Ärzte, Apotheker: "Lauterbach versteht uns Freiberufler nicht"

Ärzte appellieren ans Parlament, der ambulanten Medizin mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Denn: Momentan sei die Leistungsfähigkeit der ambulanten Versorgung gefährdet.

Freiberufliche Ärzte und Apotheker vermissen Wille zu ernsthaftem Dialog 

Bürokratie, Budgetierung und Leistungseinschränkungen durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gefährden zunehmend die Leistungsfähigkeit der ambulanten Medizin und die Sicherstellung der Versorgung mit freiberuflichen Ärzten, Zahnärzten und Apothekern. Bei einem gemeinsamen Auftritt vor der Bundespressekonferenz am Donnerstag warfen die Vorsitzenden der KBV, Dr. Andreas Gassen, der KZBV, Martin Hendges, und der Bundesvereinigung der Deutschen Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Overwiening, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine lediglich formal vorhandene Gesprächsbereitschaft vor; sie vermissen allerdings den Willen zu einem ernsthaften, an akuten Problemlösungen orientierten Dialog. Eine Sensibilisierung von Parlament und Bundeskanzler sei daher notwendig.

Gassen kritisierte die Widersprüchlichkeit von Lauterbachs Gesundheitspolitik: Seinem Versprechen, es werde keine Leistungseinschränkungen geben, sei das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gefolgt, mit dem unter anderem die Neupatientenregelung abgeschafft worden ist. Gassen: "Viele der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sehen schon jetzt die Notwendigkeit, ihr Leistungsangebot einzuschränken." Belastet würden die Vertragsärzte durch eine überbordende Bürokratie, die inzwischen die Arbeitszeit eines ganzen Quartals aufzehre. Für zunehmende Frustration sorgten zudem eine nicht funktionierende Digitalisierung sowie Einzelfallregresse im Bagatellbereich, die ohne jedwede wirtschaftliche Bedeutung für die Krankenkassen sind.

Lauterbach konterkariert Prävention und GBA-Beschlüsse

Während Lauterbach einerseits die Prävention durch ein eigenes Institut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) zu stärken versuche, konterkariere er Präventionsziele mit strikten Budgetregelungen in der zahnmedizinischen Versorgung, kritisierte KZBV-Chef Martin Hendges. Als konkretes Beispiel nannte Hendges die erst im Juli 2021 vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossene Richtlinie zur neuen präventionsorientierten Behandlung der Parodontitis und dem erleichterten Zugang zu dieser Therapie für Kassenpatienten. Die Regelungen des GKV-FinStG führten nun dazu, dass die budgetierten Mittel nicht ausreichten, um die Versorgung auf ein Niveau zu heben, das der Krankheitslast angemessen sei. Denn vor dem Hintergrund einer dreijährigen Behandlungsdauer müsse neben der Weiterbehandlung bereits in Therapie befindlicher Patienten auch eine große Zahl an neuen Fällen versorgt werden. So lag laut einer Evaluation von KZBV und Deutscher Gesellschaft für Parodontologie die Zahl der Neubehandlungsfälle im Juli 2023 bei lediglich 92.400 und ist damit auf das Niveau vor Einführung der präventionsorientierten PAR-Behandlungsstrecke zurückgefallen. 

Parodontitis sei eine komplexe und häufige Entzündungserkrankung, unter der jeder zweite Erwachsene leide. Unbehandelt sei sie die häufigste Ursache für Zahnverlust. Dies stehe in einer direkten Wechselwirkung mit Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Beschränkungen für solche präventivmedizinischen Leistungen verursachten langfristig daher wesentlich höhere Folgekosten für die Gesellschaft.  

Kinderarzneimittel: Versorgung bleibt fragil

ABDA-Chefin Gabriele Overwiening nannte zwei Akutmaßnahmen Lauterbachs, die die geordnete Arzneimittelversorgung gefährdeten. Das eine ist der Plan, die Gründung von Filialapotheken dadurch zu erleichtern, indem die Anforderungen an den Apothekenbetrieb – die Anwesenheit eines Apothekers, der Betrieb eines Labors, die Fähigkeit zu Herstellung von Arzneirezepturen – in den künftigen Filialen nicht mehr erfüllt sein müssen. Das gefährde eine hochwertige und sichere Arzneimittelversorgung in der Fläche. Ferner habe die seit langem fehlende Dynamisierung der Apothekerhonorare dazu geführt, dass immer weniger Pharmazeuten bereit sind, als Freiberufler eine Apotheke zu übernehmen. Schon jetzt liege daher die Apothekendichte in Deutschland mit 21 auf 100.000 Einwohner um fast 30 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt.  

Akut besorgt die Apotheker der Umgang des Bundesgesundheitsministeriums mit abermals drohenden Lieferengpässen bei der Versorgung mit Kinderarzneimitteln. Grund der Sorgen ist eine erst jüngst in Paragraf 129 Absatz 2b aufgenommene Bezugnahme auf eine vom Bundesinstitut für Arzneimittel erstellte Dringlichkeitsliste Kinderarzneimittel. Diese Liste ist nun maßgeblich dafür, ob Apotheken im Falle eines Lieferengpasses das vom Arzt verordnete durch ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel oder auch ein in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel auch in einer anderen Darreichungsform ohne Rücksprache mit dem Arzt abgeben können. Diese Bezugnahme, so Overwiening, sei für die Apotheker nicht rechts- und retaxsicher.

Gemeinsam kritisieren alle drei Berufsvertretungen, dass das fehlende Verständnis für und die mangelhafte Dialogbereitschaft mit den Heilberufe-Freiberuflern die Sicherheit der Versorgung durch primär von persönlicher Verantwortung getragenem Engagement gefährde. Es werde verkannt, welche Bedeutung dies für soziale Sicherheit und Frieden habe.