Henrik Jungaberle 

Dr. sc. hum. Henrik Jungaberle ist Direktor der MIND Foundation und einer der beiden Geschäftsführer von OVID Health Systems. Darüber hinaus Jungaberle Gesundheitswissenschaftler, Psychotherapeut und Medizinpsychologe sowie Leiter der INSIGHT-Konferenz in Berlin.